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Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764.

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ren, und seine verschiednen Geschäffte mit Leich-
tigkeit und Bequemlichkeit, wo er will, verrich-
ten kann. Diesen Nutzen des Gebäudes nennen
wir die Absicht desselben und nach der Beschaffen-
heit dieser Absicht und ihrer Ausführung beurthei-
len wir den Baumeister. Ein Mensch würde
für wahnwitzig erklärt werden, wenn er uns über-
reden wollte, entweder dieß Gebäude wäre von
ungefähr einmal entstanden; die Steine, aus
denen es zusammengefügt ist, die Balken, die
Seulen, die Sparren, die so ordentlich mit
einander verbunden sind, hätten sich durch eine
innere Nothwendigkeit ihres Wesens getrieben,
oder versammelt durch einen blinden Zufall mit
einander vereinigt, ein so regelmäßiges Gebäude
aufzuführen; oder es wäre zwar von einem Bau-
meister aufgeführt worden, aber er hätte bey der
Erbauung desselben gar nicht die Absicht gehabt,
es zu einer bequemen, gesunden und anmuthigen
Wohnung einzurichten; er hätte nach gar keiner
Regel, nach keinem Entwurfe und Risse gear-
beitet; er hätte gerade zur Zeit des Baues in ei-
nem hitzigen Fieber gelegen, wo er seiner Sinne
und seiner Vernunft beraubt, zu gar keiner Ueber-
legung fähig gewesen wäre. Auf diese Weise
wäre das Gebäude fertig geworden, würdig eines
großen und sehr verständigen Baumeisters, be-

quem



ren, und ſeine verſchiednen Geſchäffte mit Leich-
tigkeit und Bequemlichkeit, wo er will, verrich-
ten kann. Dieſen Nutzen des Gebäudes nennen
wir die Abſicht deſſelben und nach der Beſchaffen-
heit dieſer Abſicht und ihrer Ausführung beurthei-
len wir den Baumeiſter. Ein Menſch würde
für wahnwitzig erklärt werden, wenn er uns über-
reden wollte, entweder dieß Gebäude wäre von
ungefähr einmal entſtanden; die Steine, aus
denen es zuſammengefügt iſt, die Balken, die
Seulen, die Sparren, die ſo ordentlich mit
einander verbunden ſind, hätten ſich durch eine
innere Nothwendigkeit ihres Weſens getrieben,
oder verſammelt durch einen blinden Zufall mit
einander vereinigt, ein ſo regelmäßiges Gebäude
aufzuführen; oder es wäre zwar von einem Bau-
meiſter aufgeführt worden, aber er hätte bey der
Erbauung deſſelben gar nicht die Abſicht gehabt,
es zu einer bequemen, geſunden und anmuthigen
Wohnung einzurichten; er hätte nach gar keiner
Regel, nach keinem Entwurfe und Riſſe gear-
beitet; er hätte gerade zur Zeit des Baues in ei-
nem hitzigen Fieber gelegen, wo er ſeiner Sinne
und ſeiner Vernunft beraubt, zu gar keiner Ueber-
legung fähig geweſen wäre. Auf dieſe Weiſe
wäre das Gebäude fertig geworden, würdig eines
großen und ſehr verſtändigen Baumeiſters, be-

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[180/0194] ren, und ſeine verſchiednen Geſchäffte mit Leich- tigkeit und Bequemlichkeit, wo er will, verrich- ten kann. Dieſen Nutzen des Gebäudes nennen wir die Abſicht deſſelben und nach der Beſchaffen- heit dieſer Abſicht und ihrer Ausführung beurthei- len wir den Baumeiſter. Ein Menſch würde für wahnwitzig erklärt werden, wenn er uns über- reden wollte, entweder dieß Gebäude wäre von ungefähr einmal entſtanden; die Steine, aus denen es zuſammengefügt iſt, die Balken, die Seulen, die Sparren, die ſo ordentlich mit einander verbunden ſind, hätten ſich durch eine innere Nothwendigkeit ihres Weſens getrieben, oder verſammelt durch einen blinden Zufall mit einander vereinigt, ein ſo regelmäßiges Gebäude aufzuführen; oder es wäre zwar von einem Bau- meiſter aufgeführt worden, aber er hätte bey der Erbauung deſſelben gar nicht die Abſicht gehabt, es zu einer bequemen, geſunden und anmuthigen Wohnung einzurichten; er hätte nach gar keiner Regel, nach keinem Entwurfe und Riſſe gear- beitet; er hätte gerade zur Zeit des Baues in ei- nem hitzigen Fieber gelegen, wo er ſeiner Sinne und ſeiner Vernunft beraubt, zu gar keiner Ueber- legung fähig geweſen wäre. Auf dieſe Weiſe wäre das Gebäude fertig geworden, würdig eines großen und ſehr verſtändigen Baumeiſters, be- quem

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Zitationshilfe: Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/194>, abgerufen am 29.08.2024.