Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.XLV. Betrachtung. de Gelegenheit zu lehren, zu ermahnen, zu bessern,zu warnen und zu trösten. Jeder Ort, jede Gesell- schaft, jede Frage der Umstehenden, jede Begeben- heit, jedes Lob, jeder Tadel mußte ihm zur Beför- derung dieser Absicht dienen. Wurde er zu einem Gastmahle geladen, wo man ihm unter dem Schley- er der Freundschaft eine Falle legen wollte; so gieng er doch hin, ob er gleich die bösen Absichten der An- wesenden sehr genau kannte, blos darum, weil er Ge- legenheit hatte, nützliche Unterredungen zu halten. Sahe er, daß man bey solchen Gastmählern sich aus einem kindischen Ehrgeize um die oberste Stelle stritt; so empfahl er Bescheidenheit und Demuth,*) und stellte das lächerliche und thörichte der Rangsucht, die oft zu den bittersten Feindschaften Anlaß gab, recht deutlich dar. Stand er am Ufer des Sees, und sa- he dem Fischfang zu; so trug er die künftige Geschich- te seiner Kirche vor, und zeigte, daß seine Religion ei- ne sehr ungleiche Aufnahme unter den Juden finden würde, grade so wie das Saamenkorn, das auf den Acker gestreut wird, auf einen sehr verschiedenen Bo- den fällt, und folglich auch ungleiche Früchte trägt.**) Wandelte er zur andern Zeit durch Weizenfelder, die mit Unkraut und Afterweizen bedeckt waren; so war ihm das ein trauriges Bild von den schrecklichen Mißbräuchen, Grausamkeiten und Gewaltthätigkei- ten, *) Luc. 14, 1-11. **) Matth. 13, 1-9.
XLV. Betrachtung. de Gelegenheit zu lehren, zu ermahnen, zu beſſern,zu warnen und zu tröſten. Jeder Ort, jede Geſell- ſchaft, jede Frage der Umſtehenden, jede Begeben- heit, jedes Lob, jeder Tadel mußte ihm zur Beför- derung dieſer Abſicht dienen. Wurde er zu einem Gaſtmahle geladen, wo man ihm unter dem Schley- er der Freundſchaft eine Falle legen wollte; ſo gieng er doch hin, ob er gleich die böſen Abſichten der An- weſenden ſehr genau kannte, blos darum, weil er Ge- legenheit hatte, nützliche Unterredungen zu halten. Sahe er, daß man bey ſolchen Gaſtmählern ſich aus einem kindiſchen Ehrgeize um die oberſte Stelle ſtritt; ſo empfahl er Beſcheidenheit und Demuth,*) und ſtellte das lächerliche und thörichte der Rangſucht, die oft zu den bitterſten Feindſchaften Anlaß gab, recht deutlich dar. Stand er am Ufer des Sees, und ſa- he dem Fiſchfang zu; ſo trug er die künftige Geſchich- te ſeiner Kirche vor, und zeigte, daß ſeine Religion ei- ne ſehr ungleiche Aufnahme unter den Juden finden würde, grade ſo wie das Saamenkorn, das auf den Acker geſtreut wird, auf einen ſehr verſchiedenen Bo- den fällt, und folglich auch ungleiche Früchte trägt.**) Wandelte er zur andern Zeit durch Weizenfelder, die mit Unkraut und Afterweizen bedeckt waren; ſo war ihm das ein trauriges Bild von den ſchrecklichen Mißbräuchen, Grauſamkeiten und Gewaltthätigkei- ten, *) Luc. 14, 1-11. **) Matth. 13, 1-9.
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XLV. Betrachtung.
de Gelegenheit zu lehren, zu ermahnen, zu beſſern,
zu warnen und zu tröſten. Jeder Ort, jede Geſell-
ſchaft, jede Frage der Umſtehenden, jede Begeben-
heit, jedes Lob, jeder Tadel mußte ihm zur Beför-
derung dieſer Abſicht dienen. Wurde er zu einem
Gaſtmahle geladen, wo man ihm unter dem Schley-
er der Freundſchaft eine Falle legen wollte; ſo gieng
er doch hin, ob er gleich die böſen Abſichten der An-
weſenden ſehr genau kannte, blos darum, weil er Ge-
legenheit hatte, nützliche Unterredungen zu halten.
Sahe er, daß man bey ſolchen Gaſtmählern ſich aus
einem kindiſchen Ehrgeize um die oberſte Stelle ſtritt;
ſo empfahl er Beſcheidenheit und Demuth, *) und
ſtellte das lächerliche und thörichte der Rangſucht, die
oft zu den bitterſten Feindſchaften Anlaß gab, recht
deutlich dar. Stand er am Ufer des Sees, und ſa-
he dem Fiſchfang zu; ſo trug er die künftige Geſchich-
te ſeiner Kirche vor, und zeigte, daß ſeine Religion ei-
ne ſehr ungleiche Aufnahme unter den Juden finden
würde, grade ſo wie das Saamenkorn, das auf den
Acker geſtreut wird, auf einen ſehr verſchiedenen Bo-
den fällt, und folglich auch ungleiche Früchte trägt. **)
Wandelte er zur andern Zeit durch Weizenfelder,
die mit Unkraut und Afterweizen bedeckt waren; ſo
war ihm das ein trauriges Bild von den ſchrecklichen
Mißbräuchen, Grauſamkeiten und Gewaltthätigkei-
ten,
*) Luc. 14, 1-11.
**) Matth. 13, 1-9.
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