Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

XXXVII. Betrachtung.
Maria zu verdanken, da diese selbst ungelehrte Per-
sonen waren. Es steht also sehr zu vermuthen, er
habe öfters für sich die göttlichen Schriften gelesen,
und sich dadurch die Fertigkeit erworben, sie so zu ge-
brauchen und so anzuwenden, wie es ihm hernach kein
jüdischer Lehrer gleich thun konnte. Es ist gewiß
weder unglaublich, noch anstößig, wenn man be-
hauptet, er habe das, was er am Sabbath in den
Synagogen hörte, für sich zu Hause selbst nachge-
lesen und weiter darüber nachgedacht. Denn wir se-
hen ja, daß er selbst während seines Lehramts, die ge-
wöhnlichen Hülfsmittel der Belehrung nicht verab-
säumte, sondern sie vielmehr gewissenhaft brauchte
und sie auch seinen Schülern sehr angelegentlich em-
pfahl. Durch dieses eigne Forschen und Nachden-
ken wurden die Kräfte seiner Seele geübt; dadurch
erlangte er die gründliche Religionskenntniß und die
vertraute Bekanntschaft mit den göttlichen Schrif-
ten, die man hernach so oft an ihm bewunderte; da-
durch bildete er sich im Stillen zur künftigen Füh-
rung seines Lehramts, daß man in der Folge ausrief:
Wie kann dieser die Schrift, so er sie doch nicht ge-
lernet hat,
*) das ist, wo muß doch dieser seine Ge-
lehrsamkeit herhaben, da er nicht von uns zum Ge-
lehrten ist gebildet worden? War sich übrigens Je-
sus gleich schon in den frühsten Jahren seiner großen

Fähigkeiten
*) Joh. 7, 15.

XXXVII. Betrachtung.
Maria zu verdanken, da dieſe ſelbſt ungelehrte Per-
ſonen waren. Es ſteht alſo ſehr zu vermuthen, er
habe öfters für ſich die göttlichen Schriften geleſen,
und ſich dadurch die Fertigkeit erworben, ſie ſo zu ge-
brauchen und ſo anzuwenden, wie es ihm hernach kein
jüdiſcher Lehrer gleich thun konnte. Es iſt gewiß
weder unglaublich, noch anſtößig, wenn man be-
hauptet, er habe das, was er am Sabbath in den
Synagogen hörte, für ſich zu Hauſe ſelbſt nachge-
leſen und weiter darüber nachgedacht. Denn wir ſe-
hen ja, daß er ſelbſt während ſeines Lehramts, die ge-
wöhnlichen Hülfsmittel der Belehrung nicht verab-
ſäumte, ſondern ſie vielmehr gewiſſenhaft brauchte
und ſie auch ſeinen Schülern ſehr angelegentlich em-
pfahl. Durch dieſes eigne Forſchen und Nachden-
ken wurden die Kräfte ſeiner Seele geübt; dadurch
erlangte er die gründliche Religionskenntniß und die
vertraute Bekanntſchaft mit den göttlichen Schrif-
ten, die man hernach ſo oft an ihm bewunderte; da-
durch bildete er ſich im Stillen zur künftigen Füh-
rung ſeines Lehramts, daß man in der Folge ausrief:
Wie kann dieſer die Schrift, ſo er ſie doch nicht ge-
lernet hat,
*) das iſt, wo muß doch dieſer ſeine Ge-
lehrſamkeit herhaben, da er nicht von uns zum Ge-
lehrten iſt gebildet worden? War ſich übrigens Je-
ſus gleich ſchon in den frühſten Jahren ſeiner großen

Fähigkeiten
*) Joh. 7, 15.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0270" n="244"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">XXXVII.</hi> Betrachtung.</fw><lb/>
Maria zu verdanken, da die&#x017F;e &#x017F;elb&#x017F;t ungelehrte Per-<lb/>
&#x017F;onen waren. Es &#x017F;teht al&#x017F;o &#x017F;ehr zu vermuthen, er<lb/>
habe öfters für &#x017F;ich die göttlichen Schriften gele&#x017F;en,<lb/>
und &#x017F;ich dadurch die Fertigkeit erworben, &#x017F;ie &#x017F;o zu ge-<lb/>
brauchen und &#x017F;o anzuwenden, wie es ihm hernach kein<lb/>
jüdi&#x017F;cher Lehrer gleich thun konnte. Es i&#x017F;t gewiß<lb/>
weder unglaublich, noch an&#x017F;tößig, wenn man be-<lb/>
hauptet, er habe das, was er am Sabbath in den<lb/>
Synagogen hörte, für &#x017F;ich zu Hau&#x017F;e &#x017F;elb&#x017F;t nachge-<lb/>
le&#x017F;en und weiter darüber nachgedacht. Denn wir &#x017F;e-<lb/>
hen ja, daß er &#x017F;elb&#x017F;t während &#x017F;eines Lehramts, die ge-<lb/>
wöhnlichen Hülfsmittel der Belehrung nicht verab-<lb/>
&#x017F;äumte, &#x017F;ondern &#x017F;ie vielmehr gewi&#x017F;&#x017F;enhaft brauchte<lb/>
und &#x017F;ie auch &#x017F;einen Schülern &#x017F;ehr angelegentlich em-<lb/>
pfahl. Durch die&#x017F;es eigne For&#x017F;chen und Nachden-<lb/>
ken wurden die Kräfte &#x017F;einer Seele geübt; dadurch<lb/>
erlangte er die gründliche Religionskenntniß und die<lb/>
vertraute Bekannt&#x017F;chaft mit den göttlichen Schrif-<lb/>
ten, die man hernach &#x017F;o oft an ihm bewunderte; da-<lb/>
durch bildete er &#x017F;ich im Stillen zur künftigen Füh-<lb/>
rung &#x017F;eines Lehramts, daß man in der Folge ausrief:<lb/><hi rendition="#fr">Wie kann die&#x017F;er die Schrift, &#x017F;o er &#x017F;ie doch nicht ge-<lb/>
lernet hat,</hi><note place="foot" n="*)">Joh. 7, 15.</note> das i&#x017F;t, wo muß doch die&#x017F;er &#x017F;eine Ge-<lb/>
lehr&#x017F;amkeit herhaben, da er nicht von uns zum Ge-<lb/>
lehrten i&#x017F;t gebildet worden? War &#x017F;ich übrigens Je-<lb/>
&#x017F;us gleich &#x017F;chon in den früh&#x017F;ten Jahren &#x017F;einer großen<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Fähigkeiten</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[244/0270] XXXVII. Betrachtung. Maria zu verdanken, da dieſe ſelbſt ungelehrte Per- ſonen waren. Es ſteht alſo ſehr zu vermuthen, er habe öfters für ſich die göttlichen Schriften geleſen, und ſich dadurch die Fertigkeit erworben, ſie ſo zu ge- brauchen und ſo anzuwenden, wie es ihm hernach kein jüdiſcher Lehrer gleich thun konnte. Es iſt gewiß weder unglaublich, noch anſtößig, wenn man be- hauptet, er habe das, was er am Sabbath in den Synagogen hörte, für ſich zu Hauſe ſelbſt nachge- leſen und weiter darüber nachgedacht. Denn wir ſe- hen ja, daß er ſelbſt während ſeines Lehramts, die ge- wöhnlichen Hülfsmittel der Belehrung nicht verab- ſäumte, ſondern ſie vielmehr gewiſſenhaft brauchte und ſie auch ſeinen Schülern ſehr angelegentlich em- pfahl. Durch dieſes eigne Forſchen und Nachden- ken wurden die Kräfte ſeiner Seele geübt; dadurch erlangte er die gründliche Religionskenntniß und die vertraute Bekanntſchaft mit den göttlichen Schrif- ten, die man hernach ſo oft an ihm bewunderte; da- durch bildete er ſich im Stillen zur künftigen Füh- rung ſeines Lehramts, daß man in der Folge ausrief: Wie kann dieſer die Schrift, ſo er ſie doch nicht ge- lernet hat, *) das iſt, wo muß doch dieſer ſeine Ge- lehrſamkeit herhaben, da er nicht von uns zum Ge- lehrten iſt gebildet worden? War ſich übrigens Je- ſus gleich ſchon in den frühſten Jahren ſeiner großen Fähigkeiten *) Joh. 7, 15.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/270
Zitationshilfe: Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/270>, abgerufen am 16.07.2024.