Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764.

Bild:
<< vorherige Seite



wir dadurch erhalten, empfangen um so viel mehr
Licht, je angestrengter sie ist. Je mehr wir über
den Höchsten nachdenken, desto deutlicher lernen
wir ihn kennen; die Ungewißheit verwandelt sich
in Zuversicht und der Zweifel in Ueberzeugung.
Je anhaltender unsre Aufmerksamkeit in der Ve-
trachtung Gottes ist, desto lebhafter wird auch
das Vergnügen über ihn; desto stärker und be-
ständiger wird der Eindruck der Wahrheiten, die
wir von ihm lernen. Wer nicht liebet, der
kennet Gott nicht. Je vollkommner die Er-
kenntniß Gottes wird, desto zärtlicher und brün-
stiger wird die Liebe, desto grösser die Seeligkeit,
die aus der Liebe entspringt. Da nun die Liebe aus
der lebhaften und anhaltenden Vorstellung von den
Vollkommenheiten und dem Nutzen eines Gegen-
standes entspringet, und nach dem Grade des darin-
nen bemerkten Guten, und dessen klaren, gewissen
und kräftigen Erkenntniß verschieden seyn muß:
Wie schädlich ist denn nicht in der Betrachtung
Gottes, seiner Eigenschaften und Werke alle Zer-
streuung und Leichtsinnigkeit des Geistes! Wie
nöthig ist es, um der Frucht und des Seegens der-
selben nicht verlustig zu werden, meine Gedanken in
Ordnung zu halten, die Weisheit vom Himmel
mit Fleiß zu suchen, und der Unstätigkeit meines
Verstandes Fesseln anzulegen!

Aber
F 4



wir dadurch erhalten, empfangen um ſo viel mehr
Licht, je angeſtrengter ſie iſt. Je mehr wir über
den Höchſten nachdenken, deſto deutlicher lernen
wir ihn kennen; die Ungewißheit verwandelt ſich
in Zuverſicht und der Zweifel in Ueberzeugung.
Je anhaltender unſre Aufmerkſamkeit in der Ve-
trachtung Gottes iſt, deſto lebhafter wird auch
das Vergnügen über ihn; deſto ſtärker und be-
ſtändiger wird der Eindruck der Wahrheiten, die
wir von ihm lernen. Wer nicht liebet, der
kennet Gott nicht. Je vollkommner die Er-
kenntniß Gottes wird, deſto zärtlicher und brün-
ſtiger wird die Liebe, deſto gröſſer die Seeligkeit,
die aus der Liebe entſpringt. Da nun die Liebe aus
der lebhaften und anhaltenden Vorſtellung von den
Vollkommenheiten und dem Nutzen eines Gegen-
ſtandes entſpringet, und nach dem Grade des darin-
nen bemerkten Guten, und deſſen klaren, gewiſſen
und kräftigen Erkenntniß verſchieden ſeyn muß:
Wie ſchädlich iſt denn nicht in der Betrachtung
Gottes, ſeiner Eigenſchaften und Werke alle Zer-
ſtreuung und Leichtſinnigkeit des Geiſtes! Wie
nöthig iſt es, um der Frucht und des Seegens der-
ſelben nicht verluſtig zu werden, meine Gedanken in
Ordnung zu halten, die Weisheit vom Himmel
mit Fleiß zu ſuchen, und der Unſtätigkeit meines
Verſtandes Feſſeln anzulegen!

Aber
F 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0101" n="87"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
wir dadurch erhalten, empfangen um &#x017F;o viel mehr<lb/>
Licht, je ange&#x017F;trengter &#x017F;ie i&#x017F;t. Je mehr wir über<lb/>
den Höch&#x017F;ten nachdenken, de&#x017F;to deutlicher lernen<lb/>
wir ihn kennen; die Ungewißheit verwandelt &#x017F;ich<lb/>
in Zuver&#x017F;icht und der Zweifel in Ueberzeugung.<lb/>
Je anhaltender un&#x017F;re Aufmerk&#x017F;amkeit in der Ve-<lb/>
trachtung Gottes i&#x017F;t, de&#x017F;to lebhafter wird auch<lb/>
das Vergnügen über ihn; de&#x017F;to &#x017F;tärker und be-<lb/>
&#x017F;tändiger wird der Eindruck der Wahrheiten, die<lb/>
wir von ihm lernen. Wer nicht liebet, der<lb/>
kennet Gott nicht. Je vollkommner die Er-<lb/>
kenntniß Gottes wird, de&#x017F;to zärtlicher und brün-<lb/>
&#x017F;tiger wird die Liebe, de&#x017F;to grö&#x017F;&#x017F;er die Seeligkeit,<lb/>
die aus der Liebe ent&#x017F;pringt. Da nun die Liebe aus<lb/>
der lebhaften und anhaltenden Vor&#x017F;tellung von den<lb/>
Vollkommenheiten und dem Nutzen eines Gegen-<lb/>
&#x017F;tandes ent&#x017F;pringet, und nach dem Grade des darin-<lb/>
nen bemerkten Guten, und de&#x017F;&#x017F;en klaren, gewi&#x017F;&#x017F;en<lb/>
und kräftigen Erkenntniß ver&#x017F;chieden &#x017F;eyn muß:<lb/>
Wie &#x017F;chädlich i&#x017F;t denn nicht in der Betrachtung<lb/>
Gottes, &#x017F;einer Eigen&#x017F;chaften und Werke alle Zer-<lb/>
&#x017F;treuung und Leicht&#x017F;innigkeit des Gei&#x017F;tes! Wie<lb/>
nöthig i&#x017F;t es, um der Frucht und des Seegens der-<lb/>
&#x017F;elben nicht verlu&#x017F;tig zu werden, meine Gedanken in<lb/>
Ordnung zu halten, die Weisheit vom Himmel<lb/>
mit Fleiß zu &#x017F;uchen, und der Un&#x017F;tätigkeit meines<lb/>
Ver&#x017F;tandes Fe&#x017F;&#x017F;eln anzulegen!</p><lb/>
        <fw place="bottom" type="sig">F 4</fw>
        <fw place="bottom" type="catch">Aber</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[87/0101] wir dadurch erhalten, empfangen um ſo viel mehr Licht, je angeſtrengter ſie iſt. Je mehr wir über den Höchſten nachdenken, deſto deutlicher lernen wir ihn kennen; die Ungewißheit verwandelt ſich in Zuverſicht und der Zweifel in Ueberzeugung. Je anhaltender unſre Aufmerkſamkeit in der Ve- trachtung Gottes iſt, deſto lebhafter wird auch das Vergnügen über ihn; deſto ſtärker und be- ſtändiger wird der Eindruck der Wahrheiten, die wir von ihm lernen. Wer nicht liebet, der kennet Gott nicht. Je vollkommner die Er- kenntniß Gottes wird, deſto zärtlicher und brün- ſtiger wird die Liebe, deſto gröſſer die Seeligkeit, die aus der Liebe entſpringt. Da nun die Liebe aus der lebhaften und anhaltenden Vorſtellung von den Vollkommenheiten und dem Nutzen eines Gegen- ſtandes entſpringet, und nach dem Grade des darin- nen bemerkten Guten, und deſſen klaren, gewiſſen und kräftigen Erkenntniß verſchieden ſeyn muß: Wie ſchädlich iſt denn nicht in der Betrachtung Gottes, ſeiner Eigenſchaften und Werke alle Zer- ſtreuung und Leichtſinnigkeit des Geiſtes! Wie nöthig iſt es, um der Frucht und des Seegens der- ſelben nicht verluſtig zu werden, meine Gedanken in Ordnung zu halten, die Weisheit vom Himmel mit Fleiß zu ſuchen, und der Unſtätigkeit meines Verſtandes Feſſeln anzulegen! Aber F 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Matthias Boenig, Yannic Bracke, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Linda Kirsten, Xi Zhang: Arbeitsschritte im Digitalisierungsworkflow: Vorbereitung der Bildvorlagen für die Textdigitalisierung; Bearbeitung, Konvertierung und ggf. Nachstrukturierung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription
Britt-Marie Schuster, Alexander Geyken, Susanne Haaf, Christopher Georgi, Linda Kirsten, Frauke Thielert, t.evo: Die Evolution von komplexen Textmustern: Aufbau eines Korpus historischer Erbauungsschriften zur Untersuchung der Mehrdimensionalität des Textmusterwandels



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/101
Zitationshilfe: Cramer, Johann Andreas: Andachten in Betrachtungen, Gebeten und Liedern über Gott, seine Eigenschaften und Werke. Erster Theil. Schleßwig, 1764, S. 87. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/cramer_andachten01_1764/101>, abgerufen am 24.11.2024.