Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite



und Eifer erlernt werden? Welche Wahrheiten
können bis zum Herzen dringen, wenn sie, wie
ein unbrauchbarer Schatz dem Gedächtnisse über-
geben werden; wenn ihr Andenken nicht immer
erneuert wird; wenn die Leidenschaften so viel
Gewalt über den Menschen haben, daß er zwar
der Wahrheit glaubt, aber dem Jrrthume folgt?
Wenn die Menschen den Höchsten entweder nicht
kennen, oder nicht recht kennen; wenn sie entwe-
der unwissennder sind, als sie seyn sollten, oder
mit richtigen Erkenntnissen mannichfaltige Jrr-
thümer vereinigen; wenn ihre Wissenschaft von
Gott und göttlichen Dingen mangelhaft oder un-
fruchtbar ist: Wen können sie anklagen? Jst es
nicht ihrer Unachtsamkeit, ihrer Nachläßigkeit,
Trägheit und Leichtsinnigkeit und andern Gebre-
chen des Verstandes und des Herzens zuzuschrei-
ben, wenn sie nicht die herrlichen Einsichten er-
langen, von denen sie erleuchtet seyn könnten?
Wie rein, wie deutlich, wie ausgebreitet, wie
fruchtbar und lebendig würde nicht unsre Erkennt-
niß Gottes werden, wenn wir den Wahrheiten,
die wir von ihm aus seinem Worte und durch die
Betrachtung seiner Werke lernen können, mit
Aufmerksamkeit und Ernst, ohne Leichtsinn und
Zerstreuung, mit einem redlichen und demüthi-
gen Herzen, und mit dem aufrichtigen Entschlusse,

durch
F 2



und Eifer erlernt werden? Welche Wahrheiten
können bis zum Herzen dringen, wenn ſie, wie
ein unbrauchbarer Schatz dem Gedächtniſſe über-
geben werden; wenn ihr Andenken nicht immer
erneuert wird; wenn die Leidenſchaften ſo viel
Gewalt über den Menſchen haben, daß er zwar
der Wahrheit glaubt, aber dem Jrrthume folgt?
Wenn die Menſchen den Höchſten entweder nicht
kennen, oder nicht recht kennen; wenn ſie entwe-
der unwiſſeñder ſind, als ſie ſeyn ſollten, oder
mit richtigen Erkenntniſſen mannichfaltige Jrr-
thümer vereinigen; wenn ihre Wiſſenſchaft von
Gott und göttlichen Dingen mangelhaft oder un-
fruchtbar iſt: Wen können ſie anklagen? Jſt es
nicht ihrer Unachtſamkeit, ihrer Nachläßigkeit,
Trägheit und Leichtſinnigkeit und andern Gebre-
chen des Verſtandes und des Herzens zuzuſchrei-
ben, wenn ſie nicht die herrlichen Einſichten er-
langen, von denen ſie erleuchtet ſeyn könnten?
Wie rein, wie deutlich, wie ausgebreitet, wie
fruchtbar und lebendig würde nicht unſre Erkennt-
niß Gottes werden, wenn wir den Wahrheiten,
die wir von ihm aus ſeinem Worte und durch die
Betrachtung ſeiner Werke lernen können, mit
Aufmerkſamkeit und Ernſt, ohne Leichtſinn und
Zerſtreuung, mit einem redlichen und demüthi-
gen Herzen, und mit dem aufrichtigen Entſchluſſe,

durch
F 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0097" n="83"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
und Eifer erlernt werden? Welche Wahrheiten<lb/>
können bis zum Herzen dringen, wenn &#x017F;ie, wie<lb/>
ein unbrauchbarer Schatz dem Gedächtni&#x017F;&#x017F;e über-<lb/>
geben werden; wenn ihr Andenken nicht immer<lb/>
erneuert wird; wenn die Leiden&#x017F;chaften &#x017F;o viel<lb/>
Gewalt über den Men&#x017F;chen haben, daß er zwar<lb/>
der Wahrheit glaubt, aber dem Jrrthume folgt?<lb/>
Wenn die Men&#x017F;chen den Höch&#x017F;ten entweder nicht<lb/>
kennen, oder nicht recht kennen; wenn &#x017F;ie entwe-<lb/>
der unwi&#x017F;&#x017F;eñder &#x017F;ind, als &#x017F;ie &#x017F;eyn &#x017F;ollten, oder<lb/>
mit richtigen Erkenntni&#x017F;&#x017F;en mannichfaltige Jrr-<lb/>
thümer vereinigen; wenn ihre Wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chaft von<lb/>
Gott und göttlichen Dingen mangelhaft oder un-<lb/>
fruchtbar i&#x017F;t: Wen können &#x017F;ie anklagen? J&#x017F;t es<lb/>
nicht ihrer Unacht&#x017F;amkeit, ihrer Nachläßigkeit,<lb/>
Trägheit und Leicht&#x017F;innigkeit und andern Gebre-<lb/>
chen des Ver&#x017F;tandes und des Herzens zuzu&#x017F;chrei-<lb/>
ben, wenn &#x017F;ie nicht die herrlichen Ein&#x017F;ichten er-<lb/>
langen, von denen &#x017F;ie erleuchtet &#x017F;eyn könnten?<lb/>
Wie rein, wie deutlich, wie ausgebreitet, wie<lb/>
fruchtbar und lebendig würde nicht un&#x017F;re Erkennt-<lb/>
niß Gottes werden, wenn wir den Wahrheiten,<lb/>
die wir von ihm aus &#x017F;einem Worte und durch die<lb/>
Betrachtung &#x017F;einer Werke lernen können, mit<lb/>
Aufmerk&#x017F;amkeit und Ern&#x017F;t, ohne Leicht&#x017F;inn und<lb/>
Zer&#x017F;treuung, mit einem redlichen und demüthi-<lb/>
gen Herzen, und mit dem aufrichtigen Ent&#x017F;chlu&#x017F;&#x017F;e,<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">F 2</fw><fw place="bottom" type="catch">durch</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[83/0097] und Eifer erlernt werden? Welche Wahrheiten können bis zum Herzen dringen, wenn ſie, wie ein unbrauchbarer Schatz dem Gedächtniſſe über- geben werden; wenn ihr Andenken nicht immer erneuert wird; wenn die Leidenſchaften ſo viel Gewalt über den Menſchen haben, daß er zwar der Wahrheit glaubt, aber dem Jrrthume folgt? Wenn die Menſchen den Höchſten entweder nicht kennen, oder nicht recht kennen; wenn ſie entwe- der unwiſſeñder ſind, als ſie ſeyn ſollten, oder mit richtigen Erkenntniſſen mannichfaltige Jrr- thümer vereinigen; wenn ihre Wiſſenſchaft von Gott und göttlichen Dingen mangelhaft oder un- fruchtbar iſt: Wen können ſie anklagen? Jſt es nicht ihrer Unachtſamkeit, ihrer Nachläßigkeit, Trägheit und Leichtſinnigkeit und andern Gebre- chen des Verſtandes und des Herzens zuzuſchrei- ben, wenn ſie nicht die herrlichen Einſichten er- langen, von denen ſie erleuchtet ſeyn könnten? Wie rein, wie deutlich, wie ausgebreitet, wie fruchtbar und lebendig würde nicht unſre Erkennt- niß Gottes werden, wenn wir den Wahrheiten, die wir von ihm aus ſeinem Worte und durch die Betrachtung ſeiner Werke lernen können, mit Aufmerkſamkeit und Ernſt, ohne Leichtſinn und Zerſtreuung, mit einem redlichen und demüthi- gen Herzen, und mit dem aufrichtigen Entſchluſſe, durch F 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/97
Zitationshilfe: Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/97>, abgerufen am 22.11.2024.