thaten gegen mich, und aus der Güte, die er an- dern beweist, so vollkommen zu erkennen suchen, als es meine Schwachheit, meine unendliche Ent- fernung von ihm und seine unbegreifliche Hoheit erlaubt? Wie unwürdig wäre ich seiner Güte! Wie sehr verdiente ich, daß er alles, was ich ihm zu danken habe, zurücknähme! Wie sehr ver- diente ich, daß er seine Neigung und Güte gegen mich in Unwillen und Haß verwandelte!
Habe ich einen Schöpfer, und ich, der ich von gestern her bin, muß ja das Werk eines We- sens seyn, das allezeit war, und allezeit seyn wird, so ist er mein Herr, mein erster und mein höchster Wohlthäter. Jst er mein Herr, so muß ich ihn ehren, und, wenn er mir Befehle ge- geben hat, muß ich ihm gehorchen. Jst er mein Wohlthäter, so ist es meine Pflicht, ihn zu lie- ben, und ich kann keine nöthigere und wichtigere Sorge haben, als die Sorge, wie ich ihm gefallen möge. Kenne ich ihn nicht, wie kann ich ihn eh- ren? Wie kann ich ihm gehorchen, wenn es mir an der Wissenschaft seiner Gesetze fehlt? Wenn ich nichts von ihm weiß, wie kann ich ihn lie- ben? Oder was kann ich thun, ihm zu gefallen, wenn ich nicht unterrichtet bin, wie ich ihm ge- fallen könne?
O wie
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thaten gegen mich, und aus der Güte, die er an- dern beweiſt, ſo vollkommen zu erkennen ſuchen, als es meine Schwachheit, meine unendliche Ent- fernung von ihm und ſeine unbegreifliche Hoheit erlaubt? Wie unwürdig wäre ich ſeiner Güte! Wie ſehr verdiente ich, daß er alles, was ich ihm zu danken habe, zurücknähme! Wie ſehr ver- diente ich, daß er ſeine Neigung und Güte gegen mich in Unwillen und Haß verwandelte!
Habe ich einen Schöpfer, und ich, der ich von geſtern her bin, muß ja das Werk eines We- ſens ſeyn, das allezeit war, und allezeit ſeyn wird, ſo iſt er mein Herr, mein erſter und mein höchſter Wohlthäter. Jſt er mein Herr, ſo muß ich ihn ehren, und, wenn er mir Befehle ge- geben hat, muß ich ihm gehorchen. Jſt er mein Wohlthäter, ſo iſt es meine Pflicht, ihn zu lie- ben, und ich kann keine nöthigere und wichtigere Sorge haben, als die Sorge, wie ich ihm gefallen möge. Kenne ich ihn nicht, wie kann ich ihn eh- ren? Wie kann ich ihm gehorchen, wenn es mir an der Wiſſenſchaft ſeiner Geſetze fehlt? Wenn ich nichts von ihm weiß, wie kann ich ihn lie- ben? Oder was kann ich thun, ihm zu gefallen, wenn ich nicht unterrichtet bin, wie ich ihm ge- fallen könne?
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thaten gegen mich, und aus der Güte, die er an-
dern beweiſt, ſo vollkommen zu erkennen ſuchen,
als es meine Schwachheit, meine unendliche Ent-
fernung von ihm und ſeine unbegreifliche Hoheit
erlaubt? Wie unwürdig wäre ich ſeiner Güte!
Wie ſehr verdiente ich, daß er alles, was ich ihm
zu danken habe, zurücknähme! Wie ſehr ver-
diente ich, daß er ſeine Neigung und Güte gegen
mich in Unwillen und Haß verwandelte!
Habe ich einen Schöpfer, und ich, der ich
von geſtern her bin, muß ja das Werk eines We-
ſens ſeyn, das allezeit war, und allezeit ſeyn
wird, ſo iſt er mein Herr, mein erſter und mein
höchſter Wohlthäter. Jſt er mein Herr, ſo
muß ich ihn ehren, und, wenn er mir Befehle ge-
geben hat, muß ich ihm gehorchen. Jſt er mein
Wohlthäter, ſo iſt es meine Pflicht, ihn zu lie-
ben, und ich kann keine nöthigere und wichtigere
Sorge haben, als die Sorge, wie ich ihm gefallen
möge. Kenne ich ihn nicht, wie kann ich ihn eh-
ren? Wie kann ich ihm gehorchen, wenn es mir
an der Wiſſenſchaft ſeiner Geſetze fehlt? Wenn
ich nichts von ihm weiß, wie kann ich ihn lie-
ben? Oder was kann ich thun, ihm zu gefallen,
wenn ich nicht unterrichtet bin, wie ich ihm ge-
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Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/35>, abgerufen am 16.02.2025.
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