Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764.der Gewißheit der Sinne und der Erfah- rung des ganzen menschlichen Geschlechtes be- ruht! Kein einziges Volk hat iemals einen An- spruch an die Ewigkeit des Daseyns gemacht. Die ältesten Nationen, die in der Geschich- te bekannt sind, die Perser, und andre Mor- genländer schreiben den Ursprung der Men- schen und der Welt ausdrücklich Gott zu. Andre lassen zwar aus einem den Menschen na- türlichen Hochmuthe ihre Vorfahren entweder von der Erde oder von den Göttern abstammen; aber alle erkennen doch einen Anfang ihres Ge- schlechtes. Folglich gestehen sie einmüthig, daß die erste, nothwendige, ewige und selbstständige Ursache aller Dinge nicht unter den Menschen zu suchen sey. Und wer dürfte sich bey ge- sundem Verstande auch nur im Traume einfallen lassen, an eine hinaufsteigende Ewigkeit des menschlichen Geschlechtes zu denken, wenn nicht etwa ein sehr verwildertes Herz eine Art von Beruhigung in einem solchen Traume sucht, da wir bloß in der Geschichte so viele Beweise einer stufenweise geschehenen Bevölkerung des Erdkrei- ses finden: Da wir nur ungefähr vier tausend Jahre zurückgehen dürfen, um die ersten Men- schen in einem kleinen Bezirke Asiens zusammen zu sehen? Um diese Zeit war, und dieß bezeugt nicht K 2
der Gewißheit der Sinne und der Erfah- rung des ganzen menſchlichen Geſchlechtes be- ruht! Kein einziges Volk hat iemals einen An- ſpruch an die Ewigkeit des Daſeyns gemacht. Die älteſten Nationen, die in der Geſchich- te bekannt ſind, die Perſer, und andre Mor- genländer ſchreiben den Urſprung der Men- ſchen und der Welt ausdrücklich Gott zu. Andre laſſen zwar aus einem den Menſchen na- türlichen Hochmuthe ihre Vorfahren entweder von der Erde oder von den Göttern abſtammen; aber alle erkennen doch einen Anfang ihres Ge- ſchlechtes. Folglich geſtehen ſie einmüthig, daß die erſte, nothwendige, ewige und ſelbſtſtändige Urſache aller Dinge nicht unter den Menſchen zu ſuchen ſey. Und wer dürfte ſich bey ge- ſundem Verſtande auch nur im Traume einfallen laſſen, an eine hinaufſteigende Ewigkeit des menſchlichen Geſchlechtes zu denken, wenn nicht etwa ein ſehr verwildertes Herz eine Art von Beruhigung in einem ſolchen Traume ſucht, da wir bloß in der Geſchichte ſo viele Beweiſe einer ſtufenweiſe geſchehenen Bevölkerung des Erdkrei- ſes finden: Da wir nur ungefähr vier tauſend Jahre zurückgehen dürfen, um die erſten Men- ſchen in einem kleinen Bezirke Aſiens zuſammen zu ſehen? Um dieſe Zeit war, und dieß bezeugt nicht K 2
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0161" n="147"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> der Gewißheit der Sinne und der Erfah-<lb/> rung des ganzen menſchlichen Geſchlechtes be-<lb/> ruht! Kein einziges Volk hat iemals einen An-<lb/> ſpruch an die Ewigkeit des Daſeyns gemacht.<lb/> Die älteſten Nationen, die in der Geſchich-<lb/> te bekannt ſind, die Perſer, und andre Mor-<lb/> genländer ſchreiben den Urſprung der Men-<lb/> ſchen und der Welt ausdrücklich Gott zu.<lb/> Andre laſſen zwar aus einem den Menſchen na-<lb/> türlichen Hochmuthe ihre Vorfahren entweder<lb/> von der Erde oder von den Göttern abſtammen;<lb/> aber alle erkennen doch einen Anfang ihres Ge-<lb/> ſchlechtes. Folglich geſtehen ſie einmüthig, daß<lb/> die erſte, nothwendige, ewige und ſelbſtſtändige<lb/> Urſache aller Dinge nicht unter den Menſchen<lb/> zu ſuchen ſey. Und wer dürfte ſich bey ge-<lb/> ſundem Verſtande auch nur im Traume einfallen<lb/> laſſen, an eine hinaufſteigende Ewigkeit des<lb/> menſchlichen Geſchlechtes zu denken, wenn nicht<lb/> etwa ein ſehr verwildertes Herz eine Art von<lb/> Beruhigung in einem ſolchen Traume ſucht, da<lb/> wir bloß in der Geſchichte ſo viele Beweiſe einer<lb/> ſtufenweiſe geſchehenen Bevölkerung des Erdkrei-<lb/> ſes finden: Da wir nur ungefähr vier tauſend<lb/> Jahre zurückgehen dürfen, um die erſten Men-<lb/> ſchen in einem kleinen Bezirke Aſiens zuſammen<lb/> zu ſehen? Um dieſe Zeit war, und dieß bezeugt<lb/> <fw place="bottom" type="sig">K 2</fw><fw place="bottom" type="catch">nicht</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [147/0161]
der Gewißheit der Sinne und der Erfah-
rung des ganzen menſchlichen Geſchlechtes be-
ruht! Kein einziges Volk hat iemals einen An-
ſpruch an die Ewigkeit des Daſeyns gemacht.
Die älteſten Nationen, die in der Geſchich-
te bekannt ſind, die Perſer, und andre Mor-
genländer ſchreiben den Urſprung der Men-
ſchen und der Welt ausdrücklich Gott zu.
Andre laſſen zwar aus einem den Menſchen na-
türlichen Hochmuthe ihre Vorfahren entweder
von der Erde oder von den Göttern abſtammen;
aber alle erkennen doch einen Anfang ihres Ge-
ſchlechtes. Folglich geſtehen ſie einmüthig, daß
die erſte, nothwendige, ewige und ſelbſtſtändige
Urſache aller Dinge nicht unter den Menſchen
zu ſuchen ſey. Und wer dürfte ſich bey ge-
ſundem Verſtande auch nur im Traume einfallen
laſſen, an eine hinaufſteigende Ewigkeit des
menſchlichen Geſchlechtes zu denken, wenn nicht
etwa ein ſehr verwildertes Herz eine Art von
Beruhigung in einem ſolchen Traume ſucht, da
wir bloß in der Geſchichte ſo viele Beweiſe einer
ſtufenweiſe geſchehenen Bevölkerung des Erdkrei-
ſes finden: Da wir nur ungefähr vier tauſend
Jahre zurückgehen dürfen, um die erſten Men-
ſchen in einem kleinen Bezirke Aſiens zuſammen
zu ſehen? Um dieſe Zeit war, und dieß bezeugt
nicht
K 2
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang:
Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern:
Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |