Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

IX. Betrachtung.
willig als standhaft alle Gemächlichkeiten, alle Freu-
den und Güter des Lebens verleugnete. Liebe war
es, die ihn überall regierte, die ihn zu lauter Gott
wohlgefälligen Entschließungen und Handlungen an-
trieb. Auf daß aber die Welt erkenne, daß ich den
Vater liebe, und ich also thue, wie mir der Vater
geboten hat: stehet auf, und lasset uns von hinnen
gehen.
*) Dies war die feyerliche Erklärung, die
der Erlöser noch kurz vor seinem Leiden ablegte. Je-
der sieht hieraus, daß Liebe der rechte Gesichtspunkt
ist, woraus man das willige Uebernehmen aller sei-
ner Leiden beurtheilen muß, daß diese die einzige
Triebfeder seiner Aufopferung für die Menschen war.
Und schon das muß jeden überzeugen, daß noch nie
ein Mensch gelebt hat, der mehr Größe des Geistes
und mehr Vortreflichkeit des Herzens in sich vereinig-
te, als Jesus. Denn hier sagt er es ja grade her-
aus: es ist mir darum zu thun, daß ich der Welt
einen entscheidenden Beweis gebe, wie sehr ich mei-
nen Vater liebe, und wie bereit ich bin, den Auf-
trag desselben zu vollbringen; wie geneigt ich bin,
aus Liebe zu ihm alle seine Vorschriften, auch die
härtesten und bittersten, genau zu befolgen; wohl-
an, so kommt, wir wollen nun dahin gehen, wo
mein letztes härtestes Schicksal für mich entschieden
wird. Hier traf es also recht ein: der Liebe wird

alles
*) Joh. 14, 31. 32.
D 2

IX. Betrachtung.
willig als ſtandhaft alle Gemächlichkeiten, alle Freu-
den und Güter des Lebens verleugnete. Liebe war
es, die ihn überall regierte, die ihn zu lauter Gott
wohlgefälligen Entſchließungen und Handlungen an-
trieb. Auf daß aber die Welt erkenne, daß ich den
Vater liebe, und ich alſo thue, wie mir der Vater
geboten hat: ſtehet auf, und laſſet uns von hinnen
gehen.
*) Dies war die feyerliche Erklärung, die
der Erlöſer noch kurz vor ſeinem Leiden ablegte. Je-
der ſieht hieraus, daß Liebe der rechte Geſichtspunkt
iſt, woraus man das willige Uebernehmen aller ſei-
ner Leiden beurtheilen muß, daß dieſe die einzige
Triebfeder ſeiner Aufopferung für die Menſchen war.
Und ſchon das muß jeden überzeugen, daß noch nie
ein Menſch gelebt hat, der mehr Größe des Geiſtes
und mehr Vortreflichkeit des Herzens in ſich vereinig-
te, als Jeſus. Denn hier ſagt er es ja grade her-
aus: es iſt mir darum zu thun, daß ich der Welt
einen entſcheidenden Beweis gebe, wie ſehr ich mei-
nen Vater liebe, und wie bereit ich bin, den Auf-
trag deſſelben zu vollbringen; wie geneigt ich bin,
aus Liebe zu ihm alle ſeine Vorſchriften, auch die
härteſten und bitterſten, genau zu befolgen; wohl-
an, ſo kommt, wir wollen nun dahin gehen, wo
mein letztes härteſtes Schickſal für mich entſchieden
wird. Hier traf es alſo recht ein: der Liebe wird

alles
*) Joh. 14, 31. 32.
D 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0077" n="51"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">IX.</hi> Betrachtung.</fw><lb/>
willig als &#x017F;tandhaft alle Gemächlichkeiten, alle Freu-<lb/>
den und Güter des Lebens verleugnete. Liebe war<lb/>
es, die ihn überall regierte, die ihn zu lauter Gott<lb/>
wohlgefälligen Ent&#x017F;chließungen und Handlungen an-<lb/>
trieb. <hi rendition="#fr">Auf daß aber die Welt erkenne, daß ich den<lb/>
Vater liebe, und ich al&#x017F;o thue, wie mir der Vater<lb/>
geboten hat: &#x017F;tehet auf, und la&#x017F;&#x017F;et uns von hinnen<lb/>
gehen.</hi><note place="foot" n="*)">Joh. 14, 31. 32.</note> Dies war die feyerliche Erklärung, die<lb/>
der Erlö&#x017F;er noch kurz vor &#x017F;einem Leiden ablegte. Je-<lb/>
der &#x017F;ieht hieraus, daß Liebe der rechte Ge&#x017F;ichtspunkt<lb/>
i&#x017F;t, woraus man das willige Uebernehmen aller &#x017F;ei-<lb/>
ner Leiden beurtheilen muß, daß die&#x017F;e die einzige<lb/>
Triebfeder &#x017F;einer Aufopferung für die Men&#x017F;chen war.<lb/>
Und &#x017F;chon das muß jeden überzeugen, daß noch nie<lb/>
ein Men&#x017F;ch gelebt hat, der mehr Größe des Gei&#x017F;tes<lb/>
und mehr Vortreflichkeit des Herzens in &#x017F;ich vereinig-<lb/>
te, als Je&#x017F;us. Denn hier &#x017F;agt er es ja grade her-<lb/>
aus: es i&#x017F;t mir darum zu thun, daß ich der Welt<lb/>
einen ent&#x017F;cheidenden Beweis gebe, wie &#x017F;ehr ich mei-<lb/>
nen Vater liebe, und wie bereit ich bin, den Auf-<lb/>
trag de&#x017F;&#x017F;elben zu vollbringen; wie geneigt ich bin,<lb/>
aus Liebe zu ihm alle &#x017F;eine Vor&#x017F;chriften, auch die<lb/>
härte&#x017F;ten und bitter&#x017F;ten, genau zu befolgen; wohl-<lb/>
an, &#x017F;o kommt, wir wollen nun dahin gehen, wo<lb/>
mein letztes härte&#x017F;tes Schick&#x017F;al für mich ent&#x017F;chieden<lb/>
wird. Hier traf es al&#x017F;o recht ein: der Liebe wird<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">D 2</fw><fw place="bottom" type="catch">alles</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[51/0077] IX. Betrachtung. willig als ſtandhaft alle Gemächlichkeiten, alle Freu- den und Güter des Lebens verleugnete. Liebe war es, die ihn überall regierte, die ihn zu lauter Gott wohlgefälligen Entſchließungen und Handlungen an- trieb. Auf daß aber die Welt erkenne, daß ich den Vater liebe, und ich alſo thue, wie mir der Vater geboten hat: ſtehet auf, und laſſet uns von hinnen gehen. *) Dies war die feyerliche Erklärung, die der Erlöſer noch kurz vor ſeinem Leiden ablegte. Je- der ſieht hieraus, daß Liebe der rechte Geſichtspunkt iſt, woraus man das willige Uebernehmen aller ſei- ner Leiden beurtheilen muß, daß dieſe die einzige Triebfeder ſeiner Aufopferung für die Menſchen war. Und ſchon das muß jeden überzeugen, daß noch nie ein Menſch gelebt hat, der mehr Größe des Geiſtes und mehr Vortreflichkeit des Herzens in ſich vereinig- te, als Jeſus. Denn hier ſagt er es ja grade her- aus: es iſt mir darum zu thun, daß ich der Welt einen entſcheidenden Beweis gebe, wie ſehr ich mei- nen Vater liebe, und wie bereit ich bin, den Auf- trag deſſelben zu vollbringen; wie geneigt ich bin, aus Liebe zu ihm alle ſeine Vorſchriften, auch die härteſten und bitterſten, genau zu befolgen; wohl- an, ſo kommt, wir wollen nun dahin gehen, wo mein letztes härteſtes Schickſal für mich entſchieden wird. Hier traf es alſo recht ein: der Liebe wird alles *) Joh. 14, 31. 32. D 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/77
Zitationshilfe: Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/77>, abgerufen am 22.11.2024.