Was sie als Ziel erstrebten, liegt deutlich vor uns; in diesem Streben offenbart sich uns der Geist der Hellenen auf der Höhe seiner sittlichen Kraft, und die Anerkennung des¬ selben sollen wir uns nicht etwa durch den Gedanken verleiden lassen, daß jenes Streben in Wirklichkeit ein durch Leidenschaft vielfach getrübtes, durch Schwäche gehemmtes gewesen sei. Das ist freilich leicht zu erkennen und nachzuweisen. Aber wenn ein Mann, mit herrlichen Gaben geschmückt, segensreich in unserer Mitte gewirkt hat, so werden wir doch, wenn wir sein Leben und Wirken darstellen, nicht bei den Mängeln und Schwächen verweilen, welche er mit allen Wesen seiner Art theilte, sondern vorzugsweise bei dem Großen und Ausgezeich¬ neten, bei der besonderen Kraft, die Gott in ihm uns hat offenbaren wollen. Ebenso dürfen und sollen wir auch die Völker des Alterthums betrachten. Dieser Idealismus ist das schönste Vorrecht der klassischen Philologie. Denn was ein Einzelner, was ein Volksstamm in der Blüthe seiner Kraft, im höchsten Aufschwunge seiner Natur, in seinen besten Tagen und Stunden ist, das ist er wirklich und ganz, und das sollen wir zur Erinnerung unserem Gemüthe einprägen.
So lange die Hellenen in dieser Weise um den Kranz kämpften, waren sie ein mächtiges, ein unüberwindliches Volk; so wie ihre Schwungkraft ermattete, verlor der Kranz seine Bedeutung und blieb nur als eitler Schmuck in Geltung. Die Kirchenväter eiferten gegen die Bekränzung, weil sie in ihr nur eins der auffallendsten Zeichen heidnischer Götterverehrung sahen. Uns aber soll der hellenische Kranz kein Aergerniß sein, sondern das Symbol eines auch für uns vorbildlichen Strebens.
Dieser Standpunkt ist durch die ehrwürdigste Autorität unserer Kirche vertreten. Denn derselbe Mann, der auf dem Areopag den unbekannten Gott verkündete und statt des Kran¬ zes das Kreuz mit der Dornenkrone in Hellas aufrichtete -- wie sehr liebt er es, sich selbst in seinem Ringen und Laufen einem Wettkämpfer zu vergleichen, wie eindringend ermahnt er seine Korinther, ihren isthmischen Kampfhelden nachzueifern,
Der Wettkampf.
Was ſie als Ziel erſtrebten, liegt deutlich vor uns; in dieſem Streben offenbart ſich uns der Geiſt der Hellenen auf der Höhe ſeiner ſittlichen Kraft, und die Anerkennung deſ¬ ſelben ſollen wir uns nicht etwa durch den Gedanken verleiden laſſen, daß jenes Streben in Wirklichkeit ein durch Leidenſchaft vielfach getrübtes, durch Schwäche gehemmtes geweſen ſei. Das iſt freilich leicht zu erkennen und nachzuweiſen. Aber wenn ein Mann, mit herrlichen Gaben geſchmückt, ſegensreich in unſerer Mitte gewirkt hat, ſo werden wir doch, wenn wir ſein Leben und Wirken darſtellen, nicht bei den Mängeln und Schwächen verweilen, welche er mit allen Weſen ſeiner Art theilte, ſondern vorzugsweiſe bei dem Großen und Ausgezeich¬ neten, bei der beſonderen Kraft, die Gott in ihm uns hat offenbaren wollen. Ebenſo dürfen und ſollen wir auch die Völker des Alterthums betrachten. Dieſer Idealismus iſt das ſchönſte Vorrecht der klaſſiſchen Philologie. Denn was ein Einzelner, was ein Volksſtamm in der Blüthe ſeiner Kraft, im höchſten Aufſchwunge ſeiner Natur, in ſeinen beſten Tagen und Stunden iſt, das iſt er wirklich und ganz, und das ſollen wir zur Erinnerung unſerem Gemüthe einprägen.
So lange die Hellenen in dieſer Weiſe um den Kranz kämpften, waren ſie ein mächtiges, ein unüberwindliches Volk; ſo wie ihre Schwungkraft ermattete, verlor der Kranz ſeine Bedeutung und blieb nur als eitler Schmuck in Geltung. Die Kirchenväter eiferten gegen die Bekränzung, weil ſie in ihr nur eins der auffallendſten Zeichen heidniſcher Götterverehrung ſahen. Uns aber ſoll der helleniſche Kranz kein Aergerniß ſein, ſondern das Symbol eines auch für uns vorbildlichen Strebens.
Dieſer Standpunkt iſt durch die ehrwürdigſte Autorität unſerer Kirche vertreten. Denn derſelbe Mann, der auf dem Areopag den unbekannten Gott verkündete und ſtatt des Kran¬ zes das Kreuz mit der Dornenkrone in Hellas aufrichtete — wie ſehr liebt er es, ſich ſelbſt in ſeinem Ringen und Laufen einem Wettkämpfer zu vergleichen, wie eindringend ermahnt er ſeine Korinther, ihren iſthmiſchen Kampfhelden nachzueifern,
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Der Wettkampf.
Was ſie als Ziel erſtrebten, liegt deutlich vor uns; in
dieſem Streben offenbart ſich uns der Geiſt der Hellenen auf
der Höhe ſeiner ſittlichen Kraft, und die Anerkennung deſ¬
ſelben ſollen wir uns nicht etwa durch den Gedanken verleiden
laſſen, daß jenes Streben in Wirklichkeit ein durch Leidenſchaft
vielfach getrübtes, durch Schwäche gehemmtes geweſen ſei.
Das iſt freilich leicht zu erkennen und nachzuweiſen. Aber
wenn ein Mann, mit herrlichen Gaben geſchmückt, ſegensreich
in unſerer Mitte gewirkt hat, ſo werden wir doch, wenn wir
ſein Leben und Wirken darſtellen, nicht bei den Mängeln und
Schwächen verweilen, welche er mit allen Weſen ſeiner Art
theilte, ſondern vorzugsweiſe bei dem Großen und Ausgezeich¬
neten, bei der beſonderen Kraft, die Gott in ihm uns hat
offenbaren wollen. Ebenſo dürfen und ſollen wir auch die
Völker des Alterthums betrachten. Dieſer Idealismus iſt das
ſchönſte Vorrecht der klaſſiſchen Philologie. Denn was ein
Einzelner, was ein Volksſtamm in der Blüthe ſeiner Kraft,
im höchſten Aufſchwunge ſeiner Natur, in ſeinen beſten Tagen
und Stunden iſt, das iſt er wirklich und ganz, und das ſollen
wir zur Erinnerung unſerem Gemüthe einprägen.
So lange die Hellenen in dieſer Weiſe um den Kranz
kämpften, waren ſie ein mächtiges, ein unüberwindliches Volk;
ſo wie ihre Schwungkraft ermattete, verlor der Kranz ſeine
Bedeutung und blieb nur als eitler Schmuck in Geltung. Die
Kirchenväter eiferten gegen die Bekränzung, weil ſie in ihr
nur eins der auffallendſten Zeichen heidniſcher Götterverehrung
ſahen. Uns aber ſoll der helleniſche Kranz kein Aergerniß
ſein, ſondern das Symbol eines auch für uns vorbildlichen
Strebens.
Dieſer Standpunkt iſt durch die ehrwürdigſte Autorität
unſerer Kirche vertreten. Denn derſelbe Mann, der auf dem
Areopag den unbekannten Gott verkündete und ſtatt des Kran¬
zes das Kreuz mit der Dornenkrone in Hellas aufrichtete —
wie ſehr liebt er es, ſich ſelbſt in ſeinem Ringen und Laufen
einem Wettkämpfer zu vergleichen, wie eindringend ermahnt
er ſeine Korinther, ihren iſthmiſchen Kampfhelden nachzueifern,
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 143. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/159>, abgerufen am 04.12.2024.
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