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Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.

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LI. Betrachtung.
den gemacht hatte: er predigte gewaltig, und nicht
wie die Schriftgelehrten.
*) Seine ganze Lehrart
hatte den großen Vorzug, daß sie den Regeln der
Klugheit stets gemäß war. Er bestritt nicht alle
Vorurtheile und Jrrthümer auf einmal, sondern
dann, wenn es am schicklichsten und nöthigsten war;
er trug nicht alles auf einmal vor, sondern richtete
sich nach den jedesmaligen Fähigkeiten seiner Zuhö-
rer. Jn seinen Reden und Lehrvorträgen hörte man
zuerst wieder die Einfalt und Erhabenheit der alten
Propheten; sein Vortrag empfahl sich jedesmal
durch seine Neuheit und Ueberzeugungskraft, so wie
er überhaupt die natürlichen Begriffe, vom Unter-
schied des Guten und Bösen hervor zog, dahingegen
in dem Lehrgebäude der Schriftgelehrten wenig ge-
sunder Menschenverstand herrschte. Er trug seine
Lehren nicht in trockenen Sätzen, sondern in anmu-
thigen passenden Gleichnissen vor, wie z. B. das
vom verlohrnen Sohne, welches so unnachahmlich
schön ist. Denn er wußte, daß passende Beyspiele
viel stärker auf das Herz und auf den Verstand der
Menschen wirken, als trockne Lehren; gerade so wie
ein Blick auf ein wohlgetroffenes Gemälde mehr
ausrichtet, als eine weitläuftige Beschreibung dessel-
ben. Sein Vortrag war daher immer so überzeu-
gend, so herzrührend, daß selbst diejenigen, die wi-
der ihn eingenommen waren, von ihm urtheilten: so

hat
*) Matth. 7, 29.

LI. Betrachtung.
den gemacht hatte: er predigte gewaltig, und nicht
wie die Schriftgelehrten.
*) Seine ganze Lehrart
hatte den großen Vorzug, daß ſie den Regeln der
Klugheit ſtets gemäß war. Er beſtritt nicht alle
Vorurtheile und Jrrthümer auf einmal, ſondern
dann, wenn es am ſchicklichſten und nöthigſten war;
er trug nicht alles auf einmal vor, ſondern richtete
ſich nach den jedesmaligen Fähigkeiten ſeiner Zuhö-
rer. Jn ſeinen Reden und Lehrvorträgen hörte man
zuerſt wieder die Einfalt und Erhabenheit der alten
Propheten; ſein Vortrag empfahl ſich jedesmal
durch ſeine Neuheit und Ueberzeugungskraft, ſo wie
er überhaupt die natürlichen Begriffe, vom Unter-
ſchied des Guten und Böſen hervor zog, dahingegen
in dem Lehrgebäude der Schriftgelehrten wenig ge-
ſunder Menſchenverſtand herrſchte. Er trug ſeine
Lehren nicht in trockenen Sätzen, ſondern in anmu-
thigen paſſenden Gleichniſſen vor, wie z. B. das
vom verlohrnen Sohne, welches ſo unnachahmlich
ſchön iſt. Denn er wußte, daß paſſende Beyſpiele
viel ſtärker auf das Herz und auf den Verſtand der
Menſchen wirken, als trockne Lehren; gerade ſo wie
ein Blick auf ein wohlgetroffenes Gemälde mehr
ausrichtet, als eine weitläuftige Beſchreibung deſſel-
ben. Sein Vortrag war daher immer ſo überzeu-
gend, ſo herzrührend, daß ſelbſt diejenigen, die wi-
der ihn eingenommen waren, von ihm urtheilten: ſo

hat
*) Matth. 7, 29.
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[334/0360] LI. Betrachtung. den gemacht hatte: er predigte gewaltig, und nicht wie die Schriftgelehrten. *) Seine ganze Lehrart hatte den großen Vorzug, daß ſie den Regeln der Klugheit ſtets gemäß war. Er beſtritt nicht alle Vorurtheile und Jrrthümer auf einmal, ſondern dann, wenn es am ſchicklichſten und nöthigſten war; er trug nicht alles auf einmal vor, ſondern richtete ſich nach den jedesmaligen Fähigkeiten ſeiner Zuhö- rer. Jn ſeinen Reden und Lehrvorträgen hörte man zuerſt wieder die Einfalt und Erhabenheit der alten Propheten; ſein Vortrag empfahl ſich jedesmal durch ſeine Neuheit und Ueberzeugungskraft, ſo wie er überhaupt die natürlichen Begriffe, vom Unter- ſchied des Guten und Böſen hervor zog, dahingegen in dem Lehrgebäude der Schriftgelehrten wenig ge- ſunder Menſchenverſtand herrſchte. Er trug ſeine Lehren nicht in trockenen Sätzen, ſondern in anmu- thigen paſſenden Gleichniſſen vor, wie z. B. das vom verlohrnen Sohne, welches ſo unnachahmlich ſchön iſt. Denn er wußte, daß paſſende Beyſpiele viel ſtärker auf das Herz und auf den Verſtand der Menſchen wirken, als trockne Lehren; gerade ſo wie ein Blick auf ein wohlgetroffenes Gemälde mehr ausrichtet, als eine weitläuftige Beſchreibung deſſel- ben. Sein Vortrag war daher immer ſo überzeu- gend, ſo herzrührend, daß ſelbſt diejenigen, die wi- der ihn eingenommen waren, von ihm urtheilten: ſo hat *) Matth. 7, 29.

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Zitationshilfe: Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 334. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/360>, abgerufen am 23.11.2024.