Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

XXIX. Betrachtung.
chen Throns, den er nach ihren Gedanken besteigen, an-
statt der siegreichen Herrschaft, die er über die Völ-
ker der Erde führen sollte, anstatt der Ehrenstellen,
die sie in seinem Reiche vor allen übrigen zu erlangen
hofften, kündigte er ihnen an: er werde verspottet, ge-
geisselt, zum Tode verurtheilt werden, und endlich
am Kreuze sterben. Des Menschen Sohn muß noch
viel leiden, und verworfen und getödtet werden.*)
Jn Ansehung ihrer selbst giebt er sehr deutlich zu ver-
stehen, daß ihnen ähnliche Schicksale bevorstünden,
daß sie in seinem Dienste Schmach, Verachtung,
Schmerzen und Tod über sich nehmen müßten. Jch
sende euch, spricht er, wenn er ihnen die angenehme
Seite ihres Apostelamts schildert, ich sende euch wie
Schaafe mitten unter die Wölfe. Man wird euch
vor Fürsten und Könige führen um meinet willen;
ihr werdet von Jedermann um meines Namens wil-
len gehasset und verfolget werden.**) Diese Anzei-
ge von ihren und seinen bevorstehenden traurigen
Schicksalen ist die Sprache der edelsten Offenherzig-
keit, der reinsten Liebe zur Wahrheit und der größ-
ten Aufrichtigkeit. Man siehet recht deutlich, daß
er ihnen das Beschwerliche in seiner Nachfolge nicht
verschwieg, daß er keine Ueberredungskünste anwand-
te, um sie für sich einzunehmen. Was er daher
einst zum Lobe des Nathanaels sagte, das könnte

man
*) Luc. 9, 22.
**) Matth. 10, 16. 18. 22.

XXIX. Betrachtung.
chen Throns, den er nach ihren Gedanken beſteigen, an-
ſtatt der ſiegreichen Herrſchaft, die er über die Völ-
ker der Erde führen ſollte, anſtatt der Ehrenſtellen,
die ſie in ſeinem Reiche vor allen übrigen zu erlangen
hofften, kündigte er ihnen an: er werde verſpottet, ge-
geiſſelt, zum Tode verurtheilt werden, und endlich
am Kreuze ſterben. Des Menſchen Sohn muß noch
viel leiden, und verworfen und getödtet werden.*)
Jn Anſehung ihrer ſelbſt giebt er ſehr deutlich zu ver-
ſtehen, daß ihnen ähnliche Schickſale bevorſtünden,
daß ſie in ſeinem Dienſte Schmach, Verachtung,
Schmerzen und Tod über ſich nehmen müßten. Jch
ſende euch, ſpricht er, wenn er ihnen die angenehme
Seite ihres Apoſtelamts ſchildert, ich ſende euch wie
Schaafe mitten unter die Wölfe. Man wird euch
vor Fürſten und Könige führen um meinet willen;
ihr werdet von Jedermann um meines Namens wil-
len gehaſſet und verfolget werden.**) Dieſe Anzei-
ge von ihren und ſeinen bevorſtehenden traurigen
Schickſalen iſt die Sprache der edelſten Offenherzig-
keit, der reinſten Liebe zur Wahrheit und der größ-
ten Aufrichtigkeit. Man ſiehet recht deutlich, daß
er ihnen das Beſchwerliche in ſeiner Nachfolge nicht
verſchwieg, daß er keine Ueberredungskünſte anwand-
te, um ſie für ſich einzunehmen. Was er daher
einſt zum Lobe des Nathanaels ſagte, das könnte

man
*) Luc. 9, 22.
**) Matth. 10, 16. 18. 22.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0216" n="190"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">XXIX.</hi> Betrachtung.</fw><lb/>
chen Throns, den er nach ihren Gedanken be&#x017F;teigen, an-<lb/>
&#x017F;tatt der &#x017F;iegreichen Herr&#x017F;chaft, die er über die Völ-<lb/>
ker der Erde führen &#x017F;ollte, an&#x017F;tatt der Ehren&#x017F;tellen,<lb/>
die &#x017F;ie in &#x017F;einem Reiche vor allen übrigen zu erlangen<lb/>
hofften, kündigte er ihnen an: <hi rendition="#fr">er werde ver&#x017F;pottet, ge-<lb/>
gei&#x017F;&#x017F;elt, zum Tode verurtheilt werden, und endlich<lb/>
am Kreuze &#x017F;terben. Des Men&#x017F;chen Sohn muß noch<lb/>
viel leiden, und verworfen und getödtet werden.</hi><note place="foot" n="*)">Luc. 9, 22.</note><lb/>
Jn An&#x017F;ehung ihrer &#x017F;elb&#x017F;t giebt er &#x017F;ehr deutlich zu ver-<lb/>
&#x017F;tehen, daß ihnen ähnliche Schick&#x017F;ale bevor&#x017F;tünden,<lb/>
daß &#x017F;ie in &#x017F;einem Dien&#x017F;te Schmach, Verachtung,<lb/>
Schmerzen und Tod über &#x017F;ich nehmen müßten. <hi rendition="#fr">Jch<lb/>
&#x017F;ende euch,</hi> &#x017F;pricht er, wenn er ihnen die angenehme<lb/>
Seite ihres Apo&#x017F;telamts &#x017F;childert, <hi rendition="#fr">ich &#x017F;ende euch wie<lb/>
Schaafe mitten unter die Wölfe. Man wird euch<lb/>
vor Für&#x017F;ten und Könige führen um meinet willen;<lb/>
ihr werdet von Jedermann um meines Namens wil-<lb/>
len geha&#x017F;&#x017F;et und verfolget werden.</hi><note place="foot" n="**)">Matth. 10, 16. 18. 22.</note> Die&#x017F;e Anzei-<lb/>
ge von ihren und &#x017F;einen bevor&#x017F;tehenden traurigen<lb/>
Schick&#x017F;alen i&#x017F;t die Sprache der edel&#x017F;ten Offenherzig-<lb/>
keit, der rein&#x017F;ten Liebe zur Wahrheit und der größ-<lb/>
ten Aufrichtigkeit. Man &#x017F;iehet recht deutlich, daß<lb/>
er ihnen das Be&#x017F;chwerliche in &#x017F;einer Nachfolge nicht<lb/>
ver&#x017F;chwieg, daß er keine Ueberredungskün&#x017F;te anwand-<lb/>
te, um &#x017F;ie für &#x017F;ich einzunehmen. Was er daher<lb/>
ein&#x017F;t zum Lobe des Nathanaels &#x017F;agte, das könnte<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">man</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[190/0216] XXIX. Betrachtung. chen Throns, den er nach ihren Gedanken beſteigen, an- ſtatt der ſiegreichen Herrſchaft, die er über die Völ- ker der Erde führen ſollte, anſtatt der Ehrenſtellen, die ſie in ſeinem Reiche vor allen übrigen zu erlangen hofften, kündigte er ihnen an: er werde verſpottet, ge- geiſſelt, zum Tode verurtheilt werden, und endlich am Kreuze ſterben. Des Menſchen Sohn muß noch viel leiden, und verworfen und getödtet werden. *) Jn Anſehung ihrer ſelbſt giebt er ſehr deutlich zu ver- ſtehen, daß ihnen ähnliche Schickſale bevorſtünden, daß ſie in ſeinem Dienſte Schmach, Verachtung, Schmerzen und Tod über ſich nehmen müßten. Jch ſende euch, ſpricht er, wenn er ihnen die angenehme Seite ihres Apoſtelamts ſchildert, ich ſende euch wie Schaafe mitten unter die Wölfe. Man wird euch vor Fürſten und Könige führen um meinet willen; ihr werdet von Jedermann um meines Namens wil- len gehaſſet und verfolget werden. **) Dieſe Anzei- ge von ihren und ſeinen bevorſtehenden traurigen Schickſalen iſt die Sprache der edelſten Offenherzig- keit, der reinſten Liebe zur Wahrheit und der größ- ten Aufrichtigkeit. Man ſiehet recht deutlich, daß er ihnen das Beſchwerliche in ſeiner Nachfolge nicht verſchwieg, daß er keine Ueberredungskünſte anwand- te, um ſie für ſich einzunehmen. Was er daher einſt zum Lobe des Nathanaels ſagte, das könnte man *) Luc. 9, 22. **) Matth. 10, 16. 18. 22.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/216
Zitationshilfe: Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/216>, abgerufen am 23.11.2024.