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Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.

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XXXVIII. Betrachtung.
Geistesgaben recht gebrauchen wollte. Ja es ist
wahrscheinlich, daß er die meiste Zeit schon jetzo mit
stiller Betrachtung und mit Gebet zugebracht habe.
Zugleich sollte er sich durch diese Entfernung von den
zärtlichen Verbindungen zum Theil losreißen, in wel-
chen er bisher gelebt hatte. Seine Bestimmung als
Meßias, sein Beruf, als Lehrer, als Mittler und
Versöhner der Menschen, machte das nothwendig, da-
mit er nicht in der Folge, aus allzugroßer Anhänglich-
keit und Liebe zu seinen Verwandten, die höhern
Pflichten seines Berufs bey den Hindernissen, die er
überall finden würde, sich erschweren möchte. Jn
dieser wüsten Einöde beobachtete er über dieses ein
vierzigtägiges Fasten, das ist, er entbehrte die ge-
wöhnlichen Nahrungsmittel, behalf sich die Zeit über
vielleicht nur mit einigen andern Gewächsen und
Früchten, die die Natur sehr spärlich und küm-
merlich hervorbrachte; durch dieses Fasten wollte er
uns aber keinesweges zur Nachahmung verpflichten,
zumal da man sieht, daß es in der Folge gar nicht
seine Gewohnheit war, daß er dieser Ceremonie kei-
nen sonderlichen Werth beylegte,*) sondern er woll-
te sich dadurch von den gewöhnlichen Bedürfnissen
des menschlichen Lebens entwöhnen; er wollte sich ge-
gen die unvermeidlichen Unbequemlichkeiten seines nie-
drigen Standes abhärten. Dies war um desto nö-

thiger,
*) Matth. 9, 14. Cap. 11, 18. 19.

XXXVIII. Betrachtung.
Geiſtesgaben recht gebrauchen wollte. Ja es iſt
wahrſcheinlich, daß er die meiſte Zeit ſchon jetzo mit
ſtiller Betrachtung und mit Gebet zugebracht habe.
Zugleich ſollte er ſich durch dieſe Entfernung von den
zärtlichen Verbindungen zum Theil losreißen, in wel-
chen er bisher gelebt hatte. Seine Beſtimmung als
Meßias, ſein Beruf, als Lehrer, als Mittler und
Verſöhner der Menſchen, machte das nothwendig, da-
mit er nicht in der Folge, aus allzugroßer Anhänglich-
keit und Liebe zu ſeinen Verwandten, die höhern
Pflichten ſeines Berufs bey den Hinderniſſen, die er
überall finden würde, ſich erſchweren möchte. Jn
dieſer wüſten Einöde beobachtete er über dieſes ein
vierzigtägiges Faſten, das iſt, er entbehrte die ge-
wöhnlichen Nahrungsmittel, behalf ſich die Zeit über
vielleicht nur mit einigen andern Gewächſen und
Früchten, die die Natur ſehr ſpärlich und küm-
merlich hervorbrachte; durch dieſes Faſten wollte er
uns aber keinesweges zur Nachahmung verpflichten,
zumal da man ſieht, daß es in der Folge gar nicht
ſeine Gewohnheit war, daß er dieſer Ceremonie kei-
nen ſonderlichen Werth beylegte,*) ſondern er woll-
te ſich dadurch von den gewöhnlichen Bedürfniſſen
des menſchlichen Lebens entwöhnen; er wollte ſich ge-
gen die unvermeidlichen Unbequemlichkeiten ſeines nie-
drigen Standes abhärten. Dies war um deſto nö-

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*) Matth. 9, 14. Cap. 11, 18. 19.
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[250/0276] XXXVIII. Betrachtung. Geiſtesgaben recht gebrauchen wollte. Ja es iſt wahrſcheinlich, daß er die meiſte Zeit ſchon jetzo mit ſtiller Betrachtung und mit Gebet zugebracht habe. Zugleich ſollte er ſich durch dieſe Entfernung von den zärtlichen Verbindungen zum Theil losreißen, in wel- chen er bisher gelebt hatte. Seine Beſtimmung als Meßias, ſein Beruf, als Lehrer, als Mittler und Verſöhner der Menſchen, machte das nothwendig, da- mit er nicht in der Folge, aus allzugroßer Anhänglich- keit und Liebe zu ſeinen Verwandten, die höhern Pflichten ſeines Berufs bey den Hinderniſſen, die er überall finden würde, ſich erſchweren möchte. Jn dieſer wüſten Einöde beobachtete er über dieſes ein vierzigtägiges Faſten, das iſt, er entbehrte die ge- wöhnlichen Nahrungsmittel, behalf ſich die Zeit über vielleicht nur mit einigen andern Gewächſen und Früchten, die die Natur ſehr ſpärlich und küm- merlich hervorbrachte; durch dieſes Faſten wollte er uns aber keinesweges zur Nachahmung verpflichten, zumal da man ſieht, daß es in der Folge gar nicht ſeine Gewohnheit war, daß er dieſer Ceremonie kei- nen ſonderlichen Werth beylegte, *) ſondern er woll- te ſich dadurch von den gewöhnlichen Bedürfniſſen des menſchlichen Lebens entwöhnen; er wollte ſich ge- gen die unvermeidlichen Unbequemlichkeiten ſeines nie- drigen Standes abhärten. Dies war um deſto nö- thiger, *) Matth. 9, 14. Cap. 11, 18. 19.

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Zitationshilfe: Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/276>, abgerufen am 25.11.2024.