entgegengesezt, daß es viele Götter gebe. Es ist schwer zu sagen, wie dieser Jrrthum unter dem menschlichen Geschlechte aufgekommen sey; so viel aber lehret mich die Geschichte seiner Jrrthü- mer, daß die Heiden viele Götter glaubten, weil sie das Daseyn vieler verständigen Wesen annah- men, die nach ihrer Meinung so viel Macht und Herrschaft über sie und andre Dinge besaßen, daß sie sich für verbunden hielten, um sich entweder ihrer Gnade zu versichern, oder um ihren Zorn nicht fürchten zu dürfen, sie auf eine gottesdienst- liche Weise zu verehren, sie anzurufen, ihnen zu opfern, ihnen Altäre und Tempel zu bauen. Un- ter diesen Göttern waren theils viele wohlthätige Geschöpfe, theils auch viele Wesen, die weder ein wirkliches Daseyn besaßen, noch jemals ge- habt hatten, viele Wesen sowohl der Einbildung, als der Erdichtung. Unter ihren Göttern waren auch verstorbne Menschen, denen sie entweder schon in ihrem Leben aus Schmeicheley, oder nach ihrem Tode aus Dankbarkeit göttliche Ehre er- wiesen, und die Macht zueigneten, ihnen Gutes zu thun, oder ihnen zu schaden, nachdem sie ih- ren Dienst vernachläßigten, oder sich darinnen eifrig bezeigten. Als die Menschen gewohnt wa- ren, für Gott zu halten, was nicht Gott ist: So vermehrte sich die Zahl ihrer eingebildeten
Götter
entgegengeſezt, daß es viele Götter gebe. Es iſt ſchwer zu ſagen, wie dieſer Jrrthum unter dem menſchlichen Geſchlechte aufgekommen ſey; ſo viel aber lehret mich die Geſchichte ſeiner Jrrthü- mer, daß die Heiden viele Götter glaubten, weil ſie das Daſeyn vieler verſtändigen Weſen annah- men, die nach ihrer Meinung ſo viel Macht und Herrſchaft über ſie und andre Dinge beſaßen, daß ſie ſich für verbunden hielten, um ſich entweder ihrer Gnade zu verſichern, oder um ihren Zorn nicht fürchten zu dürfen, ſie auf eine gottesdienſt- liche Weiſe zu verehren, ſie anzurufen, ihnen zu opfern, ihnen Altäre und Tempel zu bauen. Un- ter dieſen Göttern waren theils viele wohlthätige Geſchöpfe, theils auch viele Weſen, die weder ein wirkliches Daſeyn beſaßen, noch jemals ge- habt hatten, viele Weſen ſowohl der Einbildung, als der Erdichtung. Unter ihren Göttern waren auch verſtorbne Menſchen, denen ſie entweder ſchon in ihrem Leben aus Schmeicheley, oder nach ihrem Tode aus Dankbarkeit göttliche Ehre er- wieſen, und die Macht zueigneten, ihnen Gutes zu thun, oder ihnen zu ſchaden, nachdem ſie ih- ren Dienſt vernachläßigten, oder ſich darinnen eifrig bezeigten. Als die Menſchen gewohnt wa- ren, für Gott zu halten, was nicht Gott iſt: So vermehrte ſich die Zahl ihrer eingebildeten
Götter
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entgegengeſezt, daß es viele Götter gebe. Es iſt
ſchwer zu ſagen, wie dieſer Jrrthum unter dem
menſchlichen Geſchlechte aufgekommen ſey; ſo
viel aber lehret mich die Geſchichte ſeiner Jrrthü-
mer, daß die Heiden viele Götter glaubten, weil
ſie das Daſeyn vieler verſtändigen Weſen annah-
men, die nach ihrer Meinung ſo viel Macht und
Herrſchaft über ſie und andre Dinge beſaßen, daß
ſie ſich für verbunden hielten, um ſich entweder
ihrer Gnade zu verſichern, oder um ihren Zorn
nicht fürchten zu dürfen, ſie auf eine gottesdienſt-
liche Weiſe zu verehren, ſie anzurufen, ihnen zu
opfern, ihnen Altäre und Tempel zu bauen. Un-
ter dieſen Göttern waren theils viele wohlthätige
Geſchöpfe, theils auch viele Weſen, die weder
ein wirkliches Daſeyn beſaßen, noch jemals ge-
habt hatten, viele Weſen ſowohl der Einbildung,
als der Erdichtung. Unter ihren Göttern waren
auch verſtorbne Menſchen, denen ſie entweder
ſchon in ihrem Leben aus Schmeicheley, oder nach
ihrem Tode aus Dankbarkeit göttliche Ehre er-
wieſen, und die Macht zueigneten, ihnen Gutes
zu thun, oder ihnen zu ſchaden, nachdem ſie ih-
ren Dienſt vernachläßigten, oder ſich darinnen
eifrig bezeigten. Als die Menſchen gewohnt wa-
ren, für Gott zu halten, was nicht Gott iſt:
So vermehrte ſich die Zahl ihrer eingebildeten
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Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764, S. 348. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/362>, abgerufen am 22.11.2024.
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