Cramer, Johann Friedrich Heinrich: Ueber die Nachahmung Jesu. Ein Erbauungsbuch für Christen. Dresden, 1792.XV. Betrachtung. allem, was die Ehre Gottes schwächen, und sein An-sehn unter den Menschen hätte vermindern können.*) Und wenn es darauf ankam, Unwissende zu belehren, Lasterhafte zu bessern; so ließ er sich keine Mühe, keinen Gang, selbst keinen mißlungenen Versuch da- von abschrecken. Die größte Undankbarkeit seiner Zeitgenossen war nicht im Stande, seinen großmü- thigen brennenden Eifer für Gottes Ehre und Men- schenwohl auszulöschen. Denn er war vom Him- mel kommen, wie er sprach, nicht daß ich meinen Willen thue, sondern dessen Willen, der mich ge- sandt hat.**) Sein ganzes Herz erfreute sich, so oft es ihm gelang, neue Anhänger für seine Lehre zu gewinnen, so oft er Gelegenheit hatte, einen Men- schen zu bessern, der schon zum Verderben reif war. Hingegen empfand er inniges Mitleiden, wenn er die Unwissenheit seiner Zeitgenossen entdeckte; wenn er sahe, wie menschlich sie von Gott dachten und ur- theilten, wie sie ihm Fehler und Schwachheiten an- dichteten, wie sie durch einen selbst erwählten Got- tesdienst bald sich seiner Wohlthaten theilhaftig ma- chen, bald seine Strafen abwenden wollten. Es gieng ihm nahe, wenn er sahe, wie seine Landsleute von falschen treulosen Führern irre geführt wurden, und der klägliche Verfall der Religion und des Got- tesdienstes verursachte ihm bittern Kummer. Ja sein *) Joh. 8, 49, **) Joh. 6, 38.
XV. Betrachtung. allem, was die Ehre Gottes ſchwächen, und ſein An-ſehn unter den Menſchen hätte vermindern können.*) Und wenn es darauf ankam, Unwiſſende zu belehren, Laſterhafte zu beſſern; ſo ließ er ſich keine Mühe, keinen Gang, ſelbſt keinen mißlungenen Verſuch da- von abſchrecken. Die größte Undankbarkeit ſeiner Zeitgenoſſen war nicht im Stande, ſeinen großmü- thigen brennenden Eifer für Gottes Ehre und Men- ſchenwohl auszulöſchen. Denn er war vom Him- mel kommen, wie er ſprach, nicht daß ich meinen Willen thue, ſondern deſſen Willen, der mich ge- ſandt hat.**) Sein ganzes Herz erfreute ſich, ſo oft es ihm gelang, neue Anhänger für ſeine Lehre zu gewinnen, ſo oft er Gelegenheit hatte, einen Men- ſchen zu beſſern, der ſchon zum Verderben reif war. Hingegen empfand er inniges Mitleiden, wenn er die Unwiſſenheit ſeiner Zeitgenoſſen entdeckte; wenn er ſahe, wie menſchlich ſie von Gott dachten und ur- theilten, wie ſie ihm Fehler und Schwachheiten an- dichteten, wie ſie durch einen ſelbſt erwählten Got- tesdienſt bald ſich ſeiner Wohlthaten theilhaftig ma- chen, bald ſeine Strafen abwenden wollten. Es gieng ihm nahe, wenn er ſahe, wie ſeine Landsleute von falſchen treuloſen Führern irre geführt wurden, und der klägliche Verfall der Religion und des Got- tesdienſtes verurſachte ihm bittern Kummer. Ja ſein *) Joh. 8, 49, **) Joh. 6, 38.
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XV. Betrachtung.
allem, was die Ehre Gottes ſchwächen, und ſein An-
ſehn unter den Menſchen hätte vermindern können. *)
Und wenn es darauf ankam, Unwiſſende zu belehren,
Laſterhafte zu beſſern; ſo ließ er ſich keine Mühe,
keinen Gang, ſelbſt keinen mißlungenen Verſuch da-
von abſchrecken. Die größte Undankbarkeit ſeiner
Zeitgenoſſen war nicht im Stande, ſeinen großmü-
thigen brennenden Eifer für Gottes Ehre und Men-
ſchenwohl auszulöſchen. Denn er war vom Him-
mel kommen, wie er ſprach, nicht daß ich meinen
Willen thue, ſondern deſſen Willen, der mich ge-
ſandt hat. **) Sein ganzes Herz erfreute ſich, ſo
oft es ihm gelang, neue Anhänger für ſeine Lehre zu
gewinnen, ſo oft er Gelegenheit hatte, einen Men-
ſchen zu beſſern, der ſchon zum Verderben reif war.
Hingegen empfand er inniges Mitleiden, wenn er die
Unwiſſenheit ſeiner Zeitgenoſſen entdeckte; wenn er
ſahe, wie menſchlich ſie von Gott dachten und ur-
theilten, wie ſie ihm Fehler und Schwachheiten an-
dichteten, wie ſie durch einen ſelbſt erwählten Got-
tesdienſt bald ſich ſeiner Wohlthaten theilhaftig ma-
chen, bald ſeine Strafen abwenden wollten. Es
gieng ihm nahe, wenn er ſahe, wie ſeine Landsleute
von falſchen treuloſen Führern irre geführt wurden,
und der klägliche Verfall der Religion und des Got-
tesdienſtes verurſachte ihm bittern Kummer. Ja
ſein
*) Joh. 8, 49,
**) Joh. 6, 38.
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