Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.LII. Betrachtung. bens Mühseligkeit zu erleichtern. Nie muß dich aberdie Liebe zu den Deinigen gegen andre Menschen gleichgültig, gegen fremdes Verdienst ungerecht, und gegen ihr Elend fühllos machen, denn sie sind alle dei- ne Brüder, alle Kinder deines Vaters im Himmel. Nie mußt du aus Liebe zu ihnen dein Gewissen und deine Pflicht verletzen; jedem mußt du Gerechtigkeit wiederfahren lassen; Unrecht und Betrug mußt du überall hindern, wo du kannst, sollte auch dein lieb- ster Freund dabey verlieren. Siehst du deine Ver- wandte und Freunde fehlen und Böses thun, so mußt du zwar vorzügliche Geduld und Schonung gegen sie beweisen, aber du darfst aus Nachsicht gegen sie nicht ganz stille dazu schweigen, sonst würdest du aus über- triebner Zärtlichkeit an ihren Sünden Theil nehmen; du mußt sie vielmehr liebreich an ihre Fehler erinnern; und wenn du deinen Warnungen alle das Angeneh- me und Sanfte giebst, was die Freundschaft hat, so darfst du nicht befürchten, ihre Liebe und Achtung zu verlieren. Denn sie werden dir es Dank wissen, daß du ihnen diesen Beweis deiner Freundschaft gabst, so bald sie es nur merken, wie gut du es mit ihnen meynst. Laß aber auch stets dein Licht vor ihnen leuchten, gieb ihnen durch dein rechtschaffenes Be- tragen ein gutes Beyspiel, und siehe nicht blos dar- auf, daß sie während deines Lebens auf Erden deine Freunde sind, sondern strebe darnach, daß sie auch einst
LII. Betrachtung. bens Mühſeligkeit zu erleichtern. Nie muß dich aberdie Liebe zu den Deinigen gegen andre Menſchen gleichgültig, gegen fremdes Verdienſt ungerecht, und gegen ihr Elend fühllos machen, denn ſie ſind alle dei- ne Brüder, alle Kinder deines Vaters im Himmel. Nie mußt du aus Liebe zu ihnen dein Gewiſſen und deine Pflicht verletzen; jedem mußt du Gerechtigkeit wiederfahren laſſen; Unrecht und Betrug mußt du überall hindern, wo du kannſt, ſollte auch dein lieb- ſter Freund dabey verlieren. Siehſt du deine Ver- wandte und Freunde fehlen und Böſes thun, ſo mußt du zwar vorzügliche Geduld und Schonung gegen ſie beweiſen, aber du darfſt aus Nachſicht gegen ſie nicht ganz ſtille dazu ſchweigen, ſonſt würdeſt du aus über- triebner Zärtlichkeit an ihren Sünden Theil nehmen; du mußt ſie vielmehr liebreich an ihre Fehler erinnern; und wenn du deinen Warnungen alle das Angeneh- me und Sanfte giebſt, was die Freundſchaft hat, ſo darfſt du nicht befürchten, ihre Liebe und Achtung zu verlieren. Denn ſie werden dir es Dank wiſſen, daß du ihnen dieſen Beweis deiner Freundſchaft gabſt, ſo bald ſie es nur merken, wie gut du es mit ihnen meynſt. Laß aber auch ſtets dein Licht vor ihnen leuchten, gieb ihnen durch dein rechtſchaffenes Be- tragen ein gutes Beyſpiel, und ſiehe nicht blos dar- auf, daß ſie während deines Lebens auf Erden deine Freunde ſind, ſondern ſtrebe darnach, daß ſie auch einſt
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LII. Betrachtung.
bens Mühſeligkeit zu erleichtern. Nie muß dich aber
die Liebe zu den Deinigen gegen andre Menſchen
gleichgültig, gegen fremdes Verdienſt ungerecht, und
gegen ihr Elend fühllos machen, denn ſie ſind alle dei-
ne Brüder, alle Kinder deines Vaters im Himmel.
Nie mußt du aus Liebe zu ihnen dein Gewiſſen und
deine Pflicht verletzen; jedem mußt du Gerechtigkeit
wiederfahren laſſen; Unrecht und Betrug mußt du
überall hindern, wo du kannſt, ſollte auch dein lieb-
ſter Freund dabey verlieren. Siehſt du deine Ver-
wandte und Freunde fehlen und Böſes thun, ſo mußt
du zwar vorzügliche Geduld und Schonung gegen ſie
beweiſen, aber du darfſt aus Nachſicht gegen ſie nicht
ganz ſtille dazu ſchweigen, ſonſt würdeſt du aus über-
triebner Zärtlichkeit an ihren Sünden Theil nehmen;
du mußt ſie vielmehr liebreich an ihre Fehler erinnern;
und wenn du deinen Warnungen alle das Angeneh-
me und Sanfte giebſt, was die Freundſchaft hat, ſo
darfſt du nicht befürchten, ihre Liebe und Achtung zu
verlieren. Denn ſie werden dir es Dank wiſſen, daß
du ihnen dieſen Beweis deiner Freundſchaft gabſt, ſo
bald ſie es nur merken, wie gut du es mit ihnen
meynſt. Laß aber auch ſtets dein Licht vor ihnen
leuchten, gieb ihnen durch dein rechtſchaffenes Be-
tragen ein gutes Beyſpiel, und ſiehe nicht blos dar-
auf, daß ſie während deines Lebens auf Erden deine
Freunde ſind, ſondern ſtrebe darnach, daß ſie auch
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