communen Laune, aus einer durch besondere Umstände geschaffenen Stimmung heraus, vielleicht in frivolem Leichtsinn, aber doch ganz den Gesetzen und Methoden seiner Natur gemäß, die derartige Weibergeschichten mit einer ihr organischen Oberflächlichkeit, Nebensächlichkeit, Gleichgültigkeit behandelte; die sich "moralisch" dadurch nicht im Geringsten tiefer verpflichtet fühlte; die das Alles nur als unvermeidliches Lebensaccidenz auffaßte. Er konnte nicht anders, es war ihm ganz selbstver- ständlich, daß er hier die Treue brach, um dort von Neuem Treue zu versprechen, er besaß im Grunde gar kein Talent zur hausbackenen Treue, das spielte sich alles viel zu weit draußen auf der Peripherie seiner Persönlichkeit ab, als daß er es vermocht hätte, sich für irgend eine begangene Untreue besonders verant- worlich zu fühlen. Er gab sich eben so, wie es gerade seiner Stimmung entsprach. Reagirte ein Anderer darauf, so mochte der das hübsch selber ver- antworten. Er war viel zu wenig bornirt, um sich in eine Leidenschaft festbeißen zu können. Hedwig war also gar nicht berechtigt zu ihrer Anklage. Und dieses Bewußtsein löste ein starkes Gefühl des Aergers und der Entrüstung in Adam aus, er riß mit einem brutalen Rucke ihre eingekrallten Finger von seinem Arme los, schleuderte den Arm von sich, packte ein zerknittertes Papier, das Hedwig ihm immer noch mit der anderen Hand starr entgegenhielt, und warf es auf den Tisch, trat einige Schritte zurück und machte ein sehr wüthendes Gesicht. Was wollte denn das Weib von ihm --? Lächerlich, sich auch
communen Laune, aus einer durch beſondere Umſtände geſchaffenen Stimmung heraus, vielleicht in frivolem Leichtſinn, aber doch ganz den Geſetzen und Methoden ſeiner Natur gemäß, die derartige Weibergeſchichten mit einer ihr organiſchen Oberflächlichkeit, Nebenſächlichkeit, Gleichgültigkeit behandelte; die ſich „moraliſch“ dadurch nicht im Geringſten tiefer verpflichtet fühlte; die das Alles nur als unvermeidliches Lebensaccidenz auffaßte. Er konnte nicht anders, es war ihm ganz ſelbſtver- ſtändlich, daß er hier die Treue brach, um dort von Neuem Treue zu verſprechen, er beſaß im Grunde gar kein Talent zur hausbackenen Treue, das ſpielte ſich alles viel zu weit draußen auf der Peripherie ſeiner Perſönlichkeit ab, als daß er es vermocht hätte, ſich für irgend eine begangene Untreue beſonders verant- worlich zu fühlen. Er gab ſich eben ſo, wie es gerade ſeiner Stimmung entſprach. Reagirte ein Anderer darauf, ſo mochte der das hübſch ſelber ver- antworten. Er war viel zu wenig bornirt, um ſich in eine Leidenſchaft feſtbeißen zu können. Hedwig war alſo gar nicht berechtigt zu ihrer Anklage. Und dieſes Bewußtſein löſte ein ſtarkes Gefühl des Aergers und der Entrüſtung in Adam aus, er riß mit einem brutalen Rucke ihre eingekrallten Finger von ſeinem Arme los, ſchleuderte den Arm von ſich, packte ein zerknittertes Papier, das Hedwig ihm immer noch mit der anderen Hand ſtarr entgegenhielt, und warf es auf den Tiſch, trat einige Schritte zurück und machte ein ſehr wüthendes Geſicht. Was wollte denn das Weib von ihm —? Lächerlich, ſich auch
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communen Laune, aus einer durch beſondere Umſtände
geſchaffenen Stimmung heraus, vielleicht in frivolem
Leichtſinn, aber doch ganz den Geſetzen und Methoden
ſeiner Natur gemäß, die derartige Weibergeſchichten mit
einer ihr organiſchen Oberflächlichkeit, Nebenſächlichkeit,
Gleichgültigkeit behandelte; die ſich „moraliſch“ dadurch
nicht im Geringſten tiefer verpflichtet fühlte; die das
Alles nur als unvermeidliches Lebensaccidenz auffaßte.
Er konnte nicht anders, es war ihm ganz ſelbſtver-
ſtändlich, daß er hier die Treue brach, um dort
von Neuem Treue zu verſprechen, er beſaß im Grunde
gar kein Talent zur hausbackenen Treue, das ſpielte
ſich alles viel zu weit draußen auf der Peripherie ſeiner
Perſönlichkeit ab, als daß er es vermocht hätte, ſich
für irgend eine begangene Untreue beſonders verant-
worlich zu fühlen. Er gab ſich eben ſo, wie es
gerade ſeiner Stimmung entſprach. Reagirte ein
Anderer darauf, ſo mochte der das hübſch ſelber ver-
antworten. Er war viel zu wenig bornirt, um ſich
in eine Leidenſchaft feſtbeißen zu können. Hedwig
war alſo gar nicht berechtigt zu ihrer Anklage. Und
dieſes Bewußtſein löſte ein ſtarkes Gefühl des Aergers
und der Entrüſtung in Adam aus, er riß mit einem
brutalen Rucke ihre eingekrallten Finger von ſeinem
Arme los, ſchleuderte den Arm von ſich, packte ein
zerknittertes Papier, das Hedwig ihm immer noch
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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/446>, abgerufen am 23.11.2024.
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