Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

XXIII. Betrachtung.
nenden weinen; so lerne an diesem Beyspiele herzli-
che thätige Theilnehmung. Nie darfst du den Wohl-
stand deiner Brüder und den glücklichen Erfolg in ih-
ren Geschäften mit neidischen Augen ansehen; du
mußt dich vielmehr über das Gute, das sie geniessen,
über die glücklichen Veränderungen und Begebenhei-
ten, die sich mit ihnen zutragen, freuen, und Gott
eben so herzlich dafür danken, als wenn dir selbst das
alles wäre zu Theil geworden. Denn wenn du dich
immer gewöhnest, das Gute zu bemerken, das ande-
re empfangen, so wird sich deinem Herzen eine uner-
schöpfliche Quelle der reinsten Freude öfnen, und es
wird dir nie an Materie, nie an Stof zum Dank ge-
gen Gott fehlen. Nie mußt du durch Unzufrieden-
heit, durch bittere Klagen über dein Schicksal die
Freude Anderer stören; denn das würde immer einen
heimlichen Neid in dir verrathen, und dich zur herzli-
chen Theilnehmung an dem Wohlstande Anderer un-
fähig machen. Kannst du selbst die Freude und Glück-
seligkeit deiner Mitmenschen befördern; erlauben es
deine Umstände, Andern Gelegenheit und Mittel
zum frohen, unschuldsvollen Genusse des Lebens zu
verschaffen, so zeige dich willig als einen Nachfolger
Gottes, der überall Freude über seine Geschöpfe ver-
breitet.

Willst du aber auch mit den Weinenden wei-
nen, so nimm Antheil an den Leiden der Betrüb-

ten
K 4

XXIII. Betrachtung.
nenden weinen; ſo lerne an dieſem Beyſpiele herzli-
che thätige Theilnehmung. Nie darfſt du den Wohl-
ſtand deiner Brüder und den glücklichen Erfolg in ih-
ren Geſchäften mit neidiſchen Augen anſehen; du
mußt dich vielmehr über das Gute, das ſie genieſſen,
über die glücklichen Veränderungen und Begebenhei-
ten, die ſich mit ihnen zutragen, freuen, und Gott
eben ſo herzlich dafür danken, als wenn dir ſelbſt das
alles wäre zu Theil geworden. Denn wenn du dich
immer gewöhneſt, das Gute zu bemerken, das ande-
re empfangen, ſo wird ſich deinem Herzen eine uner-
ſchöpfliche Quelle der reinſten Freude öfnen, und es
wird dir nie an Materie, nie an Stof zum Dank ge-
gen Gott fehlen. Nie mußt du durch Unzufrieden-
heit, durch bittere Klagen über dein Schickſal die
Freude Anderer ſtören; denn das würde immer einen
heimlichen Neid in dir verrathen, und dich zur herzli-
chen Theilnehmung an dem Wohlſtande Anderer un-
fähig machen. Kannſt du ſelbſt die Freude und Glück-
ſeligkeit deiner Mitmenſchen befördern; erlauben es
deine Umſtände, Andern Gelegenheit und Mittel
zum frohen, unſchuldsvollen Genuſſe des Lebens zu
verſchaffen, ſo zeige dich willig als einen Nachfolger
Gottes, der überall Freude über ſeine Geſchöpfe ver-
breitet.

Willſt du aber auch mit den Weinenden wei-
nen, ſo nimm Antheil an den Leiden der Betrüb-

ten
K 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0177" n="151"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#aq">XXIII.</hi> Betrachtung.</fw><lb/>
nenden weinen; &#x017F;o lerne an die&#x017F;em Bey&#x017F;piele herzli-<lb/>
che thätige Theilnehmung. Nie darf&#x017F;t du den Wohl-<lb/>
&#x017F;tand deiner Brüder und den glücklichen Erfolg in ih-<lb/>
ren Ge&#x017F;chäften mit neidi&#x017F;chen Augen an&#x017F;ehen; du<lb/>
mußt dich vielmehr über das Gute, das &#x017F;ie genie&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
über die glücklichen Veränderungen und Begebenhei-<lb/>
ten, die &#x017F;ich mit ihnen zutragen, freuen, und Gott<lb/>
eben &#x017F;o herzlich dafür danken, als wenn dir &#x017F;elb&#x017F;t das<lb/>
alles wäre zu Theil geworden. Denn wenn du dich<lb/>
immer gewöhne&#x017F;t, das Gute zu bemerken, das ande-<lb/>
re empfangen, &#x017F;o wird &#x017F;ich deinem Herzen eine uner-<lb/>
&#x017F;chöpfliche Quelle der rein&#x017F;ten Freude öfnen, und es<lb/>
wird dir nie an Materie, nie an Stof zum Dank ge-<lb/>
gen Gott fehlen. Nie mußt du durch Unzufrieden-<lb/>
heit, durch bittere Klagen über dein Schick&#x017F;al die<lb/>
Freude Anderer &#x017F;tören; denn das würde immer einen<lb/>
heimlichen Neid in dir verrathen, und dich zur herzli-<lb/>
chen Theilnehmung an dem Wohl&#x017F;tande Anderer un-<lb/>
fähig machen. Kann&#x017F;t du &#x017F;elb&#x017F;t die Freude und Glück-<lb/>
&#x017F;eligkeit deiner Mitmen&#x017F;chen befördern; erlauben es<lb/>
deine Um&#x017F;tände, Andern Gelegenheit und Mittel<lb/>
zum frohen, un&#x017F;chuldsvollen Genu&#x017F;&#x017F;e des Lebens zu<lb/>
ver&#x017F;chaffen, &#x017F;o zeige dich willig als einen Nachfolger<lb/>
Gottes, der überall Freude über &#x017F;eine Ge&#x017F;chöpfe ver-<lb/>
breitet.</p><lb/>
          <p>Will&#x017F;t du aber auch mit den Weinenden wei-<lb/>
nen, &#x017F;o nimm Antheil an den Leiden der Betrüb-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">K 4</fw><fw place="bottom" type="catch">ten</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[151/0177] XXIII. Betrachtung. nenden weinen; ſo lerne an dieſem Beyſpiele herzli- che thätige Theilnehmung. Nie darfſt du den Wohl- ſtand deiner Brüder und den glücklichen Erfolg in ih- ren Geſchäften mit neidiſchen Augen anſehen; du mußt dich vielmehr über das Gute, das ſie genieſſen, über die glücklichen Veränderungen und Begebenhei- ten, die ſich mit ihnen zutragen, freuen, und Gott eben ſo herzlich dafür danken, als wenn dir ſelbſt das alles wäre zu Theil geworden. Denn wenn du dich immer gewöhneſt, das Gute zu bemerken, das ande- re empfangen, ſo wird ſich deinem Herzen eine uner- ſchöpfliche Quelle der reinſten Freude öfnen, und es wird dir nie an Materie, nie an Stof zum Dank ge- gen Gott fehlen. Nie mußt du durch Unzufrieden- heit, durch bittere Klagen über dein Schickſal die Freude Anderer ſtören; denn das würde immer einen heimlichen Neid in dir verrathen, und dich zur herzli- chen Theilnehmung an dem Wohlſtande Anderer un- fähig machen. Kannſt du ſelbſt die Freude und Glück- ſeligkeit deiner Mitmenſchen befördern; erlauben es deine Umſtände, Andern Gelegenheit und Mittel zum frohen, unſchuldsvollen Genuſſe des Lebens zu verſchaffen, ſo zeige dich willig als einen Nachfolger Gottes, der überall Freude über ſeine Geſchöpfe ver- breitet. Willſt du aber auch mit den Weinenden wei- nen, ſo nimm Antheil an den Leiden der Betrüb- ten K 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/177
Zitationshilfe: Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_nachahmung_1792/177>, abgerufen am 27.11.2024.