Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

Bild:
<< vorherige Seite

mäßiges Gesicht: feine, zierliche Nase, kleiner, üppiger
Mund, niedrige, weiße, von einigen zwanglos herab-
fallenden Ringeln des rothblonden Haars coquett
überschattete Stirn -- und ein Paar grauer, merk-
würdig unruhiger, verzettelt sich ausgebender Augen,
die einen Moment groß aufgeschlagen sind, um im
nächsten wiederum halb überlidert zu werden.

"Das ist also unser berühmter ,Proletarier des
Geistes' -- sagtest Du nicht, liebe Lydia, daß Du
Dich für den Ul--k -- -- pardon, Herr Doktor! --
interessirtest? Ich erzählte Dir doch neulich davon ...
nicht wahr -- der Herr Doctor sieht gar nicht so
proletarierhaft aus, gar nicht so ...? --"

Frau Lydia Lange und Adam Mensch sahen
sich scharf in die Augen. Dann rümpfte die Dame
ein Wenig das feine Näschen und meinte leichthin:

"Es kommt so oft vor, daß man in Wirklichkeit
doch das ist, was man sich -- einbildet --"

"Aber Lydia --" wehrte Herr Quöck mit pous-
sirlicher Erschrockenheit ab.

Adam war einen kleinen Augenblick verblüfft.
Auf eine derartige .. hm! immerhin paradoxe Con-
versation war er kaum gefaßt gewesen. Dann ver-
zog er den Mund zu einem nachsichtig-ironischen
Lächeln und parirte ab:

"Sie haben so Unrecht nicht, gnädige Frau.
Aber ich möchte mir eine Lanze, sogar eine "warme"
Lanze, wie man zu sagen pflegt, für die andere Seite
Ihrer Behauptungsmedaille -- "wie geschmacklos!"
dachte er bei sich, als ihm diese nette "Metapher"

mäßiges Geſicht: feine, zierliche Naſe, kleiner, üppiger
Mund, niedrige, weiße, von einigen zwanglos herab-
fallenden Ringeln des rothblonden Haars coquett
überſchattete Stirn — und ein Paar grauer, merk-
würdig unruhiger, verzettelt ſich ausgebender Augen,
die einen Moment groß aufgeſchlagen ſind, um im
nächſten wiederum halb überlidert zu werden.

„Das iſt alſo unſer berühmter ‚Proletarier des
Geiſtes‘ — ſagteſt Du nicht, liebe Lydia, daß Du
Dich für den Ul—k — — pardon, Herr Doktor! —
intereſſirteſt? Ich erzählte Dir doch neulich davon ...
nicht wahr — der Herr Doctor ſieht gar nicht ſo
proletarierhaft aus, gar nicht ſo ...? —“

Frau Lydia Lange und Adam Menſch ſahen
ſich ſcharf in die Augen. Dann rümpfte die Dame
ein Wenig das feine Näschen und meinte leichthin:

„Es kommt ſo oft vor, daß man in Wirklichkeit
doch das iſt, was man ſich — einbildet —“

„Aber Lydia —“ wehrte Herr Quöck mit pouſ-
ſirlicher Erſchrockenheit ab.

Adam war einen kleinen Augenblick verblüfft.
Auf eine derartige .. hm! immerhin paradoxe Con-
verſation war er kaum gefaßt geweſen. Dann ver-
zog er den Mund zu einem nachſichtig-ironiſchen
Lächeln und parirte ab:

„Sie haben ſo Unrecht nicht, gnädige Frau.
Aber ich möchte mir eine Lanze, ſogar eine „warme“
Lanze, wie man zu ſagen pflegt, für die andere Seite
Ihrer Behauptungsmedaille — „wie geſchmacklos!“
dachte er bei ſich, als ihm dieſe nette „Metapher“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0049" n="41"/>
mäßiges Ge&#x017F;icht: feine, zierliche Na&#x017F;e, kleiner, üppiger<lb/>
Mund, niedrige, weiße, von einigen zwanglos herab-<lb/>
fallenden Ringeln des rothblonden Haars coquett<lb/>
über&#x017F;chattete Stirn &#x2014; und ein Paar grauer, merk-<lb/>
würdig unruhiger, verzettelt &#x017F;ich ausgebender Augen,<lb/>
die einen Moment groß aufge&#x017F;chlagen &#x017F;ind, um im<lb/>
näch&#x017F;ten wiederum halb überlidert zu werden.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das i&#x017F;t al&#x017F;o un&#x017F;er berühmter &#x201A;Proletarier des<lb/>
Gei&#x017F;tes&#x2018; &#x2014; &#x017F;agte&#x017F;t Du nicht, liebe Lydia, daß Du<lb/>
Dich für den Ul&#x2014;k &#x2014; &#x2014; <hi rendition="#aq">pardon</hi>, Herr Doktor! &#x2014;<lb/>
intere&#x017F;&#x017F;irte&#x017F;t? Ich erzählte Dir doch neulich davon ...<lb/>
nicht wahr &#x2014; der Herr Doctor &#x017F;ieht gar nicht &#x017F;o<lb/>
proletarierhaft aus, gar nicht &#x017F;o ...? &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
        <p>Frau Lydia Lange und Adam Men&#x017F;ch &#x017F;ahen<lb/>
&#x017F;ich &#x017F;charf in die Augen. Dann rümpfte die Dame<lb/>
ein Wenig das feine Näschen und meinte leichthin:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Es kommt &#x017F;o oft vor, daß man in Wirklichkeit<lb/>
doch das i&#x017F;t, was man &#x017F;ich &#x2014; einbildet &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Aber Lydia &#x2014;&#x201C; wehrte Herr Quöck mit pou&#x017F;-<lb/>
&#x017F;irlicher Er&#x017F;chrockenheit ab.</p><lb/>
        <p>Adam war einen kleinen Augenblick verblüfft.<lb/>
Auf eine derartige .. hm! immerhin paradoxe Con-<lb/>
ver&#x017F;ation war er kaum gefaßt gewe&#x017F;en. Dann ver-<lb/>
zog er den Mund zu einem nach&#x017F;ichtig-ironi&#x017F;chen<lb/>
Lächeln und parirte ab:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sie haben &#x017F;o Unrecht nicht, gnädige Frau.<lb/>
Aber ich möchte mir eine Lanze, &#x017F;ogar eine &#x201E;warme&#x201C;<lb/>
Lanze, wie man zu &#x017F;agen pflegt, für die andere Seite<lb/>
Ihrer Behauptungsmedaille &#x2014; &#x201E;wie ge&#x017F;chmacklos!&#x201C;<lb/>
dachte er bei &#x017F;ich, als ihm die&#x017F;e nette &#x201E;Metapher&#x201C;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[41/0049] mäßiges Geſicht: feine, zierliche Naſe, kleiner, üppiger Mund, niedrige, weiße, von einigen zwanglos herab- fallenden Ringeln des rothblonden Haars coquett überſchattete Stirn — und ein Paar grauer, merk- würdig unruhiger, verzettelt ſich ausgebender Augen, die einen Moment groß aufgeſchlagen ſind, um im nächſten wiederum halb überlidert zu werden. „Das iſt alſo unſer berühmter ‚Proletarier des Geiſtes‘ — ſagteſt Du nicht, liebe Lydia, daß Du Dich für den Ul—k — — pardon, Herr Doktor! — intereſſirteſt? Ich erzählte Dir doch neulich davon ... nicht wahr — der Herr Doctor ſieht gar nicht ſo proletarierhaft aus, gar nicht ſo ...? —“ Frau Lydia Lange und Adam Menſch ſahen ſich ſcharf in die Augen. Dann rümpfte die Dame ein Wenig das feine Näschen und meinte leichthin: „Es kommt ſo oft vor, daß man in Wirklichkeit doch das iſt, was man ſich — einbildet —“ „Aber Lydia —“ wehrte Herr Quöck mit pouſ- ſirlicher Erſchrockenheit ab. Adam war einen kleinen Augenblick verblüfft. Auf eine derartige .. hm! immerhin paradoxe Con- verſation war er kaum gefaßt geweſen. Dann ver- zog er den Mund zu einem nachſichtig-ironiſchen Lächeln und parirte ab: „Sie haben ſo Unrecht nicht, gnädige Frau. Aber ich möchte mir eine Lanze, ſogar eine „warme“ Lanze, wie man zu ſagen pflegt, für die andere Seite Ihrer Behauptungsmedaille — „wie geſchmacklos!“ dachte er bei ſich, als ihm dieſe nette „Metapher“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/49
Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 41. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/49>, abgerufen am 23.11.2024.