Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764.Menschen, die Philosophen, als das Licht der ersten Offenbarung unter dem menschlichen Ge- schlechte verdunkelt worden war, mit aller ersinn- lichen Aufrichtigkeit und Aemsigkeit in ihrer Un- tersuchung der Natur gewisse, richtige und wür- dige Begriffe von der Gottheit verschaffen kön- nen, und zwar in Zeiten, wo es, andrer Wis- senschaften und Künste wegen, den Menschen nicht an Fähigkeit fehlte, richtig zu denken, gründlich zu urtheilen, sichre und zuverläßige Schlüsse zu machen. Wenn es nun keinen Men- schen giebt, der nicht zuerst durch die Unterwei- sung zur Erkenntniß Gottes, seines Daseyns und seines Wesens gekommen ist: Was ist denn glaubwürdiger, als daß die erste Unterweisung davon Gott selbst zum unmittelbaren Urheber ha- be? Gott muß freylich seyn, wenn er sich offen- baren soll; aber daß er sey, kann der Mensch eben sowohl mit Ueberzeugung aus seiner Offen- barung wissen, als aus seinen Werken. Glau- ben nicht die Menschen einem Künstler auf seine Versicherung, daß er ein Künstler sey, wenn sie auch seine Werke nicht sehen, so lange sie wider seine Wahrhaftigkeit keine gegrün- dete Einwendung haben? Und glauben wir nicht dieses wieder auf das Zeugniß derjeni- gen, denen er dieses versichert hat, wenn wir nur
Menſchen, die Philoſophen, als das Licht der erſten Offenbarung unter dem menſchlichen Ge- ſchlechte verdunkelt worden war, mit aller erſinn- lichen Aufrichtigkeit und Aemſigkeit in ihrer Un- terſuchung der Natur gewiſſe, richtige und wür- dige Begriffe von der Gottheit verſchaffen kön- nen, und zwar in Zeiten, wo es, andrer Wiſ- ſenſchaften und Künſte wegen, den Menſchen nicht an Fähigkeit fehlte, richtig zu denken, gründlich zu urtheilen, ſichre und zuverläßige Schlüſſe zu machen. Wenn es nun keinen Men- ſchen giebt, der nicht zuerſt durch die Unterwei- ſung zur Erkenntniß Gottes, ſeines Daſeyns und ſeines Weſens gekommen iſt: Was iſt denn glaubwürdiger, als daß die erſte Unterweiſung davon Gott ſelbſt zum unmittelbaren Urheber ha- be? Gott muß freylich ſeyn, wenn er ſich offen- baren ſoll; aber daß er ſey, kann der Menſch eben ſowohl mit Ueberzeugung aus ſeiner Offen- barung wiſſen, als aus ſeinen Werken. Glau- ben nicht die Menſchen einem Künſtler auf ſeine Verſicherung, daß er ein Künſtler ſey, wenn ſie auch ſeine Werke nicht ſehen, ſo lange ſie wider ſeine Wahrhaftigkeit keine gegrün- dete Einwendung haben? Und glauben wir nicht dieſes wieder auf das Zeugniß derjeni- gen, denen er dieſes verſichert hat, wenn wir nur
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Menſchen, die Philoſophen, als das Licht der
erſten Offenbarung unter dem menſchlichen Ge-
ſchlechte verdunkelt worden war, mit aller erſinn-
lichen Aufrichtigkeit und Aemſigkeit in ihrer Un-
terſuchung der Natur gewiſſe, richtige und wür-
dige Begriffe von der Gottheit verſchaffen kön-
nen, und zwar in Zeiten, wo es, andrer Wiſ-
ſenſchaften und Künſte wegen, den Menſchen
nicht an Fähigkeit fehlte, richtig zu denken,
gründlich zu urtheilen, ſichre und zuverläßige
Schlüſſe zu machen. Wenn es nun keinen Men-
ſchen giebt, der nicht zuerſt durch die Unterwei-
ſung zur Erkenntniß Gottes, ſeines Daſeyns und
ſeines Weſens gekommen iſt: Was iſt denn
glaubwürdiger, als daß die erſte Unterweiſung
davon Gott ſelbſt zum unmittelbaren Urheber ha-
be? Gott muß freylich ſeyn, wenn er ſich offen-
baren ſoll; aber daß er ſey, kann der Menſch
eben ſowohl mit Ueberzeugung aus ſeiner Offen-
barung wiſſen, als aus ſeinen Werken. Glau-
ben nicht die Menſchen einem Künſtler auf ſeine
Verſicherung, daß er ein Künſtler ſey, wenn
ſie auch ſeine Werke nicht ſehen, ſo lange
ſie wider ſeine Wahrhaftigkeit keine gegrün-
dete Einwendung haben? Und glauben wir
nicht dieſes wieder auf das Zeugniß derjeni-
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