Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.LX. Betrachtung. nen mehrmals zum Muster der Nachahmung an-pries. Sehr rührend ist daher die Geschichte, wel- che Matthäus von seiner liebreichen Herablassung ge- gen Kinder erzählt,*) und sie ist zugleich ein Beweis von dem großen Werthe, den selbst Kinder in den Augen Jesu hatten. Religiöse Eltern unter den Ju- den pflegten nehmlich die Lehrer oft um einen Segen für ihre Kinder zu bitten, weil sie aus der Geschichte ihrer Vorfahren wußten, daß die guten Wünsche und Fürbitten frommer Männer, und die Segnun- gen ihrer Vorältern recht augenscheinlich waren er- füllt und erhört worden, wie z. B. die Segnungen Jacobs für seine Kinder, und des Mose für das gan- ze jüdische Volk. Diese Gewohnheit war also kein leerer Aberglaube, wenn auch gleich gemeine Juden zu viel ungegründetes Vertrauen darauf setzten, und von dem Händeauflegen eines Lehrers zu viel Gutes erwarteten. Da nun Jesus durch seine Frömmig- keit und herablassende Herzensgüte allgemein bekannt war, da man ihn wegen seiner großen Wunder für einen göttlichen Propheten hielt, so erregte diese Ue- berzeugung in vieler Eltern Herzen den Wunsch, daß er ihren Kindern seinen Segen ertheilen möchte, weil sie sich die kräftigste Wirkung davon für die Zukunft versprachen. "Warum," dachten sie vielleicht, "warum sollte er, der von dem Allmächtigen alles er- "bitten kann, nicht auch unsere Kinder durch seine "Se- *) Matth. 19, 13. ff.
LX. Betrachtung. nen mehrmals zum Muſter der Nachahmung an-pries. Sehr rührend iſt daher die Geſchichte, wel- che Matthäus von ſeiner liebreichen Herablaſſung ge- gen Kinder erzählt,*) und ſie iſt zugleich ein Beweis von dem großen Werthe, den ſelbſt Kinder in den Augen Jeſu hatten. Religiöſe Eltern unter den Ju- den pflegten nehmlich die Lehrer oft um einen Segen für ihre Kinder zu bitten, weil ſie aus der Geſchichte ihrer Vorfahren wußten, daß die guten Wünſche und Fürbitten frommer Männer, und die Segnun- gen ihrer Vorältern recht augenſcheinlich waren er- füllt und erhört worden, wie z. B. die Segnungen Jacobs für ſeine Kinder, und des Moſe für das gan- ze jüdiſche Volk. Dieſe Gewohnheit war alſo kein leerer Aberglaube, wenn auch gleich gemeine Juden zu viel ungegründetes Vertrauen darauf ſetzten, und von dem Händeauflegen eines Lehrers zu viel Gutes erwarteten. Da nun Jeſus durch ſeine Frömmig- keit und herablaſſende Herzensgüte allgemein bekannt war, da man ihn wegen ſeiner großen Wunder für einen göttlichen Propheten hielt, ſo erregte dieſe Ue- berzeugung in vieler Eltern Herzen den Wunſch, daß er ihren Kindern ſeinen Segen ertheilen möchte, weil ſie ſich die kräftigſte Wirkung davon für die Zukunft verſprachen. „Warum,“ dachten ſie vielleicht, „warum ſollte er, der von dem Allmächtigen alles er- „bitten kann, nicht auch unſere Kinder durch ſeine „Se- *) Matth. 19, 13. ff.
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LX. Betrachtung.
nen mehrmals zum Muſter der Nachahmung an-
pries. Sehr rührend iſt daher die Geſchichte, wel-
che Matthäus von ſeiner liebreichen Herablaſſung ge-
gen Kinder erzählt, *) und ſie iſt zugleich ein Beweis
von dem großen Werthe, den ſelbſt Kinder in den
Augen Jeſu hatten. Religiöſe Eltern unter den Ju-
den pflegten nehmlich die Lehrer oft um einen Segen
für ihre Kinder zu bitten, weil ſie aus der Geſchichte
ihrer Vorfahren wußten, daß die guten Wünſche
und Fürbitten frommer Männer, und die Segnun-
gen ihrer Vorältern recht augenſcheinlich waren er-
füllt und erhört worden, wie z. B. die Segnungen
Jacobs für ſeine Kinder, und des Moſe für das gan-
ze jüdiſche Volk. Dieſe Gewohnheit war alſo kein
leerer Aberglaube, wenn auch gleich gemeine Juden
zu viel ungegründetes Vertrauen darauf ſetzten, und
von dem Händeauflegen eines Lehrers zu viel Gutes
erwarteten. Da nun Jeſus durch ſeine Frömmig-
keit und herablaſſende Herzensgüte allgemein bekannt
war, da man ihn wegen ſeiner großen Wunder für
einen göttlichen Propheten hielt, ſo erregte dieſe Ue-
berzeugung in vieler Eltern Herzen den Wunſch, daß
er ihren Kindern ſeinen Segen ertheilen möchte, weil
ſie ſich die kräftigſte Wirkung davon für die Zukunft
verſprachen. „Warum,“ dachten ſie vielleicht,
„warum ſollte er, der von dem Allmächtigen alles er-
„bitten kann, nicht auch unſere Kinder durch ſeine
„Se-
*) Matth. 19, 13. ff.
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