Und wie wichtige Gründe haben wir, zu glauben, daß Gott irgend einmal die Menschen eines unmittelbaren Unterrichtes von seinem Da- seyn, seinen Eigenschaften, seinem Willen und seinen Gesetzen gewürdigt habe. Der Weg des Unterrichts ist leichter und sichrer, als der Weg der Untersuchung, die wir selbst anstellen sollen. Die Werke Gottes reden zwar, wenn ich mich so ausdrücken darf, eine sehr verständliche Spra- che; aber vornemlich nur für diejenigen, die schon von dem Daseyn Gottes und seinen Vollkommen- heiten unterrichtet worden sind. Wer weiß, ob ein Mensch, der durch die Unterweisung noch gar keine Begriffe von ihm hätte, jemals durch seine eignen Betrachtungen über sich selbst und das, was ihn die Natur lehren kann, zur Erkenntniß seines Schöpfers kommen würde. Fragen wir die Geschichte und Erfahrung aller Zeiten: so ler- nen wir, daß die Begriffe von Gott immer durch die Unterweisung von den Aeltern auf die Kinder fortgepflanzt worden ist, und man kann nicht ei- nen Menschen aufzeigen, der bloß durch den eig- nen Gebrauch seiner Vernunft und durch sein tie- fes Nachdenken zur Erkenntniß einer einigen, ewigen, unendlich weisen und gütigen Ursache geführt worden sey? Haben sich doch nicht ein- mal die Weisesten und Scharfsinnigsten unter den
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Und wie wichtige Gründe haben wir, zu glauben, daß Gott irgend einmal die Menſchen eines unmittelbaren Unterrichtes von ſeinem Da- ſeyn, ſeinen Eigenſchaften, ſeinem Willen und ſeinen Geſetzen gewürdigt habe. Der Weg des Unterrichts iſt leichter und ſichrer, als der Weg der Unterſuchung, die wir ſelbſt anſtellen ſollen. Die Werke Gottes reden zwar, wenn ich mich ſo ausdrücken darf, eine ſehr verſtändliche Spra- che; aber vornemlich nur für diejenigen, die ſchon von dem Daſeyn Gottes und ſeinen Vollkommen- heiten unterrichtet worden ſind. Wer weiß, ob ein Menſch, der durch die Unterweiſung noch gar keine Begriffe von ihm hätte, jemals durch ſeine eignen Betrachtungen über ſich ſelbſt und das, was ihn die Natur lehren kann, zur Erkenntniß ſeines Schöpfers kommen würde. Fragen wir die Geſchichte und Erfahrung aller Zeiten: ſo ler- nen wir, daß die Begriffe von Gott immer durch die Unterweiſung von den Aeltern auf die Kinder fortgepflanzt worden iſt, und man kann nicht ei- nen Menſchen aufzeigen, der bloß durch den eig- nen Gebrauch ſeiner Vernunft und durch ſein tie- fes Nachdenken zur Erkenntniß einer einigen, ewigen, unendlich weiſen und gütigen Urſache geführt worden ſey? Haben ſich doch nicht ein- mal die Weiſeſten und Scharfſinnigſten unter den
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Und wie wichtige Gründe haben wir, zu
glauben, daß Gott irgend einmal die Menſchen
eines unmittelbaren Unterrichtes von ſeinem Da-
ſeyn, ſeinen Eigenſchaften, ſeinem Willen und
ſeinen Geſetzen gewürdigt habe. Der Weg des
Unterrichts iſt leichter und ſichrer, als der Weg
der Unterſuchung, die wir ſelbſt anſtellen ſollen.
Die Werke Gottes reden zwar, wenn ich mich
ſo ausdrücken darf, eine ſehr verſtändliche Spra-
che; aber vornemlich nur für diejenigen, die ſchon
von dem Daſeyn Gottes und ſeinen Vollkommen-
heiten unterrichtet worden ſind. Wer weiß, ob
ein Menſch, der durch die Unterweiſung noch gar
keine Begriffe von ihm hätte, jemals durch ſeine
eignen Betrachtungen über ſich ſelbſt und das,
was ihn die Natur lehren kann, zur Erkenntniß
ſeines Schöpfers kommen würde. Fragen wir
die Geſchichte und Erfahrung aller Zeiten: ſo ler-
nen wir, daß die Begriffe von Gott immer durch
die Unterweiſung von den Aeltern auf die Kinder
fortgepflanzt worden iſt, und man kann nicht ei-
nen Menſchen aufzeigen, der bloß durch den eig-
nen Gebrauch ſeiner Vernunft und durch ſein tie-
fes Nachdenken zur Erkenntniß einer einigen,
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Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/83>, abgerufen am 24.11.2024.
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