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Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764.

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zurückkehrt, damit ihre verschiednen Theile mit
ihren Bewohnern zu allen Zeiten gleichartige Ver-
änderungen erfahren mögen? Erklärt nicht dieser
einzige Endzweck den regelmäßigen Aufgang und
Untergang der Sonne, wodurch der Arbeit und
Ruhe der Lebendigen ihre bestimmten Zeiten an-
gewiesen werden? Weder der Sonne noch der Er-
de kann etwas daran gelegen seyn, daß sie so und
nicht anders beschaffen sind, als sie sind, da sie
kein Leben, kein Bewußtseyn, keine Empfindung
von Lust und Schmerz haben. Sie verlören
und gewönnen nicht, wenn ihre Beschaffenheit
und Gestalt und Einrichtung ganz anders wäre,
Wären sie anders gestaltet, grösser, kleiner, nä-
her bey einander oder entfernter von einander;
beobachteten sie in ihren Bewegungen und Ver-
änderungen keine bestimmten Regeln und Gesetze;
so verlören sie vielleicht alle ihre Schönheit; allen
Nutzen, den sie nun haben; aber nicht für sich,
weil sie keines Gefühls ihrer Vollkommenheiten
fähig sind, sondern bloß für die Lebendigen. Was
ist denn klärer und unläugbarer, als daß sie bloß
in Absicht auf die Lebendigen das sind, was
sie sind?

Unstreitig ist der menschliche Verstand viel
zu eingeschränkt, als daß er alle Absichten der

Natur



zurückkehrt, damit ihre verſchiednen Theile mit
ihren Bewohnern zu allen Zeiten gleichartige Ver-
änderungen erfahren mögen? Erklärt nicht dieſer
einzige Endzweck den regelmäßigen Aufgang und
Untergang der Sonne, wodurch der Arbeit und
Ruhe der Lebendigen ihre beſtimmten Zeiten an-
gewieſen werden? Weder der Sonne noch der Er-
de kann etwas daran gelegen ſeyn, daß ſie ſo und
nicht anders beſchaffen ſind, als ſie ſind, da ſie
kein Leben, kein Bewußtſeyn, keine Empfindung
von Luſt und Schmerz haben. Sie verlören
und gewönnen nicht, wenn ihre Beſchaffenheit
und Geſtalt und Einrichtung ganz anders wäre,
Wären ſie anders geſtaltet, gröſſer, kleiner, nä-
her bey einander oder entfernter von einander;
beobachteten ſie in ihren Bewegungen und Ver-
änderungen keine beſtimmten Regeln und Geſetze;
ſo verlören ſie vielleicht alle ihre Schönheit; allen
Nutzen, den ſie nun haben; aber nicht für ſich,
weil ſie keines Gefühls ihrer Vollkommenheiten
fähig ſind, ſondern bloß für die Lebendigen. Was
iſt denn klärer und unläugbarer, als daß ſie bloß
in Abſicht auf die Lebendigen das ſind, was
ſie ſind?

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zu eingeſchränkt, als daß er alle Abſichten der

Natur
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[184/0198] zurückkehrt, damit ihre verſchiednen Theile mit ihren Bewohnern zu allen Zeiten gleichartige Ver- änderungen erfahren mögen? Erklärt nicht dieſer einzige Endzweck den regelmäßigen Aufgang und Untergang der Sonne, wodurch der Arbeit und Ruhe der Lebendigen ihre beſtimmten Zeiten an- gewieſen werden? Weder der Sonne noch der Er- de kann etwas daran gelegen ſeyn, daß ſie ſo und nicht anders beſchaffen ſind, als ſie ſind, da ſie kein Leben, kein Bewußtſeyn, keine Empfindung von Luſt und Schmerz haben. Sie verlören und gewönnen nicht, wenn ihre Beſchaffenheit und Geſtalt und Einrichtung ganz anders wäre, Wären ſie anders geſtaltet, gröſſer, kleiner, nä- her bey einander oder entfernter von einander; beobachteten ſie in ihren Bewegungen und Ver- änderungen keine beſtimmten Regeln und Geſetze; ſo verlören ſie vielleicht alle ihre Schönheit; allen Nutzen, den ſie nun haben; aber nicht für ſich, weil ſie keines Gefühls ihrer Vollkommenheiten fähig ſind, ſondern bloß für die Lebendigen. Was iſt denn klärer und unläugbarer, als daß ſie bloß in Abſicht auf die Lebendigen das ſind, was ſie ſind? Unſtreitig iſt der menſchliche Verſtand viel zu eingeſchränkt, als daß er alle Abſichten der Natur

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Zitationshilfe: Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/198>, abgerufen am 29.08.2024.