Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.XLIII. Betrachtung. so bald sie sahen, daß sie durch ihn weder Reichthum,noch hohe Ehrenstellen erlangen würden. Selbst diejenigen Schüler, die ihm treu blieben und Muth genug hatten, auf die an sie gethane Frage: wollt ihr auch weggehen, zu sagen: Herr, wo sollen wir hingehen, du hast Worte des ewigen Lebens,*) wie schwach, wie sinnlich blieben selbst diese, da sie doch seinen lehrreichen Umgang täglich genossen, und beständige Augenzeugen seiner Thaten waren. Ue- berall hatte der Auftrag, den ihm sein himmlischer Vater gegeben, einen geringen Erfolg. Er kam, wie er selbst klagte, in sein Eigenthum, und die Sei- nen nahmen ihn nicht auf.**) Er kam als ein Licht in die Welt, aber die Menschen liebten die Finster- niß mehr als das Licht.***) Er predigte Buße, aber die meisten glaubten, der Buße nicht zu bedürfen. Fast alle Vornehme und Gelehrte verwarfen ihn und seine Lehre, mit Spott und mit Verachtung, ja sie rühmten sich dessen noch,+) indem sie sprachen: glaubet auch irgend ein Oberster oder Pharisäer an ihn? Das Volk war höchst wankelmüthig. Jetzt hieß es: noch hat kein Mensch so geredet, wie dieser Mensch; dann sprachen sie zu ihm: du bist ein Sa- mariter, du hast den Teufel. Heute schrie das Volk, das ihn bey seinem Einzuge begleitete: Hosian- na, *) Joh. 6, 68. **) Joh. 1, 11. ***) Joh. 3, 19. +) Joh. 7, 48. S 5
XLIII. Betrachtung. ſo bald ſie ſahen, daß ſie durch ihn weder Reichthum,noch hohe Ehrenſtellen erlangen würden. Selbſt diejenigen Schüler, die ihm treu blieben und Muth genug hatten, auf die an ſie gethane Frage: wollt ihr auch weggehen, zu ſagen: Herr, wo ſollen wir hingehen, du haſt Worte des ewigen Lebens,*) wie ſchwach, wie ſinnlich blieben ſelbſt dieſe, da ſie doch ſeinen lehrreichen Umgang täglich genoſſen, und beſtändige Augenzeugen ſeiner Thaten waren. Ue- berall hatte der Auftrag, den ihm ſein himmliſcher Vater gegeben, einen geringen Erfolg. Er kam, wie er ſelbſt klagte, in ſein Eigenthum, und die Sei- nen nahmen ihn nicht auf.**) Er kam als ein Licht in die Welt, aber die Menſchen liebten die Finſter- niß mehr als das Licht.***) Er predigte Buße, aber die meiſten glaubten, der Buße nicht zu bedürfen. Faſt alle Vornehme und Gelehrte verwarfen ihn und ſeine Lehre, mit Spott und mit Verachtung, ja ſie rühmten ſich deſſen noch,†) indem ſie ſprachen: glaubet auch irgend ein Oberſter oder Phariſäer an ihn? Das Volk war höchſt wankelmüthig. Jetzt hieß es: noch hat kein Menſch ſo geredet, wie dieſer Menſch; dann ſprachen ſie zu ihm: du biſt ein Sa- mariter, du haſt den Teufel. Heute ſchrie das Volk, das ihn bey ſeinem Einzuge begleitete: Hoſian- na, *) Joh. 6, 68. **) Joh. 1, 11. ***) Joh. 3, 19. †) Joh. 7, 48. S 5
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XLIII. Betrachtung.
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noch hohe Ehrenſtellen erlangen würden. Selbſt
diejenigen Schüler, die ihm treu blieben und Muth
genug hatten, auf die an ſie gethane Frage: wollt
ihr auch weggehen, zu ſagen: Herr, wo ſollen wir
hingehen, du haſt Worte des ewigen Lebens, *)
wie ſchwach, wie ſinnlich blieben ſelbſt dieſe, da ſie
doch ſeinen lehrreichen Umgang täglich genoſſen, und
beſtändige Augenzeugen ſeiner Thaten waren. Ue-
berall hatte der Auftrag, den ihm ſein himmliſcher
Vater gegeben, einen geringen Erfolg. Er kam,
wie er ſelbſt klagte, in ſein Eigenthum, und die Sei-
nen nahmen ihn nicht auf. **) Er kam als ein Licht
in die Welt, aber die Menſchen liebten die Finſter-
niß mehr als das Licht. ***) Er predigte Buße, aber
die meiſten glaubten, der Buße nicht zu bedürfen.
Faſt alle Vornehme und Gelehrte verwarfen ihn und
ſeine Lehre, mit Spott und mit Verachtung, ja ſie
rühmten ſich deſſen noch, †) indem ſie ſprachen:
glaubet auch irgend ein Oberſter oder Phariſäer an
ihn? Das Volk war höchſt wankelmüthig. Jetzt
hieß es: noch hat kein Menſch ſo geredet, wie dieſer
Menſch; dann ſprachen ſie zu ihm: du biſt ein Sa-
mariter, du haſt den Teufel. Heute ſchrie das
Volk, das ihn bey ſeinem Einzuge begleitete: Hoſian-
na,
*) Joh. 6, 68.
**) Joh. 1, 11.
***) Joh. 3, 19.
†) Joh. 7, 48.
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