begleiten wolltest." So machte er mir den Eigen- sinn recht verächtlich.
Ein anderes Mal war ich auf der Diele in un- serer Kornscheuer recht lustig am Spielen. Da kam der Vater mit den Schlüsseln, um die großen Flügel- thüren wieder zu verschließen. Ich aber wollte noch nicht hinaus und bat mit Thränen, er möge wieder zurückgehen und mich noch nicht in meinem Spiele stören. Er aber legte mir die Gründe vor, warum er gerade jetzt die Thüren verschließen wolle, und lud mich nochmals ein, herauszukommen. Die Gründe wollte ich jedoch nicht respektiren und wiederholte mein Geschrei. Was that er? Er machte die Thüren wacker zu und ließ mich bis Abend ohne Speise und Trank sitzen. Das war mir anfangs nicht unangenehm und ich setzte mein Spiel fort. Aber nach einer Stunde, als man die kleine Glocke auf dem Dache des Wohnhauses zum Vesperbrode zog und mich auch das Brausen des Windes schreckte, wurde ich sehr unruhig und ver- suchte, hinauszukommen. Aber trotz aller Kraft-An- strengung konnte ich die schweren Thüren kaum in Bewegung setzen, geschweige öffnen; mein Weinen verscheuchte blos eine große Eule, die mit lautem Geschrei unter den Dachziegeln davon flog; kein Mensch kümmerte sich um den kleinen Gefangenen. Schon neigte sich der Tag und noch kein Retter er- schien. Meine Reue aus Angst und Schrecken erreichte den höchsten Grad. Da lernte ich das erste Mal in meinem Leben recht herzlich zu beten. Ich legte mich auf meine Knie und rezitirte alle Gebete, die ich konnte. Endlich erschien der Vater und öffnete die Thüre. Er schwieg, während ich ihm versprach, nie wieder seinem Willen entgegen sein zu wollen.
begleiten wolltest.“ So machte er mir den Eigen- sinn recht verächtlich.
Ein anderes Mal war ich auf der Diele in un- serer Kornscheuer recht lustig am Spielen. Da kam der Vater mit den Schlüsseln, um die großen Flügel- thüren wieder zu verschließen. Ich aber wollte noch nicht hinaus und bat mit Thränen, er möge wieder zurückgehen und mich noch nicht in meinem Spiele stören. Er aber legte mir die Gründe vor, warum er gerade jetzt die Thüren verschließen wolle, und lud mich nochmals ein, herauszukommen. Die Gründe wollte ich jedoch nicht respektiren und wiederholte mein Geschrei. Was that er? Er machte die Thüren wacker zu und ließ mich bis Abend ohne Speise und Trank sitzen. Das war mir anfangs nicht unangenehm und ich setzte mein Spiel fort. Aber nach einer Stunde, als man die kleine Glocke auf dem Dache des Wohnhauses zum Vesperbrode zog und mich auch das Brausen des Windes schreckte, wurde ich sehr unruhig und ver- suchte, hinauszukommen. Aber trotz aller Kraft-An- strengung konnte ich die schweren Thüren kaum in Bewegung setzen, geschweige öffnen; mein Weinen verscheuchte blos eine große Eule, die mit lautem Geschrei unter den Dachziegeln davon flog; kein Mensch kümmerte sich um den kleinen Gefangenen. Schon neigte sich der Tag und noch kein Retter er- schien. Meine Reue aus Angst und Schrecken erreichte den höchsten Grad. Da lernte ich das erste Mal in meinem Leben recht herzlich zu beten. Ich legte mich auf meine Knie und rezitirte alle Gebete, die ich konnte. Endlich erschien der Vater und öffnete die Thüre. Er schwieg, während ich ihm versprach, nie wieder seinem Willen entgegen sein zu wollen.
<TEI><text><body><div><p><q><pbfacs="#f0154"xml:id="C889V3_001_1874_pb0151_0001"n="151"/>
begleiten wolltest.“</q> So machte er mir den Eigen-<lb/>
sinn recht verächtlich.</p><p>Ein anderes Mal war ich auf der Diele in un-<lb/>
serer Kornscheuer recht lustig am Spielen. Da kam<lb/>
der Vater mit den Schlüsseln, um die großen Flügel-<lb/>
thüren wieder zu verschließen. Ich aber wollte noch<lb/>
nicht hinaus und bat mit Thränen, er möge wieder<lb/>
zurückgehen und mich noch nicht in meinem Spiele<lb/>
stören. Er aber legte mir die Gründe vor, warum<lb/>
er gerade jetzt die Thüren verschließen wolle, und lud<lb/>
mich nochmals ein, herauszukommen. Die Gründe<lb/>
wollte ich jedoch nicht respektiren und wiederholte mein<lb/>
Geschrei. Was that er? Er machte die Thüren wacker<lb/>
zu und ließ mich bis Abend ohne Speise und Trank<lb/>
sitzen. Das war mir anfangs nicht unangenehm und ich<lb/>
setzte mein Spiel fort. Aber nach einer Stunde, als<lb/>
man die kleine Glocke auf dem Dache des Wohnhauses<lb/>
zum Vesperbrode zog und mich auch das Brausen<lb/>
des Windes schreckte, wurde ich sehr unruhig und ver-<lb/>
suchte, hinauszukommen. Aber trotz aller Kraft-An-<lb/>
strengung konnte ich die schweren Thüren kaum in<lb/>
Bewegung setzen, geschweige öffnen; mein Weinen<lb/>
verscheuchte blos eine große Eule, die mit lautem<lb/>
Geschrei unter den Dachziegeln davon flog; kein<lb/>
Mensch kümmerte sich um den kleinen Gefangenen.<lb/>
Schon neigte sich der Tag und noch kein Retter er-<lb/>
schien. Meine Reue aus Angst und Schrecken erreichte<lb/>
den höchsten Grad. Da lernte ich das erste Mal in<lb/>
meinem Leben recht herzlich zu beten. Ich legte<lb/>
mich auf meine Knie und rezitirte alle Gebete, die<lb/>
ich konnte. Endlich erschien der Vater und öffnete<lb/>
die Thüre. Er schwieg, während ich ihm versprach,<lb/>
nie wieder seinem Willen entgegen sein zu wollen.</p></div></body></text></TEI>
[151/0154]
begleiten wolltest.“ So machte er mir den Eigen-
sinn recht verächtlich.
Ein anderes Mal war ich auf der Diele in un-
serer Kornscheuer recht lustig am Spielen. Da kam
der Vater mit den Schlüsseln, um die großen Flügel-
thüren wieder zu verschließen. Ich aber wollte noch
nicht hinaus und bat mit Thränen, er möge wieder
zurückgehen und mich noch nicht in meinem Spiele
stören. Er aber legte mir die Gründe vor, warum
er gerade jetzt die Thüren verschließen wolle, und lud
mich nochmals ein, herauszukommen. Die Gründe
wollte ich jedoch nicht respektiren und wiederholte mein
Geschrei. Was that er? Er machte die Thüren wacker
zu und ließ mich bis Abend ohne Speise und Trank
sitzen. Das war mir anfangs nicht unangenehm und ich
setzte mein Spiel fort. Aber nach einer Stunde, als
man die kleine Glocke auf dem Dache des Wohnhauses
zum Vesperbrode zog und mich auch das Brausen
des Windes schreckte, wurde ich sehr unruhig und ver-
suchte, hinauszukommen. Aber trotz aller Kraft-An-
strengung konnte ich die schweren Thüren kaum in
Bewegung setzen, geschweige öffnen; mein Weinen
verscheuchte blos eine große Eule, die mit lautem
Geschrei unter den Dachziegeln davon flog; kein
Mensch kümmerte sich um den kleinen Gefangenen.
Schon neigte sich der Tag und noch kein Retter er-
schien. Meine Reue aus Angst und Schrecken erreichte
den höchsten Grad. Da lernte ich das erste Mal in
meinem Leben recht herzlich zu beten. Ich legte
mich auf meine Knie und rezitirte alle Gebete, die
ich konnte. Endlich erschien der Vater und öffnete
die Thüre. Er schwieg, während ich ihm versprach,
nie wieder seinem Willen entgegen sein zu wollen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Cramer, Wilhelm: Der christliche Vater wie er sein und was er thun soll. Nebst einem Anhange von Gebeten für denselben. Dülmen, 1874, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_mutter_1874/154>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.