lache und ärgere ich mich und raisonnire, schimpfe, schwadronire, debattire, diskutire, spreche ich ganz wie Ihr, nach dem berühmten Muster socialer Individuen, im Jargon des Alltags, der Straße, der Kneipe, des Gesellschaftszimmers .. Was wollt Ihr! Mich kennt Ihr nicht. Das heißt: jenes Wesen eben, in welchem ich zuweilen sein darf. Aber nun sieh: gerade das Bewußtsein, daß ich zuweilen ein Anderer sein darf, das giebt meinem ganzen Leben doch eine große Zwiespältigkeit, eine ewige Unruhe, das macht mich so oft mürrisch, melancholisch, unzuverlässig, unberechenbar, ungeduldig, ungenießbar, das wirft mich aus einer Stimmung in die andere. Ich stürze mich in Genüsse, die für mich keine Genüsse sind, aber ich muß sie immer wieder auf- suchen, weil ich mich loswerden will, weil ich mich betäuben will -- ich suche sie auf, diese faden Genüsse, obwohl ich mich vor ihnen ekele, obwohl ich sie verachte .. Ich habe eben überhaupt kein Organ für alle diese gerühmten plebejischen Freuden. Aber ich mache mit ... und ich bin zuweilen nicht der schlechteste und zurückhaltendste Cumpan -- das wirst Du aus Erfahrung wissen .. Mein Pech ist nur, daß Ihr Alle mit mir wie mit einer gewöhn- lichen Werkeltagsmünze rechnet -- und ich bin, Gott sei's geklagt! oft zu feige oder oft auch zu gleichgültig, um gegen diese Unverschämheit, zu der ich Euch übrigens ein gewisses Recht gar nicht ab- spreche, zu protestiren. Ich lache Euch oft im Stillen aus, verachte Euch bodenlos, mache aber doch ganz
lache und ärgere ich mich und raiſonnire, ſchimpfe, ſchwadronire, debattire, diskutire, ſpreche ich ganz wie Ihr, nach dem berühmten Muſter ſocialer Individuen, im Jargon des Alltags, der Straße, der Kneipe, des Geſellſchaftszimmers .. Was wollt Ihr! Mich kennt Ihr nicht. Das heißt: jenes Weſen eben, in welchem ich zuweilen ſein darf. Aber nun ſieh: gerade das Bewußtſein, daß ich zuweilen ein Anderer ſein darf, das giebt meinem ganzen Leben doch eine große Zwieſpältigkeit, eine ewige Unruhe, das macht mich ſo oft mürriſch, melancholiſch, unzuverläſſig, unberechenbar, ungeduldig, ungenießbar, das wirft mich aus einer Stimmung in die andere. Ich ſtürze mich in Genüſſe, die für mich keine Genüſſe ſind, aber ich muß ſie immer wieder auf- ſuchen, weil ich mich loswerden will, weil ich mich betäuben will — ich ſuche ſie auf, dieſe faden Genüſſe, obwohl ich mich vor ihnen ekele, obwohl ich ſie verachte .. Ich habe eben überhaupt kein Organ für alle dieſe gerühmten plebejiſchen Freuden. Aber ich mache mit ... und ich bin zuweilen nicht der ſchlechteſte und zurückhaltendſte Cumpan — das wirſt Du aus Erfahrung wiſſen .. Mein Pech iſt nur, daß Ihr Alle mit mir wie mit einer gewöhn- lichen Werkeltagsmünze rechnet — und ich bin, Gott ſei's geklagt! oft zu feige oder oft auch zu gleichgültig, um gegen dieſe Unverſchämheit, zu der ich Euch übrigens ein gewiſſes Recht gar nicht ab- ſpreche, zu proteſtiren. Ich lache Euch oft im Stillen aus, verachte Euch bodenlos, mache aber doch ganz
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lache und ärgere ich mich und raiſonnire, ſchimpfe,
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wie Ihr, nach dem berühmten Muſter ſocialer
Individuen, im Jargon des Alltags, der Straße,
der Kneipe, des Geſellſchaftszimmers .. Was wollt
Ihr! Mich kennt Ihr nicht. Das heißt: jenes
Weſen eben, in welchem ich zuweilen ſein darf. Aber
nun ſieh: gerade das Bewußtſein, daß ich zuweilen
ein Anderer ſein darf, das giebt meinem ganzen
Leben doch eine große Zwieſpältigkeit, eine ewige
Unruhe, das macht mich ſo oft mürriſch, melancholiſch,
unzuverläſſig, unberechenbar, ungeduldig, ungenießbar,
das wirft mich aus einer Stimmung in die andere.
Ich ſtürze mich in Genüſſe, die für mich keine
Genüſſe ſind, aber ich muß ſie immer wieder auf-
ſuchen, weil ich mich loswerden will, weil ich mich
betäuben will — ich ſuche ſie auf, dieſe faden Genüſſe,
obwohl ich mich vor ihnen ekele, obwohl ich ſie
verachte .. Ich habe eben überhaupt kein Organ
für alle dieſe gerühmten plebejiſchen Freuden. Aber
ich mache mit ... und ich bin zuweilen nicht der
ſchlechteſte und zurückhaltendſte Cumpan — das
wirſt Du aus Erfahrung wiſſen .. Mein Pech iſt
nur, daß Ihr Alle mit mir wie mit einer gewöhn-
lichen Werkeltagsmünze rechnet — und ich bin,
Gott ſei's geklagt! oft zu feige oder oft auch zu
gleichgültig, um gegen dieſe Unverſchämheit, zu der
ich Euch übrigens ein gewiſſes Recht gar nicht ab-
ſpreche, zu proteſtiren. Ich lache Euch oft im Stillen
aus, verachte Euch bodenlos, mache aber doch ganz
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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 446. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/454>, abgerufen am 24.11.2024.
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