Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

XXXII. Betrachtung.
te dich vor Argwohn und Stolz; hüte dich vor dem
Geiste des Widerspruchs, der Rechthaberey und der
Verläumdungssucht, sonst wirst du dir von allen
Seiten viel Feinde zuziehen. Sey im Umgange
mit andern nicht zu empfindlich, und lege nicht gleich
jedes unbedachtsame Wort, jede Uebereilung deines
Nächsten übel aus; lerne lieber manches übersehen
und verschmerzen oder großmüthig verachten, um
nicht den Frieden mit andern zu brechen. Wird in-
dessen das gute Vernehmen zwischen dir und andern
mit oder ohne deine Schuld gestöret, so suche es, so
bald als möglich, wieder herzustellen. Laß die Sonne
nicht untergehen über deinen Zorn,
und weigere
dich nicht, dem deine Hand zum Zeichen des Friedens
darzubieten, der zur Aussöhnung geneigt ist. Behar-
re nicht immer strenge auf deinem Rechte; laß lieber
von deinen Forderungen etwas fahren, wenn du da-
durch eine Streitigkeit beendigen und die Eintracht
wieder herstellen kannst. Doch laß dich die Liebe zum
Frieden nie verleiten, der Wahrheitsliebe, der Ge-
wissenhaftigkeit und den Pflichten deines Amtes et-
was aufzuopfern. Jesus that das auch nicht; er
widersetzte sich mit Ernst und Eifer herrschenden Thor-
heiten und Lastern, ob er sich gleich dadurch die un-
verdiente Feindschaft derer zuzog, die sich durch seine
Warnungen und Bestrafungen getroffen fühlten.
Denn er hatte zu viel warmen Eifer für das Wohl

der

XXXII. Betrachtung.
te dich vor Argwohn und Stolz; hüte dich vor dem
Geiſte des Widerſpruchs, der Rechthaberey und der
Verläumdungsſucht, ſonſt wirſt du dir von allen
Seiten viel Feinde zuziehen. Sey im Umgange
mit andern nicht zu empfindlich, und lege nicht gleich
jedes unbedachtſame Wort, jede Uebereilung deines
Nächſten übel aus; lerne lieber manches überſehen
und verſchmerzen oder großmüthig verachten, um
nicht den Frieden mit andern zu brechen. Wird in-
deſſen das gute Vernehmen zwiſchen dir und andern
mit oder ohne deine Schuld geſtöret, ſo ſuche es, ſo
bald als möglich, wieder herzuſtellen. Laß die Sonne
nicht untergehen über deinen Zorn,
und weigere
dich nicht, dem deine Hand zum Zeichen des Friedens
darzubieten, der zur Ausſöhnung geneigt iſt. Behar-
re nicht immer ſtrenge auf deinem Rechte; laß lieber
von deinen Forderungen etwas fahren, wenn du da-
durch eine Streitigkeit beendigen und die Eintracht
wieder herſtellen kannſt. Doch laß dich die Liebe zum
Frieden nie verleiten, der Wahrheitsliebe, der Ge-
wiſſenhaftigkeit und den Pflichten deines Amtes et-
was aufzuopfern. Jeſus that das auch nicht; er
widerſetzte ſich mit Ernſt und Eifer herrſchenden Thor-
heiten und Laſtern, ob er ſich gleich dadurch die un-
verdiente Feindſchaft derer zuzog, die ſich durch ſeine
Warnungen und Beſtrafungen getroffen fühlten.
Denn er hatte zu viel warmen Eifer für das Wohl

der
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0238" n="212"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">XXXII.</hi> Betrachtung.</fw><lb/>
te dich vor Argwohn und Stolz; hüte dich vor dem<lb/>
Gei&#x017F;te des Wider&#x017F;pruchs, der Rechthaberey und der<lb/>
Verläumdungs&#x017F;ucht, &#x017F;on&#x017F;t wir&#x017F;t du dir von allen<lb/>
Seiten viel Feinde zuziehen. Sey im Umgange<lb/>
mit andern nicht zu empfindlich, und lege nicht gleich<lb/>
jedes unbedacht&#x017F;ame Wort, jede Uebereilung deines<lb/>
Näch&#x017F;ten übel aus; lerne lieber manches über&#x017F;ehen<lb/>
und ver&#x017F;chmerzen oder großmüthig verachten, um<lb/>
nicht den Frieden mit andern zu brechen. Wird in-<lb/>
de&#x017F;&#x017F;en das gute Vernehmen zwi&#x017F;chen dir und andern<lb/>
mit oder ohne deine Schuld ge&#x017F;töret, &#x017F;o &#x017F;uche es, &#x017F;o<lb/>
bald als möglich, wieder herzu&#x017F;tellen. <hi rendition="#fr">Laß die Sonne<lb/>
nicht untergehen über deinen Zorn,</hi> und weigere<lb/>
dich nicht, dem deine Hand zum Zeichen des Friedens<lb/>
darzubieten, der zur Aus&#x017F;öhnung geneigt i&#x017F;t. Behar-<lb/>
re nicht immer &#x017F;trenge auf deinem Rechte; laß lieber<lb/>
von deinen Forderungen etwas fahren, wenn du da-<lb/>
durch eine Streitigkeit beendigen und die Eintracht<lb/>
wieder her&#x017F;tellen kann&#x017F;t. Doch laß dich die Liebe zum<lb/>
Frieden nie verleiten, der Wahrheitsliebe, der Ge-<lb/>
wi&#x017F;&#x017F;enhaftigkeit und den Pflichten deines Amtes et-<lb/>
was aufzuopfern. Je&#x017F;us that das auch nicht; er<lb/>
wider&#x017F;etzte &#x017F;ich mit Ern&#x017F;t und Eifer herr&#x017F;chenden Thor-<lb/>
heiten und La&#x017F;tern, ob er &#x017F;ich gleich dadurch die un-<lb/>
verdiente Feind&#x017F;chaft derer zuzog, die &#x017F;ich durch &#x017F;eine<lb/>
Warnungen und Be&#x017F;trafungen getroffen fühlten.<lb/>
Denn er hatte zu viel warmen Eifer für das Wohl<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">der</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[212/0238] XXXII. Betrachtung. te dich vor Argwohn und Stolz; hüte dich vor dem Geiſte des Widerſpruchs, der Rechthaberey und der Verläumdungsſucht, ſonſt wirſt du dir von allen Seiten viel Feinde zuziehen. Sey im Umgange mit andern nicht zu empfindlich, und lege nicht gleich jedes unbedachtſame Wort, jede Uebereilung deines Nächſten übel aus; lerne lieber manches überſehen und verſchmerzen oder großmüthig verachten, um nicht den Frieden mit andern zu brechen. Wird in- deſſen das gute Vernehmen zwiſchen dir und andern mit oder ohne deine Schuld geſtöret, ſo ſuche es, ſo bald als möglich, wieder herzuſtellen. Laß die Sonne nicht untergehen über deinen Zorn, und weigere dich nicht, dem deine Hand zum Zeichen des Friedens darzubieten, der zur Ausſöhnung geneigt iſt. Behar- re nicht immer ſtrenge auf deinem Rechte; laß lieber von deinen Forderungen etwas fahren, wenn du da- durch eine Streitigkeit beendigen und die Eintracht wieder herſtellen kannſt. Doch laß dich die Liebe zum Frieden nie verleiten, der Wahrheitsliebe, der Ge- wiſſenhaftigkeit und den Pflichten deines Amtes et- was aufzuopfern. Jeſus that das auch nicht; er widerſetzte ſich mit Ernſt und Eifer herrſchenden Thor- heiten und Laſtern, ob er ſich gleich dadurch die un- verdiente Feindſchaft derer zuzog, die ſich durch ſeine Warnungen und Beſtrafungen getroffen fühlten. Denn er hatte zu viel warmen Eifer für das Wohl der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/238
Zitationshilfe: Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/238>, abgerufen am 22.11.2024.