Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.XLVIII. Betrachtung. ist. Allein ich sehe auch ein, wie leicht bey mir dieseGemüthsbewegung ausschweifen und ausarten, ich weis, wie leicht sie zur heftigsten Leidenschaft werden kann, welche die Ruhe meines Herzens und die Ge- sundheit meines Körpers zu zerrütten droht. Stets will ich also meine Empfindlichkeit über angethane Beleidigungen mäßigen, und die Ermahnung befol- gen: zürnet und sündiget nicht, lasset die Sonne nicht über euern Zorn untergehen.*) Wachen will ich über mich selbst, daß mein auch gerechter Unwille nicht in Haß und Feindseligkeit ausarten könne. Mit großer Vorsichtigkeit will ich den nähern und öftern Umgang mit heftigen und hitzigen Personen meiden; nie will ich mich ohne Noth mit ihnen in Streitig- keiten einlassen, sie könnten mir sonst leicht den Geist einer aufbrausenden Hitze mittheilen. Oft will ich mir es vorsagen, daß die meisten Beleidigungen mir nicht an meiner wahren Glückseligkeit schaden, und daß sie nicht immer aus einem boshaften Herzen kom- men, sondern daß sie größtentheils aus Unverstand, aus Mangel an Ueberlegung und Lebensart, so wie von bösartigen Aufhetzern und Ohrenbläsern, herrüh- ren; denn wir fehlen alle mannigfaltig.**) Schwer wird es mir freylich werden, wenn ich meinen Unwil- len mäßigen, und die heftigen Aufwallungen des Zorns unterdrücken soll. Aber dann will ich auf dich, das vor- *) Ephes. 4, 26. **) Jacob. 3, 2.
XLVIII. Betrachtung. iſt. Allein ich ſehe auch ein, wie leicht bey mir dieſeGemüthsbewegung ausſchweifen und ausarten, ich weis, wie leicht ſie zur heftigſten Leidenſchaft werden kann, welche die Ruhe meines Herzens und die Ge- ſundheit meines Körpers zu zerrütten droht. Stets will ich alſo meine Empfindlichkeit über angethane Beleidigungen mäßigen, und die Ermahnung befol- gen: zürnet und ſündiget nicht, laſſet die Sonne nicht über euern Zorn untergehen.*) Wachen will ich über mich ſelbſt, daß mein auch gerechter Unwille nicht in Haß und Feindſeligkeit ausarten könne. Mit großer Vorſichtigkeit will ich den nähern und öftern Umgang mit heftigen und hitzigen Perſonen meiden; nie will ich mich ohne Noth mit ihnen in Streitig- keiten einlaſſen, ſie könnten mir ſonſt leicht den Geiſt einer aufbrauſenden Hitze mittheilen. Oft will ich mir es vorſagen, daß die meiſten Beleidigungen mir nicht an meiner wahren Glückſeligkeit ſchaden, und daß ſie nicht immer aus einem boshaften Herzen kom- men, ſondern daß ſie größtentheils aus Unverſtand, aus Mangel an Ueberlegung und Lebensart, ſo wie von bösartigen Aufhetzern und Ohrenbläſern, herrüh- ren; denn wir fehlen alle mannigfaltig.**) Schwer wird es mir freylich werden, wenn ich meinen Unwil- len mäßigen, und die heftigen Aufwallungen des Zorns unterdrücken ſoll. Aber dann will ich auf dich, das vor- *) Epheſ. 4, 26. **) Jacob. 3, 2.
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XLVIII. Betrachtung.
iſt. Allein ich ſehe auch ein, wie leicht bey mir dieſe
Gemüthsbewegung ausſchweifen und ausarten, ich
weis, wie leicht ſie zur heftigſten Leidenſchaft werden
kann, welche die Ruhe meines Herzens und die Ge-
ſundheit meines Körpers zu zerrütten droht. Stets
will ich alſo meine Empfindlichkeit über angethane
Beleidigungen mäßigen, und die Ermahnung befol-
gen: zürnet und ſündiget nicht, laſſet die Sonne
nicht über euern Zorn untergehen. *) Wachen will
ich über mich ſelbſt, daß mein auch gerechter Unwille
nicht in Haß und Feindſeligkeit ausarten könne. Mit
großer Vorſichtigkeit will ich den nähern und öftern
Umgang mit heftigen und hitzigen Perſonen meiden;
nie will ich mich ohne Noth mit ihnen in Streitig-
keiten einlaſſen, ſie könnten mir ſonſt leicht den Geiſt
einer aufbrauſenden Hitze mittheilen. Oft will ich
mir es vorſagen, daß die meiſten Beleidigungen mir
nicht an meiner wahren Glückſeligkeit ſchaden, und
daß ſie nicht immer aus einem boshaften Herzen kom-
men, ſondern daß ſie größtentheils aus Unverſtand,
aus Mangel an Ueberlegung und Lebensart, ſo wie
von bösartigen Aufhetzern und Ohrenbläſern, herrüh-
ren; denn wir fehlen alle mannigfaltig. **) Schwer
wird es mir freylich werden, wenn ich meinen Unwil-
len mäßigen, und die heftigen Aufwallungen des Zorns
unterdrücken ſoll. Aber dann will ich auf dich, das
vor-
*) Epheſ. 4, 26.
**) Jacob. 3, 2.
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