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Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.

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XXIX. Betrachtung.
die freundlich reden mit ihrem Nächsten, und haben
Böses im Herzen.
*)

Willst du also sein Schüler seyn, und seiner Re-
ligion Ehre machen: so sey ein Freund der Wahrheit
und Aufrichtigkeit, wie Er. Befleißige dich dieser
Tugenden in deinen Reden und Gesinnungen, damit
man nie fürchten dürfe, daß du Böses im Sinne ha-
best. Betrachte das vorsetzliche Lügen nicht als eine
Kleinigkeit, nicht als einen sehr verzeihlichen Fehler,
sondern bedenke, daß du dadurch das Zutrauen dei-
ner Mitmenschen verlierest, wenn du als ein Lügner,
beschämt und gedemüthiget, schweigen mußt; da
doch gleichwohl von dem Zutrauen anderer, in den
meisten Fällen, dein äußerliches Wohl recht sichtbar
abhängt. Schmeichle nie deinem Nächsten auf eine
niedrige und kriechende Art! den Unvorsichtigen wür-
dest du zwar täuschen und seine Leichtgläubigkeit ein-
schläfern; aber den Scharfsichtigen wirst du nicht
hintergehen; er wird bald deine unlautern Absichten
gewahr werden, du wirst seinen Unwillen erregen,
und dir seine Verachtung zuziehen. Verschweige
die Wahrheit nie, wo sie Nutzen stiftet, wo dir dein
Gewissen über ein unzeitiges Stillschweigen Vorwür-
fe machen könnte, wo Gottes Ehre, Unschuld und
Tugend darunter leiden würden. Versprich lieber
wenig; aber halte desto gewissenhafter, was du ein-
mal zugesagt hast! denn es ist besser du gelobest

nichts,
*) Ps. 28, 3.

XXIX. Betrachtung.
die freundlich reden mit ihrem Nächſten, und haben
Böſes im Herzen.
*)

Willſt du alſo ſein Schüler ſeyn, und ſeiner Re-
ligion Ehre machen: ſo ſey ein Freund der Wahrheit
und Aufrichtigkeit, wie Er. Befleißige dich dieſer
Tugenden in deinen Reden und Geſinnungen, damit
man nie fürchten dürfe, daß du Böſes im Sinne ha-
beſt. Betrachte das vorſetzliche Lügen nicht als eine
Kleinigkeit, nicht als einen ſehr verzeihlichen Fehler,
ſondern bedenke, daß du dadurch das Zutrauen dei-
ner Mitmenſchen verliereſt, wenn du als ein Lügner,
beſchämt und gedemüthiget, ſchweigen mußt; da
doch gleichwohl von dem Zutrauen anderer, in den
meiſten Fällen, dein äußerliches Wohl recht ſichtbar
abhängt. Schmeichle nie deinem Nächſten auf eine
niedrige und kriechende Art! den Unvorſichtigen wür-
deſt du zwar täuſchen und ſeine Leichtgläubigkeit ein-
ſchläfern; aber den Scharfſichtigen wirſt du nicht
hintergehen; er wird bald deine unlautern Abſichten
gewahr werden, du wirſt ſeinen Unwillen erregen,
und dir ſeine Verachtung zuziehen. Verſchweige
die Wahrheit nie, wo ſie Nutzen ſtiftet, wo dir dein
Gewiſſen über ein unzeitiges Stillſchweigen Vorwür-
fe machen könnte, wo Gottes Ehre, Unſchuld und
Tugend darunter leiden würden. Verſprich lieber
wenig; aber halte deſto gewiſſenhafter, was du ein-
mal zugeſagt haſt! denn es iſt beſſer du gelobeſt

nichts,
*) Pſ. 28, 3.
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[192/0218] XXIX. Betrachtung. die freundlich reden mit ihrem Nächſten, und haben Böſes im Herzen. *) Willſt du alſo ſein Schüler ſeyn, und ſeiner Re- ligion Ehre machen: ſo ſey ein Freund der Wahrheit und Aufrichtigkeit, wie Er. Befleißige dich dieſer Tugenden in deinen Reden und Geſinnungen, damit man nie fürchten dürfe, daß du Böſes im Sinne ha- beſt. Betrachte das vorſetzliche Lügen nicht als eine Kleinigkeit, nicht als einen ſehr verzeihlichen Fehler, ſondern bedenke, daß du dadurch das Zutrauen dei- ner Mitmenſchen verliereſt, wenn du als ein Lügner, beſchämt und gedemüthiget, ſchweigen mußt; da doch gleichwohl von dem Zutrauen anderer, in den meiſten Fällen, dein äußerliches Wohl recht ſichtbar abhängt. Schmeichle nie deinem Nächſten auf eine niedrige und kriechende Art! den Unvorſichtigen wür- deſt du zwar täuſchen und ſeine Leichtgläubigkeit ein- ſchläfern; aber den Scharfſichtigen wirſt du nicht hintergehen; er wird bald deine unlautern Abſichten gewahr werden, du wirſt ſeinen Unwillen erregen, und dir ſeine Verachtung zuziehen. Verſchweige die Wahrheit nie, wo ſie Nutzen ſtiftet, wo dir dein Gewiſſen über ein unzeitiges Stillſchweigen Vorwür- fe machen könnte, wo Gottes Ehre, Unſchuld und Tugend darunter leiden würden. Verſprich lieber wenig; aber halte deſto gewiſſenhafter, was du ein- mal zugeſagt haſt! denn es iſt beſſer du gelobeſt nichts, *) Pſ. 28, 3.

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Zitationshilfe: Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 192. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/218>, abgerufen am 22.11.2024.