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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

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einredete, er hätte sie sich errungen, und er war
stolz auf diesen Erfolg. Aber dennoch verschob er
es von Tag zu Tag, Lydia zu antworten. Dieses
Hinausschieben machte ihm ein pikantes Vergnügen,
gewährte ihm einen angenehm prickelnden Reiz. Hatte
er erst geschrieben, so war damit auch die momen-
tane Situation erschöpft -- und der Genuß, der in
dem Bewußtsein lag, daß sich Lydia um so mehr
und um so intimer mit ihm beschäftigen würde, je
länger seine von ihr ersehnte Erwiderung ausblieb,
hörte dann auf. Vielleicht wirkte bei seinem Zögern
auch mit, daß ihm das Bild seiner Braut schon ein
Wenig verblaßt, daß er schon etwas in den Hinter-
grund getreten war, daß der Einfluß ihrer reifen
Frauenschönheit unter der Trennung doch schon ge-
litten hatte. Er mußte sich das eingestehen und
ärgerte sich darüber. Aber er konnte nichts dagegen
machen. Er gab sich oft alle Mühe, Lydias Bild
in Klarheit und Frische vor sein geistiges Auge zu
rufen, aber es wollte ihm nicht gelingen, nur Sche-
men kamen und vage Andeutungen. Dann konnte
er nicht begreifen, daß nun in Zukunft er ihr und
sie ihm angehören sollte, daß sie Beide hingehen
sollten, um sich ihren lieben Mitmenschen als ein
zusammengehöriges Paar vorzustellen. Das war
Alles so drollig, so wunderbar, das konnte nicht sein,
das widersprach doch so ganz den Gesetzen, unter
denen zu leben er sich gewöhnt hatte. Er ertappte
sich auf dem Gedanken, auf dem leisen, geheimen
Wunsch, daß seine Braut so lange als möglich in

einredete, er hätte ſie ſich errungen, und er war
ſtolz auf dieſen Erfolg. Aber dennoch verſchob er
es von Tag zu Tag, Lydia zu antworten. Dieſes
Hinausſchieben machte ihm ein pikantes Vergnügen,
gewährte ihm einen angenehm prickelnden Reiz. Hatte
er erſt geſchrieben, ſo war damit auch die momen-
tane Situation erſchöpft — und der Genuß, der in
dem Bewußtſein lag, daß ſich Lydia um ſo mehr
und um ſo intimer mit ihm beſchäftigen würde, je
länger ſeine von ihr erſehnte Erwiderung ausblieb,
hörte dann auf. Vielleicht wirkte bei ſeinem Zögern
auch mit, daß ihm das Bild ſeiner Braut ſchon ein
Wenig verblaßt, daß er ſchon etwas in den Hinter-
grund getreten war, daß der Einfluß ihrer reifen
Frauenſchönheit unter der Trennung doch ſchon ge-
litten hatte. Er mußte ſich das eingeſtehen und
ärgerte ſich darüber. Aber er konnte nichts dagegen
machen. Er gab ſich oft alle Mühe, Lydias Bild
in Klarheit und Friſche vor ſein geiſtiges Auge zu
rufen, aber es wollte ihm nicht gelingen, nur Sche-
men kamen und vage Andeutungen. Dann konnte
er nicht begreifen, daß nun in Zukunft er ihr und
ſie ihm angehören ſollte, daß ſie Beide hingehen
ſollten, um ſich ihren lieben Mitmenſchen als ein
zuſammengehöriges Paar vorzuſtellen. Das war
Alles ſo drollig, ſo wunderbar, das konnte nicht ſein,
das widerſprach doch ſo ganz den Geſetzen, unter
denen zu leben er ſich gewöhnt hatte. Er ertappte
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[458/0466] einredete, er hätte ſie ſich errungen, und er war ſtolz auf dieſen Erfolg. Aber dennoch verſchob er es von Tag zu Tag, Lydia zu antworten. Dieſes Hinausſchieben machte ihm ein pikantes Vergnügen, gewährte ihm einen angenehm prickelnden Reiz. Hatte er erſt geſchrieben, ſo war damit auch die momen- tane Situation erſchöpft — und der Genuß, der in dem Bewußtſein lag, daß ſich Lydia um ſo mehr und um ſo intimer mit ihm beſchäftigen würde, je länger ſeine von ihr erſehnte Erwiderung ausblieb, hörte dann auf. Vielleicht wirkte bei ſeinem Zögern auch mit, daß ihm das Bild ſeiner Braut ſchon ein Wenig verblaßt, daß er ſchon etwas in den Hinter- grund getreten war, daß der Einfluß ihrer reifen Frauenſchönheit unter der Trennung doch ſchon ge- litten hatte. Er mußte ſich das eingeſtehen und ärgerte ſich darüber. Aber er konnte nichts dagegen machen. Er gab ſich oft alle Mühe, Lydias Bild in Klarheit und Friſche vor ſein geiſtiges Auge zu rufen, aber es wollte ihm nicht gelingen, nur Sche- men kamen und vage Andeutungen. Dann konnte er nicht begreifen, daß nun in Zukunft er ihr und ſie ihm angehören ſollte, daß ſie Beide hingehen ſollten, um ſich ihren lieben Mitmenſchen als ein zuſammengehöriges Paar vorzuſtellen. Das war Alles ſo drollig, ſo wunderbar, das konnte nicht ſein, das widerſprach doch ſo ganz den Geſetzen, unter denen zu leben er ſich gewöhnt hatte. Er ertappte ſich auf dem Gedanken, auf dem leiſen, geheimen Wunſch, daß ſeine Braut ſo lange als möglich in

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Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 458. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/466>, abgerufen am 22.11.2024.