Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.XXXIX. Betrachtung. Und nun gleichsam, als wenn er eine Pest der Tu-gend gewesen wäre, nun wird er behandelt, wie ein Missethäter, durch obrigkeitliche Gewalt aufgesucht und gefangen genommen, wie man Mörder und Straßenräuber aufzusuchen und gefangen zu nehmen pflegt. Wehe, sehr wehe mußte ihm eine solche Mißhandlung seiner Ehre thun; und er sahe sich ge- nöthiget, seine Gegner auf das Beleidigende und Ent- ehrende in ihrem Betragen aufmerksam zu machen. Er zeigte, daß er nichts weniger, als fühllos sey, sondern äußerte das edelste Gefühl für seine recht em- pfindlich und sichtbar gekränkte Ehre. Eben das that der große Dulder, als ihm vor der Versammlung des hohen Raths, ein anwesender roher Gerichtsdie- ner, der die Gesinnungen seiner Vorgesetzten kannte, einen Backenstreich gab, ohne daß es einer von den Mitgliedern des Raths ahndete und sein Mißfallen darüber zu erkennen gab. Hier vertheidigte er sich unaufgefordert, indem er sprach: habe ich übel gere- det, so beweise es; habe ich aber recht geredet, was schlägst du mich?*) Man hatte nehmlich dem Erlöser diesen beleidigenden Schimpf ohne alle Ursachen, aus bloßem Muthwillen, zugefügt. Dies konnte er nicht mit Stillschweigen übergehen. Er fand es für nö- thig, ein für allemal zu sagen, daß er diese Verach- tung, diese erniedrigende Beschimpfung nicht verdiene. Wenn *) Joh. 18, 23. R
XXXIX. Betrachtung. Und nun gleichſam, als wenn er eine Peſt der Tu-gend geweſen wäre, nun wird er behandelt, wie ein Miſſethäter, durch obrigkeitliche Gewalt aufgeſucht und gefangen genommen, wie man Mörder und Straßenräuber aufzuſuchen und gefangen zu nehmen pflegt. Wehe, ſehr wehe mußte ihm eine ſolche Mißhandlung ſeiner Ehre thun; und er ſahe ſich ge- nöthiget, ſeine Gegner auf das Beleidigende und Ent- ehrende in ihrem Betragen aufmerkſam zu machen. Er zeigte, daß er nichts weniger, als fühllos ſey, ſondern äußerte das edelſte Gefühl für ſeine recht em- pfindlich und ſichtbar gekränkte Ehre. Eben das that der große Dulder, als ihm vor der Verſammlung des hohen Raths, ein anweſender roher Gerichtsdie- ner, der die Geſinnungen ſeiner Vorgeſetzten kannte, einen Backenſtreich gab, ohne daß es einer von den Mitgliedern des Raths ahndete und ſein Mißfallen darüber zu erkennen gab. Hier vertheidigte er ſich unaufgefordert, indem er ſprach: habe ich übel gere- det, ſo beweiſe es; habe ich aber recht geredet, was ſchlägſt du mich?*) Man hatte nehmlich dem Erlöſer dieſen beleidigenden Schimpf ohne alle Urſachen, aus bloßem Muthwillen, zugefügt. Dies konnte er nicht mit Stillſchweigen übergehen. Er fand es für nö- thig, ein für allemal zu ſagen, daß er dieſe Verach- tung, dieſe erniedrigende Beſchimpfung nicht verdiene. Wenn *) Joh. 18, 23. R
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XXXIX. Betrachtung.
Und nun gleichſam, als wenn er eine Peſt der Tu-
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Miſſethäter, durch obrigkeitliche Gewalt aufgeſucht
und gefangen genommen, wie man Mörder und
Straßenräuber aufzuſuchen und gefangen zu nehmen
pflegt. Wehe, ſehr wehe mußte ihm eine ſolche
Mißhandlung ſeiner Ehre thun; und er ſahe ſich ge-
nöthiget, ſeine Gegner auf das Beleidigende und Ent-
ehrende in ihrem Betragen aufmerkſam zu machen.
Er zeigte, daß er nichts weniger, als fühllos ſey,
ſondern äußerte das edelſte Gefühl für ſeine recht em-
pfindlich und ſichtbar gekränkte Ehre. Eben das that
der große Dulder, als ihm vor der Verſammlung
des hohen Raths, ein anweſender roher Gerichtsdie-
ner, der die Geſinnungen ſeiner Vorgeſetzten kannte,
einen Backenſtreich gab, ohne daß es einer von den
Mitgliedern des Raths ahndete und ſein Mißfallen
darüber zu erkennen gab. Hier vertheidigte er ſich
unaufgefordert, indem er ſprach: habe ich übel gere-
det, ſo beweiſe es; habe ich aber recht geredet, was
ſchlägſt du mich? *) Man hatte nehmlich dem Erlöſer
dieſen beleidigenden Schimpf ohne alle Urſachen, aus
bloßem Muthwillen, zugefügt. Dies konnte er nicht
mit Stillſchweigen übergehen. Er fand es für nö-
thig, ein für allemal zu ſagen, daß er dieſe Verach-
tung, dieſe erniedrigende Beſchimpfung nicht verdiene.
Wenn
*) Joh. 18, 23.
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