Völkergruppen weit hinter sich zurück und beginnen, in Stämme und Zungen mannigfach gegliedert, unter einander den großen Wettkampf, indem sie über die gegen Abend gelegenen Hoch- und Tiefländer der Erde rastlos sich ausbreiten und an ihre Schritte den Gang der Weltgeschichte fesseln.
Diese Stämme haben alle den männlichen Trieb der Thaten¬ lust als Erbtheil empfangen; sie sind alle zu staatgründenden Völkern geworden; sie haben sich in Heldenliedern bezeugt, sie haben in Bild- und Bauwerken bleibende Denkmäler auf Erden hinterlassen. Je weiter sie aber im Osten zurückgeblieben sind, um so früher erscheinen sie uns in ihrer lebendigen Entwickelung gehemmt, in unbeweglichen Lebensformen erstarrt, oder auch mit fremdartigen Bestandtheilen dergestalt verwachsen, daß jener Grundzug der arischen Völker verhüllt oder verwischt worden ist.
Um so reiner tritt er uns wieder entgegen, wenn wir aus Iran und Mesopotamien zu jenen Stämmen kommen, die früher und weiter gegen Abend gewandert sind, die im klein¬ asiatischen Halbinsellande Wohnung gemacht und mit Vorliebe solche Gegenden aufgesucht haben, wo Meer und Gebirge sich durchdringen. Wie nahe liegen die Wohnsitze der Lycier den Gränzen assyrischer Machtbildung und welch' ein Gegensatz zwischen den entnervten und in äußerlicher Pracht verkomme¬ nen Gestalten, die uns in den Palästen von Ninive entgegen¬ treten, und jenem apollinischen Volke, das sein enges Land zwischen Fels und Meer so heldenmüthig allen Barbaren gegen¬ über vertheidigt hat, dessen Kunst, wie unzählige Denkmäler bezeugen, das Gepräge jenes höheren Lebens trägt, welches das untrügliche Kennzeichen des hellenischen Völkergeschlechts diesseit und jenseit des ägäischen Inselmeeres ist! Wenn Sie daher, hochverehrte Anwesende, dem raschen Gedankenzuge von Babel bis Ionien gefolgt sind, so werden Sie jetzt dem Ver¬ treter des klassischen Alterthums, welchem Sie die Ehre gönnen an diesem Tage Ihr Redner zu sein, wie ich hoffe, um so lieber gestatten, auf dem Gebiete zu verweilen, an dessen Gränze er Sie geführt hat, und den Gedanken näher zu entwickeln, daß jener Grundzug des arischen Volkscharakters -- wett¬
Der Wettkampf.
Völkergruppen weit hinter ſich zurück und beginnen, in Stämme und Zungen mannigfach gegliedert, unter einander den großen Wettkampf, indem ſie über die gegen Abend gelegenen Hoch- und Tiefländer der Erde raſtlos ſich ausbreiten und an ihre Schritte den Gang der Weltgeſchichte feſſeln.
Dieſe Stämme haben alle den männlichen Trieb der Thaten¬ luſt als Erbtheil empfangen; ſie ſind alle zu ſtaatgründenden Völkern geworden; ſie haben ſich in Heldenliedern bezeugt, ſie haben in Bild- und Bauwerken bleibende Denkmäler auf Erden hinterlaſſen. Je weiter ſie aber im Oſten zurückgeblieben ſind, um ſo früher erſcheinen ſie uns in ihrer lebendigen Entwickelung gehemmt, in unbeweglichen Lebensformen erſtarrt, oder auch mit fremdartigen Beſtandtheilen dergeſtalt verwachſen, daß jener Grundzug der ariſchen Völker verhüllt oder verwiſcht worden iſt.
Um ſo reiner tritt er uns wieder entgegen, wenn wir aus Iran und Meſopotamien zu jenen Stämmen kommen, die früher und weiter gegen Abend gewandert ſind, die im klein¬ aſiatiſchen Halbinſellande Wohnung gemacht und mit Vorliebe ſolche Gegenden aufgeſucht haben, wo Meer und Gebirge ſich durchdringen. Wie nahe liegen die Wohnſitze der Lycier den Gränzen aſſyriſcher Machtbildung und welch' ein Gegenſatz zwiſchen den entnervten und in äußerlicher Pracht verkomme¬ nen Geſtalten, die uns in den Paläſten von Ninive entgegen¬ treten, und jenem apolliniſchen Volke, das ſein enges Land zwiſchen Fels und Meer ſo heldenmüthig allen Barbaren gegen¬ über vertheidigt hat, deſſen Kunſt, wie unzählige Denkmäler bezeugen, das Gepräge jenes höheren Lebens trägt, welches das untrügliche Kennzeichen des helleniſchen Völkergeſchlechts dieſſeit und jenſeit des ägäiſchen Inſelmeeres iſt! Wenn Sie daher, hochverehrte Anweſende, dem raſchen Gedankenzuge von Babel bis Ionien gefolgt ſind, ſo werden Sie jetzt dem Ver¬ treter des klaſſiſchen Alterthums, welchem Sie die Ehre gönnen an dieſem Tage Ihr Redner zu ſein, wie ich hoffe, um ſo lieber geſtatten, auf dem Gebiete zu verweilen, an deſſen Gränze er Sie geführt hat, und den Gedanken näher zu entwickeln, daß jener Grundzug des ariſchen Volkscharakters — wett¬
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Der Wettkampf.
Völkergruppen weit hinter ſich zurück und beginnen, in Stämme
und Zungen mannigfach gegliedert, unter einander den großen
Wettkampf, indem ſie über die gegen Abend gelegenen Hoch-
und Tiefländer der Erde raſtlos ſich ausbreiten und an ihre
Schritte den Gang der Weltgeſchichte feſſeln.
Dieſe Stämme haben alle den männlichen Trieb der Thaten¬
luſt als Erbtheil empfangen; ſie ſind alle zu ſtaatgründenden
Völkern geworden; ſie haben ſich in Heldenliedern bezeugt, ſie
haben in Bild- und Bauwerken bleibende Denkmäler auf Erden
hinterlaſſen. Je weiter ſie aber im Oſten zurückgeblieben ſind,
um ſo früher erſcheinen ſie uns in ihrer lebendigen Entwickelung
gehemmt, in unbeweglichen Lebensformen erſtarrt, oder auch mit
fremdartigen Beſtandtheilen dergeſtalt verwachſen, daß jener
Grundzug der ariſchen Völker verhüllt oder verwiſcht worden iſt.
Um ſo reiner tritt er uns wieder entgegen, wenn wir aus
Iran und Meſopotamien zu jenen Stämmen kommen, die
früher und weiter gegen Abend gewandert ſind, die im klein¬
aſiatiſchen Halbinſellande Wohnung gemacht und mit Vorliebe
ſolche Gegenden aufgeſucht haben, wo Meer und Gebirge ſich
durchdringen. Wie nahe liegen die Wohnſitze der Lycier den
Gränzen aſſyriſcher Machtbildung und welch' ein Gegenſatz
zwiſchen den entnervten und in äußerlicher Pracht verkomme¬
nen Geſtalten, die uns in den Paläſten von Ninive entgegen¬
treten, und jenem apolliniſchen Volke, das ſein enges Land
zwiſchen Fels und Meer ſo heldenmüthig allen Barbaren gegen¬
über vertheidigt hat, deſſen Kunſt, wie unzählige Denkmäler
bezeugen, das Gepräge jenes höheren Lebens trägt, welches
das untrügliche Kennzeichen des helleniſchen Völkergeſchlechts
dieſſeit und jenſeit des ägäiſchen Inſelmeeres iſt! Wenn Sie
daher, hochverehrte Anweſende, dem raſchen Gedankenzuge von
Babel bis Ionien gefolgt ſind, ſo werden Sie jetzt dem Ver¬
treter des klaſſiſchen Alterthums, welchem Sie die Ehre gönnen
an dieſem Tage Ihr Redner zu ſein, wie ich hoffe, um ſo
lieber geſtatten, auf dem Gebiete zu verweilen, an deſſen Gränze
er Sie geführt hat, und den Gedanken näher zu entwickeln,
daß jener Grundzug des ariſchen Volkscharakters — wett¬
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Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/curtius_alterthum01_1875/149>, abgerufen am 02.03.2025.
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