Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite


Fünfundfunfzigste Betrachtung.
Jesu Verhalten im gesellschaftlichen Umgange
und bey der Theilnehmung an unschul-
digen Freuden.

Sirach 9, 23.

Sey frölich, doch mit Gottesfurcht.

Die Tugend Jesu war von allem finstern Ernste
und von aller ungeselligen Strenge ganz ent-
fernt. Geselligkeit war vielmehr ein Hauptzug in sei-
nem Charakter, und sein gefälliger liebevoller Um-
gang leuchtet jedem, der ihn näher beobachtet, sogleich
in die Augen. Waren die Menschen seines Zeitalters
gleich nicht so beschaffen, wie er sie sich wünschte und
wie er sie gern bilden wollte: so flohe er doch nicht
ihre Gesellschaften. Er lebte nicht, wie Johannes,
immer in wüsten, einöden Gegenden, und führte
nicht wie dieser, nach der Gewohnheit der alten Pro-
pheten, ein strenges rauhes Leben, sondern er war
immer unter den Menschen, er besuchte ihre Gast-
mäler, genoß wie sie die sinnlichen Ergötzungen des
Lebens, und setzte das Wesen der Religion nicht in
eine gänzliche Entfernung von der Welt. Er gieng
als ein geselliger Mensch, der gern an unschuldigen
Freuden Theil nahm, selbst auf ein hochzeitliches

Gast-


Fünfundfunfzigſte Betrachtung.
Jeſu Verhalten im geſellſchaftlichen Umgange
und bey der Theilnehmung an unſchul-
digen Freuden.

Sirach 9, 23.

Sey frölich, doch mit Gottesfurcht.

Die Tugend Jeſu war von allem finſtern Ernſte
und von aller ungeſelligen Strenge ganz ent-
fernt. Geſelligkeit war vielmehr ein Hauptzug in ſei-
nem Charakter, und ſein gefälliger liebevoller Um-
gang leuchtet jedem, der ihn näher beobachtet, ſogleich
in die Augen. Waren die Menſchen ſeines Zeitalters
gleich nicht ſo beſchaffen, wie er ſie ſich wünſchte und
wie er ſie gern bilden wollte: ſo flohe er doch nicht
ihre Geſellſchaften. Er lebte nicht, wie Johannes,
immer in wüſten, einöden Gegenden, und führte
nicht wie dieſer, nach der Gewohnheit der alten Pro-
pheten, ein ſtrenges rauhes Leben, ſondern er war
immer unter den Menſchen, er beſuchte ihre Gaſt-
mäler, genoß wie ſie die ſinnlichen Ergötzungen des
Lebens, und ſetzte das Weſen der Religion nicht in
eine gänzliche Entfernung von der Welt. Er gieng
als ein geſelliger Menſch, der gern an unſchuldigen
Freuden Theil nahm, ſelbſt auf ein hochzeitliches

Gaſt-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0388" n="362"/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <div n="2">
          <head>Fünfundfunfzig&#x017F;te Betrachtung.<lb/>
Je&#x017F;u Verhalten im ge&#x017F;ell&#x017F;chaftlichen Umgange<lb/>
und bey der Theilnehmung an un&#x017F;chul-<lb/>
digen Freuden.</head><lb/>
          <p> <hi rendition="#c">Sirach 9, 23.</hi> </p><lb/>
          <p>Sey frölich, doch mit Gottesfurcht.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#in">D</hi>ie Tugend Je&#x017F;u war von allem fin&#x017F;tern Ern&#x017F;te<lb/>
und von aller unge&#x017F;elligen Strenge ganz ent-<lb/>
fernt. Ge&#x017F;elligkeit war vielmehr ein Hauptzug in &#x017F;ei-<lb/>
nem Charakter, und &#x017F;ein gefälliger liebevoller Um-<lb/>
gang leuchtet jedem, der ihn näher beobachtet, &#x017F;ogleich<lb/>
in die Augen. Waren die Men&#x017F;chen &#x017F;eines Zeitalters<lb/>
gleich nicht &#x017F;o be&#x017F;chaffen, wie er &#x017F;ie &#x017F;ich wün&#x017F;chte und<lb/>
wie er &#x017F;ie gern bilden wollte: &#x017F;o flohe er doch nicht<lb/>
ihre Ge&#x017F;ell&#x017F;chaften. Er lebte nicht, wie Johannes,<lb/>
immer in wü&#x017F;ten, einöden Gegenden, und führte<lb/>
nicht wie die&#x017F;er, nach der Gewohnheit der alten Pro-<lb/>
pheten, ein &#x017F;trenges rauhes Leben, &#x017F;ondern er war<lb/>
immer unter den Men&#x017F;chen, er be&#x017F;uchte ihre Ga&#x017F;t-<lb/>
mäler, genoß wie &#x017F;ie die &#x017F;innlichen Ergötzungen des<lb/>
Lebens, und &#x017F;etzte das We&#x017F;en der Religion nicht in<lb/>
eine gänzliche Entfernung von der Welt. Er gieng<lb/>
als ein ge&#x017F;elliger Men&#x017F;ch, der gern an un&#x017F;chuldigen<lb/>
Freuden Theil nahm, &#x017F;elb&#x017F;t auf ein hochzeitliches<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Ga&#x017F;t-</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[362/0388] Fünfundfunfzigſte Betrachtung. Jeſu Verhalten im geſellſchaftlichen Umgange und bey der Theilnehmung an unſchul- digen Freuden. Sirach 9, 23. Sey frölich, doch mit Gottesfurcht. Die Tugend Jeſu war von allem finſtern Ernſte und von aller ungeſelligen Strenge ganz ent- fernt. Geſelligkeit war vielmehr ein Hauptzug in ſei- nem Charakter, und ſein gefälliger liebevoller Um- gang leuchtet jedem, der ihn näher beobachtet, ſogleich in die Augen. Waren die Menſchen ſeines Zeitalters gleich nicht ſo beſchaffen, wie er ſie ſich wünſchte und wie er ſie gern bilden wollte: ſo flohe er doch nicht ihre Geſellſchaften. Er lebte nicht, wie Johannes, immer in wüſten, einöden Gegenden, und führte nicht wie dieſer, nach der Gewohnheit der alten Pro- pheten, ein ſtrenges rauhes Leben, ſondern er war immer unter den Menſchen, er beſuchte ihre Gaſt- mäler, genoß wie ſie die ſinnlichen Ergötzungen des Lebens, und ſetzte das Weſen der Religion nicht in eine gänzliche Entfernung von der Welt. Er gieng als ein geſelliger Menſch, der gern an unſchuldigen Freuden Theil nahm, ſelbſt auf ein hochzeitliches Gaſt-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/388
Zitationshilfe: Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/388>, abgerufen am 23.11.2024.