war, was ihm seine Feinde vorwarfen. Bisweilen suchte er auch blos die übeln Eindrücke zu hindern, welche die boshafte Beurtheilung seiner Feinde auf die Umstehenden machen konnte; aber nie mißbrauch- te er die Hochachtung des Volks, um das Ansehn seiner Gegner zu schmählern, nie vergalt er Böses mit Bösem.
Sehr weit sind also diejenigen von dem Geiste Christi entfernt, die sich durch geringe Vorwürfe aufbringen lassen; die ohne alle Mäßigung Schimpf- worte mit Schimpfworten, Spöttereyen mit Spöt- tereyen, Lästerungen mit Lästerungen erwiedern. Die sind noch keine ächten Schüler Jesu, sie haben bey aller ihrer Unschuld wenig vor ihren Beleidigern vor- aus, sie sind vielmehr mit ihnen in gleicher Verdamm- niß. Möchten sie doch von Jesu lernen, wie man sich bey ungerechten Urtheilen und bey unverdientein Tadel verhalten muß! Er litte freilich wie in allen Fällen, also auch in diesen ganz unschuldig. Allein mit uns möchte es wohl nicht immer diese Bewand- niß haben. Wir geben gewiß sehr oft unsern Geg- nern Veranlassung zum Tadel über unsre Auffüh- rung. Siehe also wenigstens zuerst zu, lieber Freund, ob etwas Wahres in den lieblosen Urtheilen und in dem harten Tadel deines Nächsten liegt; und findest du dich wirklich getroffen, so gehe in der Stille hin, und beßre dich. Gesetzt auch, andre hätten deine
Feh-
O 5
XXXIII. Betrachtung.
war, was ihm ſeine Feinde vorwarfen. Bisweilen ſuchte er auch blos die übeln Eindrücke zu hindern, welche die boshafte Beurtheilung ſeiner Feinde auf die Umſtehenden machen konnte; aber nie mißbrauch- te er die Hochachtung des Volks, um das Anſehn ſeiner Gegner zu ſchmählern, nie vergalt er Böſes mit Böſem.
Sehr weit ſind alſo diejenigen von dem Geiſte Chriſti entfernt, die ſich durch geringe Vorwürfe aufbringen laſſen; die ohne alle Mäßigung Schimpf- worte mit Schimpfworten, Spöttereyen mit Spöt- tereyen, Läſterungen mit Läſterungen erwiedern. Die ſind noch keine ächten Schüler Jeſu, ſie haben bey aller ihrer Unſchuld wenig vor ihren Beleidigern vor- aus, ſie ſind vielmehr mit ihnen in gleicher Verdamm- niß. Möchten ſie doch von Jeſu lernen, wie man ſich bey ungerechten Urtheilen und bey unverdientein Tadel verhalten muß! Er litte freilich wie in allen Fällen, alſo auch in dieſen ganz unſchuldig. Allein mit uns möchte es wohl nicht immer dieſe Bewand- niß haben. Wir geben gewiß ſehr oft unſern Geg- nern Veranlaſſung zum Tadel über unſre Auffüh- rung. Siehe alſo wenigſtens zuerſt zu, lieber Freund, ob etwas Wahres in den liebloſen Urtheilen und in dem harten Tadel deines Nächſten liegt; und findeſt du dich wirklich getroffen, ſo gehe in der Stille hin, und beßre dich. Geſetzt auch, andre hätten deine
Feh-
O 5
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0243"n="217"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">XXXIII.</hi> Betrachtung.</fw><lb/>
war, was ihm ſeine Feinde vorwarfen. Bisweilen<lb/>ſuchte er auch blos die übeln Eindrücke zu hindern,<lb/>
welche die boshafte Beurtheilung ſeiner Feinde auf<lb/>
die Umſtehenden machen konnte; aber nie mißbrauch-<lb/>
te er die Hochachtung des Volks, um das Anſehn<lb/>ſeiner Gegner zu ſchmählern, nie vergalt er Böſes<lb/>
mit Böſem.</p><lb/><p>Sehr weit ſind alſo diejenigen von dem Geiſte<lb/>
Chriſti entfernt, die ſich durch geringe Vorwürfe<lb/>
aufbringen laſſen; die ohne alle Mäßigung Schimpf-<lb/>
worte mit Schimpfworten, Spöttereyen mit Spöt-<lb/>
tereyen, Läſterungen mit Läſterungen erwiedern. Die<lb/>ſind noch keine ächten Schüler Jeſu, ſie haben bey<lb/>
aller ihrer Unſchuld wenig vor ihren Beleidigern vor-<lb/>
aus, ſie ſind vielmehr mit ihnen in gleicher Verdamm-<lb/>
niß. Möchten ſie doch von Jeſu lernen, wie man<lb/>ſich bey ungerechten Urtheilen und bey unverdientein<lb/>
Tadel verhalten muß! Er litte freilich wie in allen<lb/>
Fällen, alſo auch in dieſen ganz unſchuldig. Allein<lb/>
mit uns möchte es wohl nicht immer dieſe Bewand-<lb/>
niß haben. Wir geben gewiß ſehr oft unſern Geg-<lb/>
nern Veranlaſſung zum Tadel über unſre Auffüh-<lb/>
rung. Siehe alſo wenigſtens zuerſt zu, lieber Freund,<lb/>
ob etwas Wahres in den liebloſen Urtheilen und in<lb/>
dem harten Tadel deines Nächſten liegt; und findeſt<lb/>
du dich wirklich getroffen, ſo gehe in der Stille hin,<lb/>
und beßre dich. Geſetzt auch, andre hätten deine<lb/><fwplace="bottom"type="sig">O 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">Feh-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[217/0243]
XXXIII. Betrachtung.
war, was ihm ſeine Feinde vorwarfen. Bisweilen
ſuchte er auch blos die übeln Eindrücke zu hindern,
welche die boshafte Beurtheilung ſeiner Feinde auf
die Umſtehenden machen konnte; aber nie mißbrauch-
te er die Hochachtung des Volks, um das Anſehn
ſeiner Gegner zu ſchmählern, nie vergalt er Böſes
mit Böſem.
Sehr weit ſind alſo diejenigen von dem Geiſte
Chriſti entfernt, die ſich durch geringe Vorwürfe
aufbringen laſſen; die ohne alle Mäßigung Schimpf-
worte mit Schimpfworten, Spöttereyen mit Spöt-
tereyen, Läſterungen mit Läſterungen erwiedern. Die
ſind noch keine ächten Schüler Jeſu, ſie haben bey
aller ihrer Unſchuld wenig vor ihren Beleidigern vor-
aus, ſie ſind vielmehr mit ihnen in gleicher Verdamm-
niß. Möchten ſie doch von Jeſu lernen, wie man
ſich bey ungerechten Urtheilen und bey unverdientein
Tadel verhalten muß! Er litte freilich wie in allen
Fällen, alſo auch in dieſen ganz unſchuldig. Allein
mit uns möchte es wohl nicht immer dieſe Bewand-
niß haben. Wir geben gewiß ſehr oft unſern Geg-
nern Veranlaſſung zum Tadel über unſre Auffüh-
rung. Siehe alſo wenigſtens zuerſt zu, lieber Freund,
ob etwas Wahres in den liebloſen Urtheilen und in
dem harten Tadel deines Nächſten liegt; und findeſt
du dich wirklich getroffen, ſo gehe in der Stille hin,
und beßre dich. Geſetzt auch, andre hätten deine
Feh-
O 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/243>, abgerufen am 16.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.