Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite




V.


Herr, mein Gott, bey dir ist Weisheit,
Rath und Verstand; du giebst den Wei-
sen ihre Weisheit, und den Verständigen ihren
Verstand. Du erkennest, was in der Finsterniß
liegt; du offenbarest, was tief und verborgen ist;
denn bey dir ist alles Licht! Offenbare dich mir;
denn ich suche dich; erleuchte mit einem Strale
deines Lichtes meine verfinsterte Seele, daß ich dich
finden möge. Gott, du bist mein Gott, frühe wa-
che ich zu dir; meine Seele verlanget nach dir und
wollte gerne deine Macht und Ehre schauen, daß
ich, weil ich lebe, dich mit frölichen Lippen loben
könnte. O laß dich von mir erkennen, einziges
Wesen, das allein meiner ganzen ewigen Auf-
merksamkeit und Betrachtung werth ist! Alles
um mich her ist eitel. Eitelkeit ist freylich die
Nahrung einer müßigen und unfruchtbaren Neu-
begierde; verdient sie aber wohl, die ernsthafte
Vernunft zu beschäfftigen, die edelste Gabe, die
du mir gegeben hast? Was ist mir anständiger?

Was




V.


Herr, mein Gott, bey dir iſt Weisheit,
Rath und Verſtand; du giebſt den Wei-
ſen ihre Weisheit, und den Verſtändigen ihren
Verſtand. Du erkenneſt, was in der Finſterniß
liegt; du offenbareſt, was tief und verborgen iſt;
denn bey dir iſt alles Licht! Offenbare dich mir;
denn ich ſuche dich; erleuchte mit einem Strale
deines Lichtes meine verfinſterte Seele, daß ich dich
finden möge. Gott, du biſt mein Gott, frühe wa-
che ich zu dir; meine Seele verlanget nach dir und
wollte gerne deine Macht und Ehre ſchauen, daß
ich, weil ich lebe, dich mit frölichen Lippen loben
könnte. O laß dich von mir erkennen, einziges
Weſen, das allein meiner ganzen ewigen Auf-
merkſamkeit und Betrachtung werth iſt! Alles
um mich her iſt eitel. Eitelkeit iſt freylich die
Nahrung einer müßigen und unfruchtbaren Neu-
begierde; verdient ſie aber wohl, die ernſthafte
Vernunft zu beſchäfftigen, die edelſte Gabe, die
du mir gegeben haſt? Was iſt mir anſtändiger?

Was
<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0040" n="26"/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#aq">V.</hi> </head><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <p><hi rendition="#in">H</hi>err, mein Gott, bey dir i&#x017F;t Weisheit,<lb/>
Rath und Ver&#x017F;tand; du gieb&#x017F;t den Wei-<lb/>
&#x017F;en ihre Weisheit, und den Ver&#x017F;tändigen ihren<lb/>
Ver&#x017F;tand. Du erkenne&#x017F;t, was in der Fin&#x017F;terniß<lb/>
liegt; du offenbare&#x017F;t, was tief und verborgen i&#x017F;t;<lb/>
denn bey dir i&#x017F;t alles Licht! Offenbare dich mir;<lb/>
denn ich &#x017F;uche dich; erleuchte mit einem Strale<lb/>
deines Lichtes meine verfin&#x017F;terte Seele, daß ich dich<lb/>
finden möge. Gott, du bi&#x017F;t mein Gott, frühe wa-<lb/>
che ich zu dir; meine Seele verlanget nach dir und<lb/>
wollte gerne deine Macht und Ehre &#x017F;chauen, daß<lb/>
ich, weil ich lebe, dich mit frölichen Lippen loben<lb/>
könnte. O laß dich von mir erkennen, einziges<lb/>
We&#x017F;en, das allein meiner ganzen ewigen Auf-<lb/>
merk&#x017F;amkeit und Betrachtung werth i&#x017F;t! Alles<lb/>
um mich her i&#x017F;t eitel. Eitelkeit i&#x017F;t freylich die<lb/>
Nahrung einer müßigen und unfruchtbaren Neu-<lb/>
begierde; verdient &#x017F;ie aber wohl, die ern&#x017F;thafte<lb/>
Vernunft zu be&#x017F;chäfftigen, die edel&#x017F;te Gabe, die<lb/>
du mir gegeben ha&#x017F;t? Was i&#x017F;t mir an&#x017F;tändiger?<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Was</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[26/0040] V. Herr, mein Gott, bey dir iſt Weisheit, Rath und Verſtand; du giebſt den Wei- ſen ihre Weisheit, und den Verſtändigen ihren Verſtand. Du erkenneſt, was in der Finſterniß liegt; du offenbareſt, was tief und verborgen iſt; denn bey dir iſt alles Licht! Offenbare dich mir; denn ich ſuche dich; erleuchte mit einem Strale deines Lichtes meine verfinſterte Seele, daß ich dich finden möge. Gott, du biſt mein Gott, frühe wa- che ich zu dir; meine Seele verlanget nach dir und wollte gerne deine Macht und Ehre ſchauen, daß ich, weil ich lebe, dich mit frölichen Lippen loben könnte. O laß dich von mir erkennen, einziges Weſen, das allein meiner ganzen ewigen Auf- merkſamkeit und Betrachtung werth iſt! Alles um mich her iſt eitel. Eitelkeit iſt freylich die Nahrung einer müßigen und unfruchtbaren Neu- begierde; verdient ſie aber wohl, die ernſthafte Vernunft zu beſchäfftigen, die edelſte Gabe, die du mir gegeben haſt? Was iſt mir anſtändiger? Was

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/40
Zitationshilfe: Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/40>, abgerufen am 21.11.2024.