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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

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mußten nicht minder Form und Farbe, bestimmte
Contouren annehmen: das ahnte, wußte, hoffte er.
Seine Phantasie tändelte gern. Sie war augen-
scheinlich heute Abend in der besten Laune. Zudem diese
reichbesetzte Tafel, diese Fülle von Eleganz, dieses
geschmackvoll zusammengeordnete Leben, diese be-
hagliche Zwanglosigkeit -- die verhalten-gesummte
Musik der Lüstreflammen: das Alles prickelte sich
ihm berauschend in die Seele, schob und hob ihn
ohne jede Absichtlichkeit über sich hinaus, ließ ihn
vergessen, was hinter ihm lag, was vor ihm lag,
was er sich selbst eigentlich war -- nahm ihn ganz
hin -- zehrte ihn ganz auf ....

Herr Quöck aß sehr tapfer drauf los. Der
saftige Rehbraten mundete ihm vortrefflich. Die
Ouvertüre: delicate grüne Erbsen mit Beilage, hatte
er ziemlich unbehelligt vorübergehen lassen. Er schien
sich an das Körperlichere halten zu wollen.

"Nehmen Sie Rum oder Rothwein zum Thee,
Herr Doctor --?" fragte Frau Möbius Adam.

"Danke sehr, gnädige Frau! Ich habe mich
schon mit Rum bedient --"

"Ich gieße mir immer Rothwein hinzu --"
gestand Quöck.

"Und Sie, Herr Referendar --?"

"Auch ich, gnädige Frau, habe mir schon erlaubt,
Rum vorzuziehen --"

"Wie geht es Ihrem Herrn Vater, Fräulein
Irmer --?" fragte der Wirth des Hauses und schob
ein ansehnliches Stück Rehrücken zwischen die Zähne.

mußten nicht minder Form und Farbe, beſtimmte
Contouren annehmen: das ahnte, wußte, hoffte er.
Seine Phantaſie tändelte gern. Sie war augen-
ſcheinlich heute Abend in der beſten Laune. Zudem dieſe
reichbeſetzte Tafel, dieſe Fülle von Eleganz, dieſes
geſchmackvoll zuſammengeordnete Leben, dieſe be-
hagliche Zwangloſigkeit — die verhalten-geſummte
Muſik der Lüſtreflammen: das Alles prickelte ſich
ihm berauſchend in die Seele, ſchob und hob ihn
ohne jede Abſichtlichkeit über ſich hinaus, ließ ihn
vergeſſen, was hinter ihm lag, was vor ihm lag,
was er ſich ſelbſt eigentlich war — nahm ihn ganz
hin — zehrte ihn ganz auf ....

Herr Quöck aß ſehr tapfer drauf los. Der
ſaftige Rehbraten mundete ihm vortrefflich. Die
Ouvertüre: delicate grüne Erbſen mit Beilage, hatte
er ziemlich unbehelligt vorübergehen laſſen. Er ſchien
ſich an das Körperlichere halten zu wollen.

„Nehmen Sie Rum oder Rothwein zum Thee,
Herr Doctor —?“ fragte Frau Möbius Adam.

„Danke ſehr, gnädige Frau! Ich habe mich
ſchon mit Rum bedient —“

„Ich gieße mir immer Rothwein hinzu —“
geſtand Quöck.

„Und Sie, Herr Referendar —?“

„Auch ich, gnädige Frau, habe mir ſchon erlaubt,
Rum vorzuziehen —“

„Wie geht es Ihrem Herrn Vater, Fräulein
Irmer —?“ fragte der Wirth des Hauſes und ſchob
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[48/0056] mußten nicht minder Form und Farbe, beſtimmte Contouren annehmen: das ahnte, wußte, hoffte er. Seine Phantaſie tändelte gern. Sie war augen- ſcheinlich heute Abend in der beſten Laune. Zudem dieſe reichbeſetzte Tafel, dieſe Fülle von Eleganz, dieſes geſchmackvoll zuſammengeordnete Leben, dieſe be- hagliche Zwangloſigkeit — die verhalten-geſummte Muſik der Lüſtreflammen: das Alles prickelte ſich ihm berauſchend in die Seele, ſchob und hob ihn ohne jede Abſichtlichkeit über ſich hinaus, ließ ihn vergeſſen, was hinter ihm lag, was vor ihm lag, was er ſich ſelbſt eigentlich war — nahm ihn ganz hin — zehrte ihn ganz auf .... Herr Quöck aß ſehr tapfer drauf los. Der ſaftige Rehbraten mundete ihm vortrefflich. Die Ouvertüre: delicate grüne Erbſen mit Beilage, hatte er ziemlich unbehelligt vorübergehen laſſen. Er ſchien ſich an das Körperlichere halten zu wollen. „Nehmen Sie Rum oder Rothwein zum Thee, Herr Doctor —?“ fragte Frau Möbius Adam. „Danke ſehr, gnädige Frau! Ich habe mich ſchon mit Rum bedient —“ „Ich gieße mir immer Rothwein hinzu —“ geſtand Quöck. „Und Sie, Herr Referendar —?“ „Auch ich, gnädige Frau, habe mir ſchon erlaubt, Rum vorzuziehen —“ „Wie geht es Ihrem Herrn Vater, Fräulein Irmer —?“ fragte der Wirth des Hauſes und ſchob ein anſehnliches Stück Rehrücken zwiſchen die Zähne.

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Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/56>, abgerufen am 28.11.2024.