Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764.streitet, wer von ihnen am meisten bewundert werden müsse. Welch ein unermeßlicher Reich- thum von Wesen, von denen jedes die Seele zum Erstaunen nicht auffodert, sondern mit einer un- widerstehlichen Gewalt fortreißt! Diese Erde, welche ich bewohne, ist gegen das grenzenlose Ganze, das sie einschließt, beynahe, wie ein un- sichtbarer Punkt. Aber was für eine Menge und Mannichfaltigkeit von Geschöpfen bloß auf diesem Punkte! Wie viele Kräfte von dieser un- begreiflichen Menge in Bewegung; welche Schönheit und Pracht an einem jeden für das Auge, das gegen den Anblick derselben noch nicht unempfindlich geworden ist! Welch eine Ord- nung und Uebereinstimmung in allen, und welch eine wundervolle Verknüpfung zwischen allen! Die Seele, überwältigt von der unnennbaren Zahl aller einzelnen Werke Gottes, die sich ihrer Erkenntniß und Bewunderung überall darbieten, verliert sich im Erstaunen, verzweifelt, sie alle fassen zu können, und bestrebt sich, damit das Gedächtniß unter denselben nicht erliegen möge, sich von diesem unendlichen Gemälde nur die größten Züge auszuzeichnen. Und welche große und erhabne Vorstellungen empfängt sie bloß durch diese einzelnen Züge! Sie allein, wenn sie nur mit Aufmerksamkeit betrachtet werden, sind genug,
ſtreitet, wer von ihnen am meiſten bewundert werden müſſe. Welch ein unermeßlicher Reich- thum von Weſen, von denen jedes die Seele zum Erſtaunen nicht auffodert, ſondern mit einer un- widerſtehlichen Gewalt fortreißt! Dieſe Erde, welche ich bewohne, iſt gegen das grenzenloſe Ganze, das ſie einſchließt, beynahe, wie ein un- ſichtbarer Punkt. Aber was für eine Menge und Mannichfaltigkeit von Geſchöpfen bloß auf dieſem Punkte! Wie viele Kräfte von dieſer un- begreiflichen Menge in Bewegung; welche Schönheit und Pracht an einem jeden für das Auge, das gegen den Anblick derſelben noch nicht unempfindlich geworden iſt! Welch eine Ord- nung und Uebereinſtimmung in allen, und welch eine wundervolle Verknüpfung zwiſchen allen! Die Seele, überwältigt von der unnennbaren Zahl aller einzelnen Werke Gottes, die ſich ihrer Erkenntniß und Bewunderung überall darbieten, verliert ſich im Erſtaunen, verzweifelt, ſie alle faſſen zu können, und beſtrebt ſich, damit das Gedächtniß unter denſelben nicht erliegen möge, ſich von dieſem unendlichen Gemälde nur die größten Züge auszuzeichnen. Und welche große und erhabne Vorſtellungen empfängt ſie bloß durch dieſe einzelnen Züge! Sie allein, wenn ſie nur mit Aufmerkſamkeit betrachtet werden, ſind genug,
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0043" n="29"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> ſtreitet, wer von ihnen am meiſten bewundert<lb/> werden müſſe. Welch ein unermeßlicher Reich-<lb/> thum von Weſen, von denen jedes die Seele zum<lb/> Erſtaunen nicht auffodert, ſondern mit einer un-<lb/> widerſtehlichen Gewalt fortreißt! Dieſe Erde,<lb/> welche ich bewohne, iſt gegen das grenzenloſe<lb/> Ganze, das ſie einſchließt, beynahe, wie ein un-<lb/> ſichtbarer Punkt. Aber was für eine Menge<lb/> und Mannichfaltigkeit von Geſchöpfen bloß auf<lb/> dieſem Punkte! Wie viele Kräfte von dieſer un-<lb/> begreiflichen Menge in Bewegung; welche<lb/> Schönheit und Pracht an einem jeden für das<lb/> Auge, das gegen den Anblick derſelben noch nicht<lb/> unempfindlich geworden iſt! Welch eine Ord-<lb/> nung und Uebereinſtimmung in allen, und welch<lb/> eine wundervolle Verknüpfung zwiſchen allen!<lb/> Die Seele, überwältigt von der unnennbaren<lb/> Zahl aller einzelnen Werke Gottes, die ſich ihrer<lb/> Erkenntniß und Bewunderung überall darbieten,<lb/> verliert ſich im Erſtaunen, verzweifelt, ſie alle<lb/> faſſen zu können, und beſtrebt ſich, damit das<lb/> Gedächtniß unter denſelben nicht erliegen möge,<lb/> ſich von dieſem unendlichen Gemälde nur die<lb/> größten Züge auszuzeichnen. Und welche große<lb/> und erhabne Vorſtellungen empfängt ſie bloß<lb/> durch dieſe einzelnen Züge! Sie allein, wenn ſie<lb/> nur mit Aufmerkſamkeit betrachtet werden, ſind<lb/> <fw place="bottom" type="catch">genug,</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [29/0043]
ſtreitet, wer von ihnen am meiſten bewundert
werden müſſe. Welch ein unermeßlicher Reich-
thum von Weſen, von denen jedes die Seele zum
Erſtaunen nicht auffodert, ſondern mit einer un-
widerſtehlichen Gewalt fortreißt! Dieſe Erde,
welche ich bewohne, iſt gegen das grenzenloſe
Ganze, das ſie einſchließt, beynahe, wie ein un-
ſichtbarer Punkt. Aber was für eine Menge
und Mannichfaltigkeit von Geſchöpfen bloß auf
dieſem Punkte! Wie viele Kräfte von dieſer un-
begreiflichen Menge in Bewegung; welche
Schönheit und Pracht an einem jeden für das
Auge, das gegen den Anblick derſelben noch nicht
unempfindlich geworden iſt! Welch eine Ord-
nung und Uebereinſtimmung in allen, und welch
eine wundervolle Verknüpfung zwiſchen allen!
Die Seele, überwältigt von der unnennbaren
Zahl aller einzelnen Werke Gottes, die ſich ihrer
Erkenntniß und Bewunderung überall darbieten,
verliert ſich im Erſtaunen, verzweifelt, ſie alle
faſſen zu können, und beſtrebt ſich, damit das
Gedächtniß unter denſelben nicht erliegen möge,
ſich von dieſem unendlichen Gemälde nur die
größten Züge auszuzeichnen. Und welche große
und erhabne Vorſtellungen empfängt ſie bloß
durch dieſe einzelnen Züge! Sie allein, wenn ſie
nur mit Aufmerkſamkeit betrachtet werden, ſind
genug,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/43 |
Zitationshilfe: | Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764, S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/43>, abgerufen am 16.02.2025. |