die Kräfte der Vernunft. Beweist es nicht die Erfahrung? Was haben alle Weltweisen mit ih- ren Untersuchungen über die Natur der Gottheit ausgerichtet: Jst die Welt durch ihre Vernunft- schlüsse in den finstern Zeiten des Heidenthums vernünftiger geworden? Haben sie einen einzigen Götzenaltar eingestürzt? Und darf man sich darüber verwundern, daß sie nichts ausrichte- ten? Was waren die Götter der Heiden, die am feyerlichsten verehrt wurden, als vergötterte menschliche Schwachheiten, Leidenschaften, Er- getzlichkeiten und Laster?
Waren es nicht die Weisen unter den Hei- den, eben diejenigen, welche sich auf die Stärke ihrer Vernunft und Scharfsinnigkeit so viel ein- bildeten, waren es nicht diese, die sich der Aus- breitung der Erkenntniß eines einzigen, höchsten und unendlich vollkommenen Gottes am heftig- sten widersezten? Ob gleich die Abgötterey nichts als eine völlige Verderbniß des menschlichen Ver- standes war, so versuchten sie es doch, ob sie die- selbe nicht mit einem Scheine von Vernunft schmücken könnten. Jn welche Gestalten wurde sie nicht verkleidet, um ihre Schande zu verber- gen! Man suchte alle vernünftigen Untersuchun- gen derselben durch das Vorgeben einer tiefen
Ehr-
die Kräfte der Vernunft. Beweiſt es nicht die Erfahrung? Was haben alle Weltweiſen mit ih- ren Unterſuchungen über die Natur der Gottheit ausgerichtet: Jſt die Welt durch ihre Vernunft- ſchlüſſe in den finſtern Zeiten des Heidenthums vernünftiger geworden? Haben ſie einen einzigen Götzenaltar eingeſtürzt? Und darf man ſich darüber verwundern, daß ſie nichts ausrichte- ten? Was waren die Götter der Heiden, die am feyerlichſten verehrt wurden, als vergötterte menſchliche Schwachheiten, Leidenſchaften, Er- getzlichkeiten und Laſter?
Waren es nicht die Weiſen unter den Hei- den, eben diejenigen, welche ſich auf die Stärke ihrer Vernunft und Scharfſinnigkeit ſo viel ein- bildeten, waren es nicht dieſe, die ſich der Aus- breitung der Erkenntniß eines einzigen, höchſten und unendlich vollkommenen Gottes am heftig- ſten widerſezten? Ob gleich die Abgötterey nichts als eine völlige Verderbniß des menſchlichen Ver- ſtandes war, ſo verſuchten ſie es doch, ob ſie die- ſelbe nicht mit einem Scheine von Vernunft ſchmücken könnten. Jn welche Geſtalten wurde ſie nicht verkleidet, um ihre Schande zu verber- gen! Man ſuchte alle vernünftigen Unterſuchun- gen derſelben durch das Vorgeben einer tiefen
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die Kräfte der Vernunft. Beweiſt es nicht die
Erfahrung? Was haben alle Weltweiſen mit ih-
ren Unterſuchungen über die Natur der Gottheit
ausgerichtet: Jſt die Welt durch ihre Vernunft-
ſchlüſſe in den finſtern Zeiten des Heidenthums
vernünftiger geworden? Haben ſie einen einzigen
Götzenaltar eingeſtürzt? Und darf man ſich
darüber verwundern, daß ſie nichts ausrichte-
ten? Was waren die Götter der Heiden, die
am feyerlichſten verehrt wurden, als vergötterte
menſchliche Schwachheiten, Leidenſchaften, Er-
getzlichkeiten und Laſter?
Waren es nicht die Weiſen unter den Hei-
den, eben diejenigen, welche ſich auf die Stärke
ihrer Vernunft und Scharfſinnigkeit ſo viel ein-
bildeten, waren es nicht dieſe, die ſich der Aus-
breitung der Erkenntniß eines einzigen, höchſten
und unendlich vollkommenen Gottes am heftig-
ſten widerſezten? Ob gleich die Abgötterey nichts
als eine völlige Verderbniß des menſchlichen Ver-
ſtandes war, ſo verſuchten ſie es doch, ob ſie die-
ſelbe nicht mit einem Scheine von Vernunft
ſchmücken könnten. Jn welche Geſtalten wurde
ſie nicht verkleidet, um ihre Schande zu verber-
gen! Man ſuchte alle vernünftigen Unterſuchun-
gen derſelben durch das Vorgeben einer tiefen
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Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/142>, abgerufen am 01.07.2024.
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