Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.LII. Betrachtung. allein sagte er grade heraus, daß er leiden und ster-ben müsse. Und welche Sorgfalt wandte er nicht an, um sie in den letzten Stunden zu trösten, zu warnen, in Sicherheit zu bringen, und mit froher Hofnung für die Zukunft zu erfüllen. Je näher die Stunde heran nahete, wo er sich von diesen geliebten Personen trennen sollte, desto mehr öfnete sich sein Herz gegen dieselben, um sie über seinen bevorstehen- den Abschied zu trösten. Ja seine Verwandte und Freunde waren es, denen er nach seiner Auferstehung erschien; nur diese hatten die größte Freude, die je- mals Menschen zu Theil geworden ist, den Aufer- standenen Gottes zu sehen. Sein Herz, das ganz für die reizvollen Gefühle der Freundschaft geschaffen war, suchte sich außerhalb der Stadt Jerusalem ei- nen Lazarus auf. Bethanien war der stille glückliche Ort, wo er hatte, was er in Jerusalem nicht fand, und wohin er bey anbrechendem Abende mit Freuden gieng, um bey seinen Geliebten unter den vertraute- sten Gesprächen die Glückseligkeit der Freundschaft zu genießen. Hier im Zirkel dieser frommen Fami- lie ruhte er von seinen Reisen oder auch von seinen mühsamen Arbeiten aus, die ihn den Tag über be- schäftiget hatten. Wie wohl mochte ihm da seyn, dem guten Erlöser, wenn die redlichen edlen Seelen um ihn herum versammlet waren, ihm, der den Tag über mit stolzen Heuchlern und mit arglistigen Fein- den Y 3
LII. Betrachtung. allein ſagte er grade heraus, daß er leiden und ſter-ben müſſe. Und welche Sorgfalt wandte er nicht an, um ſie in den letzten Stunden zu tröſten, zu warnen, in Sicherheit zu bringen, und mit froher Hofnung für die Zukunft zu erfüllen. Je näher die Stunde heran nahete, wo er ſich von dieſen geliebten Perſonen trennen ſollte, deſto mehr öfnete ſich ſein Herz gegen dieſelben, um ſie über ſeinen bevorſtehen- den Abſchied zu tröſten. Ja ſeine Verwandte und Freunde waren es, denen er nach ſeiner Auferſtehung erſchien; nur dieſe hatten die größte Freude, die je- mals Menſchen zu Theil geworden iſt, den Aufer- ſtandenen Gottes zu ſehen. Sein Herz, das ganz für die reizvollen Gefühle der Freundſchaft geſchaffen war, ſuchte ſich außerhalb der Stadt Jeruſalem ei- nen Lazarus auf. Bethanien war der ſtille glückliche Ort, wo er hatte, was er in Jeruſalem nicht fand, und wohin er bey anbrechendem Abende mit Freuden gieng, um bey ſeinen Geliebten unter den vertraute- ſten Geſprächen die Glückſeligkeit der Freundſchaft zu genießen. Hier im Zirkel dieſer frommen Fami- lie ruhte er von ſeinen Reiſen oder auch von ſeinen mühſamen Arbeiten aus, die ihn den Tag über be- ſchäftiget hatten. Wie wohl mochte ihm da ſeyn, dem guten Erlöſer, wenn die redlichen edlen Seelen um ihn herum verſammlet waren, ihm, der den Tag über mit ſtolzen Heuchlern und mit argliſtigen Fein- den Y 3
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LII. Betrachtung.
allein ſagte er grade heraus, daß er leiden und ſter-
ben müſſe. Und welche Sorgfalt wandte er nicht
an, um ſie in den letzten Stunden zu tröſten, zu
warnen, in Sicherheit zu bringen, und mit froher
Hofnung für die Zukunft zu erfüllen. Je näher die
Stunde heran nahete, wo er ſich von dieſen geliebten
Perſonen trennen ſollte, deſto mehr öfnete ſich ſein
Herz gegen dieſelben, um ſie über ſeinen bevorſtehen-
den Abſchied zu tröſten. Ja ſeine Verwandte und
Freunde waren es, denen er nach ſeiner Auferſtehung
erſchien; nur dieſe hatten die größte Freude, die je-
mals Menſchen zu Theil geworden iſt, den Aufer-
ſtandenen Gottes zu ſehen. Sein Herz, das ganz
für die reizvollen Gefühle der Freundſchaft geſchaffen
war, ſuchte ſich außerhalb der Stadt Jeruſalem ei-
nen Lazarus auf. Bethanien war der ſtille glückliche
Ort, wo er hatte, was er in Jeruſalem nicht fand,
und wohin er bey anbrechendem Abende mit Freuden
gieng, um bey ſeinen Geliebten unter den vertraute-
ſten Geſprächen die Glückſeligkeit der Freundſchaft
zu genießen. Hier im Zirkel dieſer frommen Fami-
lie ruhte er von ſeinen Reiſen oder auch von ſeinen
mühſamen Arbeiten aus, die ihn den Tag über be-
ſchäftiget hatten. Wie wohl mochte ihm da ſeyn,
dem guten Erlöſer, wenn die redlichen edlen Seelen
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