Fünfundfunfzigste Betrachtung. Jesu Verhalten im gesellschaftlichen Umgange und bey der Theilnehmung an unschul- digen Freuden.
Sirach 9, 23.
Sey frölich, doch mit Gottesfurcht.
Die Tugend Jesu war von allem finstern Ernste und von aller ungeselligen Strenge ganz ent- fernt. Geselligkeit war vielmehr ein Hauptzug in sei- nem Charakter, und sein gefälliger liebevoller Um- gang leuchtet jedem, der ihn näher beobachtet, sogleich in die Augen. Waren die Menschen seines Zeitalters gleich nicht so beschaffen, wie er sie sich wünschte und wie er sie gern bilden wollte: so flohe er doch nicht ihre Gesellschaften. Er lebte nicht, wie Johannes, immer in wüsten, einöden Gegenden, und führte nicht wie dieser, nach der Gewohnheit der alten Pro- pheten, ein strenges rauhes Leben, sondern er war immer unter den Menschen, er besuchte ihre Gast- mäler, genoß wie sie die sinnlichen Ergötzungen des Lebens, und setzte das Wesen der Religion nicht in eine gänzliche Entfernung von der Welt. Er gieng als ein geselliger Mensch, der gern an unschuldigen Freuden Theil nahm, selbst auf ein hochzeitliches
Gast-
Fünfundfunfzigſte Betrachtung. Jeſu Verhalten im geſellſchaftlichen Umgange und bey der Theilnehmung an unſchul- digen Freuden.
Sirach 9, 23.
Sey frölich, doch mit Gottesfurcht.
Die Tugend Jeſu war von allem finſtern Ernſte und von aller ungeſelligen Strenge ganz ent- fernt. Geſelligkeit war vielmehr ein Hauptzug in ſei- nem Charakter, und ſein gefälliger liebevoller Um- gang leuchtet jedem, der ihn näher beobachtet, ſogleich in die Augen. Waren die Menſchen ſeines Zeitalters gleich nicht ſo beſchaffen, wie er ſie ſich wünſchte und wie er ſie gern bilden wollte: ſo flohe er doch nicht ihre Geſellſchaften. Er lebte nicht, wie Johannes, immer in wüſten, einöden Gegenden, und führte nicht wie dieſer, nach der Gewohnheit der alten Pro- pheten, ein ſtrenges rauhes Leben, ſondern er war immer unter den Menſchen, er beſuchte ihre Gaſt- mäler, genoß wie ſie die ſinnlichen Ergötzungen des Lebens, und ſetzte das Weſen der Religion nicht in eine gänzliche Entfernung von der Welt. Er gieng als ein geſelliger Menſch, der gern an unſchuldigen Freuden Theil nahm, ſelbſt auf ein hochzeitliches
Gaſt-
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Fünfundfunfzigſte Betrachtung.
Jeſu Verhalten im geſellſchaftlichen Umgange
und bey der Theilnehmung an unſchul-
digen Freuden.
Sirach 9, 23.
Sey frölich, doch mit Gottesfurcht.
Die Tugend Jeſu war von allem finſtern Ernſte
und von aller ungeſelligen Strenge ganz ent-
fernt. Geſelligkeit war vielmehr ein Hauptzug in ſei-
nem Charakter, und ſein gefälliger liebevoller Um-
gang leuchtet jedem, der ihn näher beobachtet, ſogleich
in die Augen. Waren die Menſchen ſeines Zeitalters
gleich nicht ſo beſchaffen, wie er ſie ſich wünſchte und
wie er ſie gern bilden wollte: ſo flohe er doch nicht
ihre Geſellſchaften. Er lebte nicht, wie Johannes,
immer in wüſten, einöden Gegenden, und führte
nicht wie dieſer, nach der Gewohnheit der alten Pro-
pheten, ein ſtrenges rauhes Leben, ſondern er war
immer unter den Menſchen, er beſuchte ihre Gaſt-
mäler, genoß wie ſie die ſinnlichen Ergötzungen des
Lebens, und ſetzte das Weſen der Religion nicht in
eine gänzliche Entfernung von der Welt. Er gieng
als ein geſelliger Menſch, der gern an unſchuldigen
Freuden Theil nahm, ſelbſt auf ein hochzeitliches
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Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/388>, abgerufen am 23.11.2024.
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