Curtius, Ernst: Alterthum und Gegenwart. Gesammelte Reden und Vorträge. Bd. 1. Berlin, 1875.Die Kunst der Hellenen. soll sein Recht, seine Philosophie, seine Kunst und Wissenschaftfrei aus sich hervorbringen; die Anderen aber erkennen unter den Völkern der verschiedenen Zeiten eine große Gemeinschaft, innerhalb welcher sie kein abgelöstes Einzelleben anerkennen können; sie sehen namentlich die großen Culturvölker alter und neuer Zeit zu gemeinsamer Handreichung, zu wechselseitiger Ergänzung in einem heiligen Bunde vereinigt. Diese Ansicht ist die historische und wer Schinkel's Andenken feiert, kann nicht anders als zu ihr sich bekennen. Wenn wir an eine Vorsehung glauben, welche nicht erst Was die Römer für das Recht, das sind die Hellenen für Die Kunſt der Hellenen. ſoll ſein Recht, ſeine Philoſophie, ſeine Kunſt und Wiſſenſchaftfrei aus ſich hervorbringen; die Anderen aber erkennen unter den Völkern der verſchiedenen Zeiten eine große Gemeinſchaft, innerhalb welcher ſie kein abgelöſtes Einzelleben anerkennen können; ſie ſehen namentlich die großen Culturvölker alter und neuer Zeit zu gemeinſamer Handreichung, zu wechſelſeitiger Ergänzung in einem heiligen Bunde vereinigt. Dieſe Anſicht iſt die hiſtoriſche und wer Schinkel's Andenken feiert, kann nicht anders als zu ihr ſich bekennen. Wenn wir an eine Vorſehung glauben, welche nicht erſt Was die Römer für das Recht, das ſind die Hellenen für <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0103" n="87"/><fw place="top" type="header">Die Kunſt der Hellenen.<lb/></fw> ſoll ſein Recht, ſeine Philoſophie, ſeine Kunſt und Wiſſenſchaft<lb/> frei aus ſich hervorbringen; die Anderen aber erkennen unter<lb/> den Völkern der verſchiedenen Zeiten eine große Gemeinſchaft,<lb/> innerhalb welcher ſie kein abgelöſtes Einzelleben anerkennen<lb/> können; ſie ſehen namentlich die großen Culturvölker alter und<lb/> neuer Zeit zu gemeinſamer Handreichung, zu wechſelſeitiger<lb/> Ergänzung in einem heiligen Bunde vereinigt. Dieſe Anſicht<lb/> iſt die hiſtoriſche und wer Schinkel's Andenken feiert, kann<lb/> nicht anders als zu ihr ſich bekennen.</p><lb/> <p>Wenn wir an eine Vorſehung glauben, welche nicht erſt<lb/> mit unſerer Zeitrechnung begonnen hat, die allgemeine Welt¬<lb/> geſchichte und Weltbildung nach einem großen Plane zu ordnen,<lb/> ſo erkennen wir deutlich, wie von den hervorragenden Völkern<lb/> des Alterthums jedes ſeine unvergängliche Miſſion hat. Denn<lb/> was ein Volk in hoher Vollendung hervorbringt, das geht<lb/> über daſſelbe hinaus und wird welthiſtoriſch. So haben die<lb/> Römer den Beruf gehabt, den Begriff des Staats in einer<lb/> Weiſe zu verwirklichen, wie er in der Geſchichte der Menſch¬<lb/> heit nicht dageweſen war. Der griechiſche Staat blieb immer<lb/> ſeinem Weſen nach eine Stammverbindung; er theilte daher<lb/> das natürliche Leben der Stämme, er blühte und welkte mit<lb/> ihnen. Die Römer aber, von Anfang an aus verſchiedenen<lb/> Stämmen zuſammengewachſen, die ſich auf den Tiberhügeln<lb/> vereinigten, gründeten ihren Staat auf eine höhere, das von<lb/> Natur Verſchiedenartige verbindende Einheit und dadurch wurde<lb/> er befähigt, mit beiſpielloſer Lebenskraft ſich Schritt für Schritt<lb/> bis an die Gränzen der Welt auszudehnen. Ihr Reich iſt<lb/> wiederum jüngeren Erben der Weltgeſchichte anheimgefallen,<lb/> aber die Norm, nach welcher ſie ihr Zuſammenleben geregelt<lb/> haben, iſt bei allen gebildeten Völkern der Erde die Grund¬<lb/> lage des Rechtszuſtandes geworden.</p><lb/> <p>Was die Römer für das Recht, das ſind die Hellenen für<lb/> Wiſſenſchaft und Kunſt geweſen — oder ſollen wir glauben,<lb/> daß ſo hoch Vollendetes nur für das Ländchen Hellas beſtimmt<lb/> war und für die kurze Spanne Zeit, die wir die griechiſche<lb/> Geſchichte nennen? Wie einſeitig und vergänglich waren die<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [87/0103]
Die Kunſt der Hellenen.
ſoll ſein Recht, ſeine Philoſophie, ſeine Kunſt und Wiſſenſchaft
frei aus ſich hervorbringen; die Anderen aber erkennen unter
den Völkern der verſchiedenen Zeiten eine große Gemeinſchaft,
innerhalb welcher ſie kein abgelöſtes Einzelleben anerkennen
können; ſie ſehen namentlich die großen Culturvölker alter und
neuer Zeit zu gemeinſamer Handreichung, zu wechſelſeitiger
Ergänzung in einem heiligen Bunde vereinigt. Dieſe Anſicht
iſt die hiſtoriſche und wer Schinkel's Andenken feiert, kann
nicht anders als zu ihr ſich bekennen.
Wenn wir an eine Vorſehung glauben, welche nicht erſt
mit unſerer Zeitrechnung begonnen hat, die allgemeine Welt¬
geſchichte und Weltbildung nach einem großen Plane zu ordnen,
ſo erkennen wir deutlich, wie von den hervorragenden Völkern
des Alterthums jedes ſeine unvergängliche Miſſion hat. Denn
was ein Volk in hoher Vollendung hervorbringt, das geht
über daſſelbe hinaus und wird welthiſtoriſch. So haben die
Römer den Beruf gehabt, den Begriff des Staats in einer
Weiſe zu verwirklichen, wie er in der Geſchichte der Menſch¬
heit nicht dageweſen war. Der griechiſche Staat blieb immer
ſeinem Weſen nach eine Stammverbindung; er theilte daher
das natürliche Leben der Stämme, er blühte und welkte mit
ihnen. Die Römer aber, von Anfang an aus verſchiedenen
Stämmen zuſammengewachſen, die ſich auf den Tiberhügeln
vereinigten, gründeten ihren Staat auf eine höhere, das von
Natur Verſchiedenartige verbindende Einheit und dadurch wurde
er befähigt, mit beiſpielloſer Lebenskraft ſich Schritt für Schritt
bis an die Gränzen der Welt auszudehnen. Ihr Reich iſt
wiederum jüngeren Erben der Weltgeſchichte anheimgefallen,
aber die Norm, nach welcher ſie ihr Zuſammenleben geregelt
haben, iſt bei allen gebildeten Völkern der Erde die Grund¬
lage des Rechtszuſtandes geworden.
Was die Römer für das Recht, das ſind die Hellenen für
Wiſſenſchaft und Kunſt geweſen — oder ſollen wir glauben,
daß ſo hoch Vollendetes nur für das Ländchen Hellas beſtimmt
war und für die kurze Spanne Zeit, die wir die griechiſche
Geſchichte nennen? Wie einſeitig und vergänglich waren die
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