Erzählungen von den großen Eigenschaften und Tugenden längstverstorbner Menschen auf uns machen, bey denen wir auf keine persönlichen Vortheile und Wohlthaten rechnen können? Es ist schon genug zu wissen, daß etwas schön und herrlich sey, um sich darüber zu freuen. Un- zählbare Schönheiten können nicht einmal an- ders genossen werden, als durch die Vorstellung derselben; ihre Erkenntniß ist auch ihr Genuß. Wie kann ich den nächtlichen Himmel in seiner Pracht; wie kann ich die meisten Schönheiten der Natur; wie kann ich die Ordnung, die Uebereinstimmung und Kunst in allen ihren Wer- ken anders genießen, als daß ich sie betrachte! Welche Glückseeligkeit muß es denn nicht seyn, den Vollkommensten auch nur zu kennen!
Die Freude ist die natürliche Frucht des Vollkommnen, und es giebt keine andre Quelle unsres Verdrusses, als den Mangel desselben. Was uns angenehm seyn soll, muß uns wenig- stens vortrefflich zu seyn scheinen; mit dem Scheine desselben verschwindet auch seine Anmuth. Die Grenzen von der Güte und Schönheit eines Gegenstandes sind die wahren Grenzen unsers Vergnügens darüber. Nur darum, weil wir diese Grenzen nicht immer sehen, oder sie verken-
nen,
Erzählungen von den großen Eigenſchaften und Tugenden längſtverſtorbner Menſchen auf uns machen, bey denen wir auf keine perſönlichen Vortheile und Wohlthaten rechnen können? Es iſt ſchon genug zu wiſſen, daß etwas ſchön und herrlich ſey, um ſich darüber zu freuen. Un- zählbare Schönheiten können nicht einmal an- ders genoſſen werden, als durch die Vorſtellung derſelben; ihre Erkenntniß iſt auch ihr Genuß. Wie kann ich den nächtlichen Himmel in ſeiner Pracht; wie kann ich die meiſten Schönheiten der Natur; wie kann ich die Ordnung, die Uebereinſtimmung und Kunſt in allen ihren Wer- ken anders genießen, als daß ich ſie betrachte! Welche Glückſeeligkeit muß es denn nicht ſeyn, den Vollkommenſten auch nur zu kennen!
Die Freude iſt die natürliche Frucht des Vollkommnen, und es giebt keine andre Quelle unſres Verdruſſes, als den Mangel deſſelben. Was uns angenehm ſeyn ſoll, muß uns wenig- ſtens vortrefflich zu ſeyn ſcheinen; mit dem Scheine deſſelben verſchwindet auch ſeine Anmuth. Die Grenzen von der Güte und Schönheit eines Gegenſtandes ſind die wahren Grenzen unſers Vergnügens darüber. Nur darum, weil wir dieſe Grenzen nicht immer ſehen, oder ſie verken-
nen,
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0062"n="48"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
Erzählungen von den großen Eigenſchaften und<lb/>
Tugenden längſtverſtorbner Menſchen auf uns<lb/>
machen, bey denen wir auf keine perſönlichen<lb/>
Vortheile und Wohlthaten rechnen können? Es<lb/>
iſt ſchon genug zu wiſſen, daß etwas ſchön und<lb/>
herrlich ſey, um ſich darüber zu freuen. Un-<lb/>
zählbare Schönheiten können nicht einmal an-<lb/>
ders genoſſen werden, als durch die Vorſtellung<lb/>
derſelben; ihre Erkenntniß iſt auch ihr Genuß.<lb/>
Wie kann ich den nächtlichen Himmel in ſeiner<lb/>
Pracht; wie kann ich die meiſten Schönheiten<lb/>
der Natur; wie kann ich die Ordnung, die<lb/>
Uebereinſtimmung und Kunſt in allen ihren Wer-<lb/>
ken anders genießen, als daß ich ſie betrachte!<lb/>
Welche Glückſeeligkeit muß es denn nicht ſeyn,<lb/>
den Vollkommenſten auch nur zu kennen!</p><lb/><p>Die Freude iſt die natürliche Frucht des<lb/>
Vollkommnen, und es giebt keine andre Quelle<lb/>
unſres Verdruſſes, als den Mangel deſſelben.<lb/>
Was uns angenehm ſeyn ſoll, muß uns wenig-<lb/>ſtens vortrefflich zu ſeyn ſcheinen; mit dem<lb/>
Scheine deſſelben verſchwindet auch ſeine Anmuth.<lb/>
Die Grenzen von der Güte und Schönheit eines<lb/>
Gegenſtandes ſind die wahren Grenzen unſers<lb/>
Vergnügens darüber. Nur darum, weil wir<lb/>
dieſe Grenzen nicht immer ſehen, oder ſie verken-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">nen,</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[48/0062]
Erzählungen von den großen Eigenſchaften und
Tugenden längſtverſtorbner Menſchen auf uns
machen, bey denen wir auf keine perſönlichen
Vortheile und Wohlthaten rechnen können? Es
iſt ſchon genug zu wiſſen, daß etwas ſchön und
herrlich ſey, um ſich darüber zu freuen. Un-
zählbare Schönheiten können nicht einmal an-
ders genoſſen werden, als durch die Vorſtellung
derſelben; ihre Erkenntniß iſt auch ihr Genuß.
Wie kann ich den nächtlichen Himmel in ſeiner
Pracht; wie kann ich die meiſten Schönheiten
der Natur; wie kann ich die Ordnung, die
Uebereinſtimmung und Kunſt in allen ihren Wer-
ken anders genießen, als daß ich ſie betrachte!
Welche Glückſeeligkeit muß es denn nicht ſeyn,
den Vollkommenſten auch nur zu kennen!
Die Freude iſt die natürliche Frucht des
Vollkommnen, und es giebt keine andre Quelle
unſres Verdruſſes, als den Mangel deſſelben.
Was uns angenehm ſeyn ſoll, muß uns wenig-
ſtens vortrefflich zu ſeyn ſcheinen; mit dem
Scheine deſſelben verſchwindet auch ſeine Anmuth.
Die Grenzen von der Güte und Schönheit eines
Gegenſtandes ſind die wahren Grenzen unſers
Vergnügens darüber. Nur darum, weil wir
dieſe Grenzen nicht immer ſehen, oder ſie verken-
nen,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert.
Weitere Informationen …
Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/62>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.