Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.X. Betrachtung. ster und Vergehungen rechtfertigten, wie man dasleicht aus der ganzen Bergpredigt Jesu ersehen kann.*) Während seines ganzen Lebens auf Erden wandelte er immer in der Gegenwart Gottes: sein Herz und seine Gedanken waren stets auf ihn gerich- tet, so daß er den Juden getrost ins Gesicht sagen konnte: ich ehre meinen Vater.**) Man lese nur jene vortrefliche Schutzrede, worinne er seine höhere Würde und göttliche Sendung vertheidigte, und man wird sehen, mit welcher sichtbaren Ehrfurcht gegen Gott er das that.***) Er dachte sich aber Gott nicht als ein Wesen, das nur Furcht und Schre- cken um sich verbreitet, nicht als einen strengen Herrn und Gebieter, nicht als einen schnellen und unerbitt- lichen Richter, der mehr gefürchtet als geliebt seyn will, sondern er dachte sich Gott als den gütigsten Regenten, als den liebreichsten Vater, gerade so wie ein gutgeartetes Kind von seinen liebevollen Vater denckt und urtheilt, mit dem es täglich umgeht, an den es sich hält, dessen es sich freuet. Jhn belebte und durchdrang die Gegenwart Gottes mit der innig- sten Freude, und er genoß das reinste Vergnügen, so oft er sich mit der Verehrung des höchsten Wesens beschäftigte. Denn wer verkennt die Ehrerbietung, die Jesum recht augenscheinlich belebte, wenn er sich mit Gott im Gebet unterhielt? Wie sichtbar war nicht *) Matth. 5, 6. u. 7. **) Joh. 8, 49. ***) Joh. 5. 19. ff.
X. Betrachtung. ſter und Vergehungen rechtfertigten, wie man dasleicht aus der ganzen Bergpredigt Jeſu erſehen kann.*) Während ſeines ganzen Lebens auf Erden wandelte er immer in der Gegenwart Gottes: ſein Herz und ſeine Gedanken waren ſtets auf ihn gerich- tet, ſo daß er den Juden getroſt ins Geſicht ſagen konnte: ich ehre meinen Vater.**) Man leſe nur jene vortrefliche Schutzrede, worinne er ſeine höhere Würde und göttliche Sendung vertheidigte, und man wird ſehen, mit welcher ſichtbaren Ehrfurcht gegen Gott er das that.***) Er dachte ſich aber Gott nicht als ein Weſen, das nur Furcht und Schre- cken um ſich verbreitet, nicht als einen ſtrengen Herrn und Gebieter, nicht als einen ſchnellen und unerbitt- lichen Richter, der mehr gefürchtet als geliebt ſeyn will, ſondern er dachte ſich Gott als den gütigſten Regenten, als den liebreichſten Vater, gerade ſo wie ein gutgeartetes Kind von ſeinen liebevollen Vater denckt und urtheilt, mit dem es täglich umgeht, an den es ſich hält, deſſen es ſich freuet. Jhn belebte und durchdrang die Gegenwart Gottes mit der innig- ſten Freude, und er genoß das reinſte Vergnügen, ſo oft er ſich mit der Verehrung des höchſten Weſens beſchäftigte. Denn wer verkennt die Ehrerbietung, die Jeſum recht augenſcheinlich belebte, wenn er ſich mit Gott im Gebet unterhielt? Wie ſichtbar war nicht *) Matth. 5, 6. u. 7. **) Joh. 8, 49. ***) Joh. 5. 19. ff.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0084" n="58"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">X.</hi> Betrachtung.</fw><lb/> ſter und Vergehungen rechtfertigten, wie man das<lb/> leicht aus der ganzen Bergpredigt Jeſu erſehen<lb/> kann.<note place="foot" n="*)">Matth. 5, 6. u. 7.</note> Während ſeines ganzen Lebens auf Erden<lb/> wandelte er immer in der Gegenwart Gottes: ſein<lb/> Herz und ſeine Gedanken waren ſtets auf ihn gerich-<lb/> tet, ſo daß er den Juden getroſt ins Geſicht ſagen<lb/> konnte: <hi rendition="#fr">ich ehre meinen Vater.</hi><note place="foot" n="**)">Joh. 8, 49.</note> Man leſe nur<lb/> jene vortrefliche Schutzrede, worinne er ſeine höhere<lb/> Würde und göttliche Sendung vertheidigte, und<lb/> man wird ſehen, mit welcher ſichtbaren Ehrfurcht<lb/> gegen Gott er das that.<note place="foot" n="***)">Joh. 5. 19. ff.</note> Er dachte ſich aber<lb/> Gott nicht als ein Weſen, das nur Furcht und Schre-<lb/> cken um ſich verbreitet, nicht als einen ſtrengen Herrn<lb/> und Gebieter, nicht als einen ſchnellen und unerbitt-<lb/> lichen Richter, der mehr gefürchtet als geliebt ſeyn<lb/> will, ſondern er dachte ſich Gott als den gütigſten<lb/> Regenten, als den liebreichſten Vater, gerade ſo wie<lb/> ein gutgeartetes Kind von ſeinen liebevollen Vater<lb/> denckt und urtheilt, mit dem es täglich umgeht, an<lb/> den es ſich hält, deſſen es ſich freuet. Jhn belebte<lb/> und durchdrang die Gegenwart Gottes mit der innig-<lb/> ſten Freude, und er genoß das reinſte Vergnügen,<lb/> ſo oft er ſich mit der Verehrung des höchſten Weſens<lb/> beſchäftigte. Denn wer verkennt die Ehrerbietung,<lb/> die Jeſum recht augenſcheinlich belebte, wenn er ſich<lb/> mit Gott im Gebet unterhielt? Wie ſichtbar war<lb/> <fw place="bottom" type="catch">nicht</fw><lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [58/0084]
X. Betrachtung.
ſter und Vergehungen rechtfertigten, wie man das
leicht aus der ganzen Bergpredigt Jeſu erſehen
kann. *) Während ſeines ganzen Lebens auf Erden
wandelte er immer in der Gegenwart Gottes: ſein
Herz und ſeine Gedanken waren ſtets auf ihn gerich-
tet, ſo daß er den Juden getroſt ins Geſicht ſagen
konnte: ich ehre meinen Vater. **) Man leſe nur
jene vortrefliche Schutzrede, worinne er ſeine höhere
Würde und göttliche Sendung vertheidigte, und
man wird ſehen, mit welcher ſichtbaren Ehrfurcht
gegen Gott er das that. ***) Er dachte ſich aber
Gott nicht als ein Weſen, das nur Furcht und Schre-
cken um ſich verbreitet, nicht als einen ſtrengen Herrn
und Gebieter, nicht als einen ſchnellen und unerbitt-
lichen Richter, der mehr gefürchtet als geliebt ſeyn
will, ſondern er dachte ſich Gott als den gütigſten
Regenten, als den liebreichſten Vater, gerade ſo wie
ein gutgeartetes Kind von ſeinen liebevollen Vater
denckt und urtheilt, mit dem es täglich umgeht, an
den es ſich hält, deſſen es ſich freuet. Jhn belebte
und durchdrang die Gegenwart Gottes mit der innig-
ſten Freude, und er genoß das reinſte Vergnügen,
ſo oft er ſich mit der Verehrung des höchſten Weſens
beſchäftigte. Denn wer verkennt die Ehrerbietung,
die Jeſum recht augenſcheinlich belebte, wenn er ſich
mit Gott im Gebet unterhielt? Wie ſichtbar war
nicht
*) Matth. 5, 6. u. 7.
**) Joh. 8, 49.
***) Joh. 5. 19. ff.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern:
Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |