Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite



Gegenden der Welt erleuchten, erwärmen und
beleben könnte? Richtet sich nicht ihr bestimmter
Abstand von der Erde nach den verschiednen Ab-
sichten, die wirklich dadurch erreicht werden?
Warum hat sie diese und keine andre Größe, als
damit jedes Geschöpf durch sie erquickt, und der
Erdboden mit einer angenehmen und fruchtbaren
Wärme durchdrungen werden möchte? Wäre sie
in einem gleichen Abstande von uns grösser: So
würde die Glut ihrer gewaltigen Flammen alles
verzehren; wäre sie in eben derselben Entfernung
von der Erde kleiner: So würden alle Lebendi-
gen vor Kälte erstarren; alle Brunnen, Flüsse
und Seen würden zu einem ewigen Eise gefrieren,
und ein immerwährender Winter würde die Na-
tur aller Schönheit, Pracht und Fruchtbarkeit
berauben. Eben diese Wirkungen würden erfol-
gen, wenn zwar die Größe der Sonne unverän-
dert bliebe, ihre Entfernung aber verändert wür-
de. Diese Größe, diesen Abstand hat sie nun
seit Jahrtausenden; sie ist weder größer noch klei-
ner geworden, und wenn es gleich wahrscheinlich
ist, daß sie seit der Zeit ihres Daseyns verschiedne
Veränderungen erlitten hat, so haben sie doch in
ihrem Verhältnisse gegen die Erde und den darin-
nen gegründeten wohlthätigen Wirkungen dersel-
ben nichts verändert. Sie hat sich nicht von uns

ent-



Gegenden der Welt erleuchten, erwärmen und
beleben könnte? Richtet ſich nicht ihr beſtimmter
Abſtand von der Erde nach den verſchiednen Ab-
ſichten, die wirklich dadurch erreicht werden?
Warum hat ſie dieſe und keine andre Größe, als
damit jedes Geſchöpf durch ſie erquickt, und der
Erdboden mit einer angenehmen und fruchtbaren
Wärme durchdrungen werden möchte? Wäre ſie
in einem gleichen Abſtande von uns gröſſer: So
würde die Glut ihrer gewaltigen Flammen alles
verzehren; wäre ſie in eben derſelben Entfernung
von der Erde kleiner: So würden alle Lebendi-
gen vor Kälte erſtarren; alle Brunnen, Flüſſe
und Seen würden zu einem ewigen Eiſe gefrieren,
und ein immerwährender Winter würde die Na-
tur aller Schönheit, Pracht und Fruchtbarkeit
berauben. Eben dieſe Wirkungen würden erfol-
gen, wenn zwar die Größe der Sonne unverän-
dert bliebe, ihre Entfernung aber verändert wür-
de. Dieſe Größe, dieſen Abſtand hat ſie nun
ſeit Jahrtauſenden; ſie iſt weder größer noch klei-
ner geworden, und wenn es gleich wahrſcheinlich
iſt, daß ſie ſeit der Zeit ihres Daſeyns verſchiedne
Veränderungen erlitten hat, ſo haben ſie doch in
ihrem Verhältniſſe gegen die Erde und den darin-
nen gegründeten wohlthätigen Wirkungen derſel-
ben nichts verändert. Sie hat ſich nicht von uns

ent-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0196" n="182"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Gegenden der Welt erleuchten, erwärmen und<lb/>
beleben könnte? Richtet &#x017F;ich nicht ihr be&#x017F;timmter<lb/>
Ab&#x017F;tand von der Erde nach den ver&#x017F;chiednen Ab-<lb/>
&#x017F;ichten, die wirklich dadurch erreicht werden?<lb/>
Warum hat &#x017F;ie die&#x017F;e und keine andre Größe, als<lb/>
damit jedes Ge&#x017F;chöpf durch &#x017F;ie erquickt, und der<lb/>
Erdboden mit einer angenehmen und fruchtbaren<lb/>
Wärme durchdrungen werden möchte? Wäre &#x017F;ie<lb/>
in einem gleichen Ab&#x017F;tande von uns grö&#x017F;&#x017F;er: So<lb/>
würde die Glut ihrer gewaltigen Flammen alles<lb/>
verzehren; wäre &#x017F;ie in eben der&#x017F;elben Entfernung<lb/>
von der Erde kleiner: So würden alle Lebendi-<lb/>
gen vor Kälte er&#x017F;tarren; alle Brunnen, Flü&#x017F;&#x017F;e<lb/>
und Seen würden zu einem ewigen Ei&#x017F;e gefrieren,<lb/>
und ein immerwährender Winter würde die Na-<lb/>
tur aller Schönheit, Pracht und Fruchtbarkeit<lb/>
berauben. Eben die&#x017F;e Wirkungen würden erfol-<lb/>
gen, wenn zwar die Größe der Sonne unverän-<lb/>
dert bliebe, ihre Entfernung aber verändert wür-<lb/>
de. Die&#x017F;e Größe, die&#x017F;en Ab&#x017F;tand hat &#x017F;ie nun<lb/>
&#x017F;eit Jahrtau&#x017F;enden; &#x017F;ie i&#x017F;t weder größer noch klei-<lb/>
ner geworden, und wenn es gleich wahr&#x017F;cheinlich<lb/>
i&#x017F;t, daß &#x017F;ie &#x017F;eit der Zeit ihres Da&#x017F;eyns ver&#x017F;chiedne<lb/>
Veränderungen erlitten hat, &#x017F;o haben &#x017F;ie doch in<lb/>
ihrem Verhältni&#x017F;&#x017F;e gegen die Erde und den darin-<lb/>
nen gegründeten wohlthätigen Wirkungen der&#x017F;el-<lb/>
ben nichts verändert. Sie hat &#x017F;ich nicht von uns<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">ent-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[182/0196] Gegenden der Welt erleuchten, erwärmen und beleben könnte? Richtet ſich nicht ihr beſtimmter Abſtand von der Erde nach den verſchiednen Ab- ſichten, die wirklich dadurch erreicht werden? Warum hat ſie dieſe und keine andre Größe, als damit jedes Geſchöpf durch ſie erquickt, und der Erdboden mit einer angenehmen und fruchtbaren Wärme durchdrungen werden möchte? Wäre ſie in einem gleichen Abſtande von uns gröſſer: So würde die Glut ihrer gewaltigen Flammen alles verzehren; wäre ſie in eben derſelben Entfernung von der Erde kleiner: So würden alle Lebendi- gen vor Kälte erſtarren; alle Brunnen, Flüſſe und Seen würden zu einem ewigen Eiſe gefrieren, und ein immerwährender Winter würde die Na- tur aller Schönheit, Pracht und Fruchtbarkeit berauben. Eben dieſe Wirkungen würden erfol- gen, wenn zwar die Größe der Sonne unverän- dert bliebe, ihre Entfernung aber verändert wür- de. Dieſe Größe, dieſen Abſtand hat ſie nun ſeit Jahrtauſenden; ſie iſt weder größer noch klei- ner geworden, und wenn es gleich wahrſcheinlich iſt, daß ſie ſeit der Zeit ihres Daſeyns verſchiedne Veränderungen erlitten hat, ſo haben ſie doch in ihrem Verhältniſſe gegen die Erde und den darin- nen gegründeten wohlthätigen Wirkungen derſel- ben nichts verändert. Sie hat ſich nicht von uns ent-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/196
Zitationshilfe: Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/196>, abgerufen am 29.08.2024.