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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.

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Der Wettkampf.
Blättern, der Laubzweig, die wollene Binde haben ja keinen
andern Werth, als daß sie Symbole des Sieges sind, die von
den Göttern selbst -- wie die dem Timoleon von der Tempel¬
decke auf das Haupt fallende Binde -- oder in der Gottheit
Namen von den stellvertretenden Preisrichtern vor den Augen
des Volks ausgetheilt werden.

Der Kranz ist vom Baume, welcher dem Gotte heilig ist.
Wer mit dem Kranze angethan wird, stellt sich dadurch als
ein dem Gotte Zugehöriger dar; er wird ihm zugeeignet und
gleich wie das Opferthier bekränzt wird, damit es als gött¬
liches Eigenthum gegen jede unheilige Menschenhand sicher ge¬
stellt werde, wie Häuser, Straßen, Plätze durch ihre Bekränzung
den Göttern sinnbildlich zugeeignet werden, deren Laub sie tra¬
gen -- so wurde auch der Sieger, wie ein den Göttern wohlge¬
fälliges Opfer mit Binden geschmückt, mit Kränzen geweiht. Auf
alten Vasenbildern sehen wir den stolzen Sieger, dem das be¬
neidenswertheste Erdenglück zu Theil geworden ist, dargestellt,
wie er sich demüthig den starken Arm umbinden läßt, um dann
im Tempel vor den Augen des Gottes Palmzweig und Kranz zu
empfangen. Auch die Kränze pflegte der Sieger nicht als Eigen¬
thum mitzunehmen, sondern im Heiligthume der heimathlichen
Gottheit, die seine Jugend gnädig behütet hatte, aufzuhängen.

Damit steht noch ein Anderes in nahem Zusammenhange,
nämlich daß in den Schranken nicht gestattet war mit roher
Kraft zuzufahren oder nach eigenen Gelüsten den Kampf zu füh¬
ren. Es wurde ja Niemand zugelassen, welcher nicht nach helle¬
nischem Brauche kunstmäßig seine Kraft ausgebildet hatte, und
Keiner empfing den Siegerkranz, welcher sich nicht allen feierlich
beschworenen Normen des Kampfes willig unterworfen hatte.

So haben die Hellenen durch einfache Bräuche und Satzun¬
gen den Menschen auf des Glückes Gipfel demüthig zu halten
gewußt; sie haben den Sporn des Wetteifers angewendet, um
sich gegen des Fleisches Trägheit zu schützen, aber sie haben
den Eifer von allem Selbstischen zu klären gesucht, sie haben
den wilden Trieb des Ehrgeizes geordnet und veredelt durch
die Zucht des Gesetzes und der Religion.

Der Wettkampf.
Blättern, der Laubzweig, die wollene Binde haben ja keinen
andern Werth, als daß ſie Symbole des Sieges ſind, die von
den Göttern ſelbſt — wie die dem Timoleon von der Tempel¬
decke auf das Haupt fallende Binde — oder in der Gottheit
Namen von den ſtellvertretenden Preisrichtern vor den Augen
des Volks ausgetheilt werden.

Der Kranz iſt vom Baume, welcher dem Gotte heilig iſt.
Wer mit dem Kranze angethan wird, ſtellt ſich dadurch als
ein dem Gotte Zugehöriger dar; er wird ihm zugeeignet und
gleich wie das Opferthier bekränzt wird, damit es als gött¬
liches Eigenthum gegen jede unheilige Menſchenhand ſicher ge¬
ſtellt werde, wie Häuſer, Straßen, Plätze durch ihre Bekränzung
den Göttern ſinnbildlich zugeeignet werden, deren Laub ſie tra¬
gen — ſo wurde auch der Sieger, wie ein den Göttern wohlge¬
fälliges Opfer mit Binden geſchmückt, mit Kränzen geweiht. Auf
alten Vaſenbildern ſehen wir den ſtolzen Sieger, dem das be¬
neidenswertheſte Erdenglück zu Theil geworden iſt, dargeſtellt,
wie er ſich demüthig den ſtarken Arm umbinden läßt, um dann
im Tempel vor den Augen des Gottes Palmzweig und Kranz zu
empfangen. Auch die Kränze pflegte der Sieger nicht als Eigen¬
thum mitzunehmen, ſondern im Heiligthume der heimathlichen
Gottheit, die ſeine Jugend gnädig behütet hatte, aufzuhängen.

Damit ſteht noch ein Anderes in nahem Zuſammenhange,
nämlich daß in den Schranken nicht geſtattet war mit roher
Kraft zuzufahren oder nach eigenen Gelüſten den Kampf zu füh¬
ren. Es wurde ja Niemand zugelaſſen, welcher nicht nach helle¬
niſchem Brauche kunſtmäßig ſeine Kraft ausgebildet hatte, und
Keiner empfing den Siegerkranz, welcher ſich nicht allen feierlich
beſchworenen Normen des Kampfes willig unterworfen hatte.

So haben die Hellenen durch einfache Bräuche und Satzun¬
gen den Menſchen auf des Glückes Gipfel demüthig zu halten
gewußt; ſie haben den Sporn des Wetteifers angewendet, um
ſich gegen des Fleiſches Trägheit zu ſchützen, aber ſie haben
den Eifer von allem Selbſtiſchen zu klären geſucht, ſie haben
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[142/0158] Der Wettkampf. Blättern, der Laubzweig, die wollene Binde haben ja keinen andern Werth, als daß ſie Symbole des Sieges ſind, die von den Göttern ſelbſt — wie die dem Timoleon von der Tempel¬ decke auf das Haupt fallende Binde — oder in der Gottheit Namen von den ſtellvertretenden Preisrichtern vor den Augen des Volks ausgetheilt werden. Der Kranz iſt vom Baume, welcher dem Gotte heilig iſt. Wer mit dem Kranze angethan wird, ſtellt ſich dadurch als ein dem Gotte Zugehöriger dar; er wird ihm zugeeignet und gleich wie das Opferthier bekränzt wird, damit es als gött¬ liches Eigenthum gegen jede unheilige Menſchenhand ſicher ge¬ ſtellt werde, wie Häuſer, Straßen, Plätze durch ihre Bekränzung den Göttern ſinnbildlich zugeeignet werden, deren Laub ſie tra¬ gen — ſo wurde auch der Sieger, wie ein den Göttern wohlge¬ fälliges Opfer mit Binden geſchmückt, mit Kränzen geweiht. Auf alten Vaſenbildern ſehen wir den ſtolzen Sieger, dem das be¬ neidenswertheſte Erdenglück zu Theil geworden iſt, dargeſtellt, wie er ſich demüthig den ſtarken Arm umbinden läßt, um dann im Tempel vor den Augen des Gottes Palmzweig und Kranz zu empfangen. Auch die Kränze pflegte der Sieger nicht als Eigen¬ thum mitzunehmen, ſondern im Heiligthume der heimathlichen Gottheit, die ſeine Jugend gnädig behütet hatte, aufzuhängen. Damit ſteht noch ein Anderes in nahem Zuſammenhange, nämlich daß in den Schranken nicht geſtattet war mit roher Kraft zuzufahren oder nach eigenen Gelüſten den Kampf zu füh¬ ren. Es wurde ja Niemand zugelaſſen, welcher nicht nach helle¬ niſchem Brauche kunſtmäßig ſeine Kraft ausgebildet hatte, und Keiner empfing den Siegerkranz, welcher ſich nicht allen feierlich beſchworenen Normen des Kampfes willig unterworfen hatte. So haben die Hellenen durch einfache Bräuche und Satzun¬ gen den Menſchen auf des Glückes Gipfel demüthig zu halten gewußt; ſie haben den Sporn des Wetteifers angewendet, um ſich gegen des Fleiſches Trägheit zu ſchützen, aber ſie haben den Eifer von allem Selbſtiſchen zu klären geſucht, ſie haben den wilden Trieb des Ehrgeizes geordnet und veredelt durch die Zucht des Geſetzes und der Religion.

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Zitationshilfe: Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/158>, abgerufen am 12.12.2024.