Beyspiel habe ich euch gegeben, daß ihr thut, wie ich euch gethan habe. Und in der That, wenn irgend etwas in der Folge fähig war, den Stolz der Jün- ger zu demüthigen, so mußte es die Erinnerung an die Handlung seyn, die er vor seinem Abschiede aus der Welt noch an ihnen in der Absicht verrichtete, um ihnen Demuth einzuflößen.
Hier, Christ, kannst du in der Schule Jesu Demuth lernen. Denn wo ist eine Lehre, in der man bessere Anleitung zu dieser Tugend fände, als in der Lehre des Erlösers? Wo hat jemals ein Prophet, ein Religionsstifter gelebt, der so demüthig gewesen wäre, als Jesus Christus? der bey allen seinen un- erreichbaren Vorzügen so bescheiden von sich und so billig von andern urtheilte; der jedem die ihm gebüh- rende Achtung erwies, und der auch gegen den Nie- drigsten so menschenfreundlich, so leutselig, so herab- lassend war. Strebe also nicht ängstlich nach großer irdischer Ehre, und hüte dich, daß wahre christliche Ehr- liebe bey dir nicht in verwerfliche Ehr-und Ruhmsucht ausarte. Erwarte auch nicht mehr Ehrenbezeugun- gen von deinem Mitmenschen, als du wirklich nach deinem Stande und deinen Verdiensten erwarten kannst. Sprich nicht immer von deinen Vorzügen und guten Eigenschaften. Denn wenn du sie wirklich besitzest, so werden sie nicht immer verborgen bleiben, ohne daß du nöthig hast, sie überall zur Schau auszustellen, und
dein
XLVII. Betrachtung.
Beyſpiel habe ich euch gegeben, daß ihr thut, wie ich euch gethan habe. Und in der That, wenn irgend etwas in der Folge fähig war, den Stolz der Jün- ger zu demüthigen, ſo mußte es die Erinnerung an die Handlung ſeyn, die er vor ſeinem Abſchiede aus der Welt noch an ihnen in der Abſicht verrichtete, um ihnen Demuth einzuflößen.
Hier, Chriſt, kannſt du in der Schule Jeſu Demuth lernen. Denn wo iſt eine Lehre, in der man beſſere Anleitung zu dieſer Tugend fände, als in der Lehre des Erlöſers? Wo hat jemals ein Prophet, ein Religionsſtifter gelebt, der ſo demüthig geweſen wäre, als Jeſus Chriſtus? der bey allen ſeinen un- erreichbaren Vorzügen ſo beſcheiden von ſich und ſo billig von andern urtheilte; der jedem die ihm gebüh- rende Achtung erwies, und der auch gegen den Nie- drigſten ſo menſchenfreundlich, ſo leutſelig, ſo herab- laſſend war. Strebe alſo nicht ängſtlich nach großer irdiſcher Ehre, und hüte dich, daß wahre chriſtliche Ehr- liebe bey dir nicht in verwerfliche Ehr-und Ruhmſucht ausarte. Erwarte auch nicht mehr Ehrenbezeugun- gen von deinem Mitmenſchen, als du wirklich nach deinem Stande und deinen Verdienſten erwarten kannſt. Sprich nicht immer von deinen Vorzügen und guten Eigenſchaften. Denn wenn du ſie wirklich beſitzeſt, ſo werden ſie nicht immer verborgen bleiben, ohne daß du nöthig haſt, ſie überall zur Schau auszuſtellen, und
dein
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0334"n="308"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">XLVII.</hi> Betrachtung.</fw><lb/><hirendition="#fr">Beyſpiel habe ich euch gegeben, daß ihr thut, wie ich<lb/>
euch gethan habe.</hi> Und in der That, wenn irgend<lb/>
etwas in der Folge fähig war, den Stolz der Jün-<lb/>
ger zu demüthigen, ſo mußte es die Erinnerung an<lb/>
die Handlung ſeyn, die er vor ſeinem Abſchiede aus<lb/>
der Welt noch an ihnen in der Abſicht verrichtete,<lb/>
um ihnen Demuth einzuflößen.</p><lb/><p>Hier, Chriſt, kannſt du in der Schule Jeſu<lb/>
Demuth lernen. Denn wo iſt eine Lehre, in der<lb/>
man beſſere Anleitung zu dieſer Tugend fände, als in<lb/>
der Lehre des Erlöſers? Wo hat jemals ein Prophet,<lb/>
ein Religionsſtifter gelebt, der ſo demüthig geweſen<lb/>
wäre, als Jeſus Chriſtus? der bey allen ſeinen un-<lb/>
erreichbaren Vorzügen ſo beſcheiden von ſich und ſo<lb/>
billig von andern urtheilte; der jedem die ihm gebüh-<lb/>
rende Achtung erwies, und der auch gegen den Nie-<lb/>
drigſten ſo menſchenfreundlich, ſo leutſelig, ſo herab-<lb/>
laſſend war. Strebe alſo nicht ängſtlich nach großer<lb/>
irdiſcher Ehre, und hüte dich, daß wahre chriſtliche Ehr-<lb/>
liebe bey dir nicht in verwerfliche Ehr-und Ruhmſucht<lb/>
ausarte. Erwarte auch nicht mehr Ehrenbezeugun-<lb/>
gen von deinem Mitmenſchen, als du wirklich nach<lb/>
deinem Stande und deinen Verdienſten erwarten<lb/>
kannſt. Sprich nicht immer von deinen Vorzügen und<lb/>
guten Eigenſchaften. Denn wenn du ſie wirklich beſitzeſt,<lb/>ſo werden ſie nicht immer verborgen bleiben, ohne daß<lb/>
du nöthig haſt, ſie überall zur Schau auszuſtellen, und<lb/><fwplace="bottom"type="catch">dein</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[308/0334]
XLVII. Betrachtung.
Beyſpiel habe ich euch gegeben, daß ihr thut, wie ich
euch gethan habe. Und in der That, wenn irgend
etwas in der Folge fähig war, den Stolz der Jün-
ger zu demüthigen, ſo mußte es die Erinnerung an
die Handlung ſeyn, die er vor ſeinem Abſchiede aus
der Welt noch an ihnen in der Abſicht verrichtete,
um ihnen Demuth einzuflößen.
Hier, Chriſt, kannſt du in der Schule Jeſu
Demuth lernen. Denn wo iſt eine Lehre, in der
man beſſere Anleitung zu dieſer Tugend fände, als in
der Lehre des Erlöſers? Wo hat jemals ein Prophet,
ein Religionsſtifter gelebt, der ſo demüthig geweſen
wäre, als Jeſus Chriſtus? der bey allen ſeinen un-
erreichbaren Vorzügen ſo beſcheiden von ſich und ſo
billig von andern urtheilte; der jedem die ihm gebüh-
rende Achtung erwies, und der auch gegen den Nie-
drigſten ſo menſchenfreundlich, ſo leutſelig, ſo herab-
laſſend war. Strebe alſo nicht ängſtlich nach großer
irdiſcher Ehre, und hüte dich, daß wahre chriſtliche Ehr-
liebe bey dir nicht in verwerfliche Ehr-und Ruhmſucht
ausarte. Erwarte auch nicht mehr Ehrenbezeugun-
gen von deinem Mitmenſchen, als du wirklich nach
deinem Stande und deinen Verdienſten erwarten
kannſt. Sprich nicht immer von deinen Vorzügen und
guten Eigenſchaften. Denn wenn du ſie wirklich beſitzeſt,
ſo werden ſie nicht immer verborgen bleiben, ohne daß
du nöthig haſt, ſie überall zur Schau auszuſtellen, und
dein
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 308. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/334>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.