Vierundsechszigste Betrachtung. Jesu Fürsorge für die Seinigen im Tode.
1 Timoth. 5, 28.
So jemand die Seinen, sonderlich seine Hausgenossen, nicht versorget, der ist ärger als ein Heide, und hat den Glauben ver- leugnet.
Der Erlöser mußte zwar am Ende seines Lebens mehr leiden, als je ein Sterblicher gelitten, als je ein Heiliger auf Erden erduldet hat; demohn- geachtet vergaß er dabey diejenigen nicht, die seinem Herzen bisher so theuer und lieb waren, er suchte sie vielmehr zu beruhigen, und vor ähnlichen Mißhand- lungen in Sicherheit zu setzen. Besonders rührte ihn der Anblick seiner trostlosen Mutter, die ihn nebst einigen andern Freundinnen und dem liebevollen Jo- hannes, bis zum Kreuze begleitet hatte. Sie, die sonst so glücklich gepriesene Mutter, mußte itzt sehen, daß ihr Sohn, der weder sie, noch sonst einen Men- schen je betrübt hatte, der die Tugend und Unschuld selbst war, wie ein verworfener Missethäter hinge- richtet wurde. Nicht von ohngefähr warf Jesus auf diese seine gebeugte Mutter einen mitleidsvollen Blick vom Kreuze herab, sondern es geschahe mit gutem Vorbedacht. Unter der Menge des anwesenden
Volks
Vierundſechszigſte Betrachtung. Jeſu Fürſorge für die Seinigen im Tode.
1 Timoth. 5, 28.
So jemand die Seinen, ſonderlich ſeine Hausgenoſſen, nicht verſorget, der iſt ärger als ein Heide, und hat den Glauben ver- leugnet.
Der Erlöſer mußte zwar am Ende ſeines Lebens mehr leiden, als je ein Sterblicher gelitten, als je ein Heiliger auf Erden erduldet hat; demohn- geachtet vergaß er dabey diejenigen nicht, die ſeinem Herzen bisher ſo theuer und lieb waren, er ſuchte ſie vielmehr zu beruhigen, und vor ähnlichen Mißhand- lungen in Sicherheit zu ſetzen. Beſonders rührte ihn der Anblick ſeiner troſtloſen Mutter, die ihn nebſt einigen andern Freundinnen und dem liebevollen Jo- hannes, bis zum Kreuze begleitet hatte. Sie, die ſonſt ſo glücklich geprieſene Mutter, mußte itzt ſehen, daß ihr Sohn, der weder ſie, noch ſonſt einen Men- ſchen je betrübt hatte, der die Tugend und Unſchuld ſelbſt war, wie ein verworfener Miſſethäter hinge- richtet wurde. Nicht von ohngefähr warf Jeſus auf dieſe ſeine gebeugte Mutter einen mitleidsvollen Blick vom Kreuze herab, ſondern es geſchahe mit gutem Vorbedacht. Unter der Menge des anweſenden
Volks
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Vierundſechszigſte Betrachtung.
Jeſu Fürſorge für die Seinigen im Tode.
1 Timoth. 5, 28.
So jemand die Seinen, ſonderlich ſeine Hausgenoſſen, nicht
verſorget, der iſt ärger als ein Heide, und hat den Glauben ver-
leugnet.
Der Erlöſer mußte zwar am Ende ſeines Lebens
mehr leiden, als je ein Sterblicher gelitten,
als je ein Heiliger auf Erden erduldet hat; demohn-
geachtet vergaß er dabey diejenigen nicht, die ſeinem
Herzen bisher ſo theuer und lieb waren, er ſuchte ſie
vielmehr zu beruhigen, und vor ähnlichen Mißhand-
lungen in Sicherheit zu ſetzen. Beſonders rührte
ihn der Anblick ſeiner troſtloſen Mutter, die ihn nebſt
einigen andern Freundinnen und dem liebevollen Jo-
hannes, bis zum Kreuze begleitet hatte. Sie, die
ſonſt ſo glücklich geprieſene Mutter, mußte itzt ſehen,
daß ihr Sohn, der weder ſie, noch ſonſt einen Men-
ſchen je betrübt hatte, der die Tugend und Unſchuld
ſelbſt war, wie ein verworfener Miſſethäter hinge-
richtet wurde. Nicht von ohngefähr warf Jeſus auf
dieſe ſeine gebeugte Mutter einen mitleidsvollen Blick
vom Kreuze herab, ſondern es geſchahe mit gutem
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Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 422. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/448>, abgerufen am 22.11.2024.
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