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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889].

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er. Er fieberte immer noch stark, stechende Hitze-
schauer liefen an seinem Leibe auf und nieder. Wie
mechanisch aufgezogen stapfte er vorwärts. Die
Cigarre war ausgegangen, er konnte sich nicht dazu
bequemen, sie wieder in Brand zu setzen, er be-
durfte ihrer schließlich auch nicht mehr. Jetzt ging
er eine breite Straße hinunter, die am Tage, besonders
in den späteren Nachmittagsstunden, die belebteste
der Stadt war. Am Himmel gab es immer noch
sanfte, discrete Mondhelle, die Laternen brannten
eine um die andere, still, kleinlaut, verträumt
standen die gelbroten Flammen in ihren weißen
Glasbauern. Da und dort tauchte noch ein Mensch
auf, ein später Zecher, eine satte oder suchende
Vagantin, zuweilen auch ein kleiner Schwarm be-
haglich plaudernder Nachtwandler. Allerlei leises,
verworrenes Geräusch summte um Adam herum,
ein kleiner Bursche mit einem Korbe verwelkter
Blumen, verwelkter Veilchen und Rosen, lief ihm
in den Weg, beinahe wäre er über das Kind ge-
stolpert, das ihn mit seinen großen, blöden Augen
im blassen, häßlichen, früh entwickelten und zer-
falteten Gesicht erschrocken ansah. Adam mußte
einem jähen Einfalle folgen, er kaufte sich ein ver-
welktes, nur noch ein schmutziges Parfüm aus-
athmendes Veilchensträußchen und warf ein Markstück
in den Korb. Die blauschwarzen Blumen zog er
mit unendlicher Genugthuung ins Knopfloch und
lief weiter. Eine große, bohrende Leere war in
ihm, nur manchmal schoß ein Ballen verworrener

er. Er fieberte immer noch ſtark, ſtechende Hitze-
ſchauer liefen an ſeinem Leibe auf und nieder. Wie
mechaniſch aufgezogen ſtapfte er vorwärts. Die
Cigarre war ausgegangen, er konnte ſich nicht dazu
bequemen, ſie wieder in Brand zu ſetzen, er be-
durfte ihrer ſchließlich auch nicht mehr. Jetzt ging
er eine breite Straße hinunter, die am Tage, beſonders
in den ſpäteren Nachmittagsſtunden, die belebteſte
der Stadt war. Am Himmel gab es immer noch
ſanfte, discrete Mondhelle, die Laternen brannten
eine um die andere, ſtill, kleinlaut, verträumt
ſtanden die gelbroten Flammen in ihren weißen
Glasbauern. Da und dort tauchte noch ein Menſch
auf, ein ſpäter Zecher, eine ſatte oder ſuchende
Vagantin, zuweilen auch ein kleiner Schwarm be-
haglich plaudernder Nachtwandler. Allerlei leiſes,
verworrenes Geräuſch ſummte um Adam herum,
ein kleiner Burſche mit einem Korbe verwelkter
Blumen, verwelkter Veilchen und Roſen, lief ihm
in den Weg, beinahe wäre er über das Kind ge-
ſtolpert, das ihn mit ſeinen großen, blöden Augen
im blaſſen, häßlichen, früh entwickelten und zer-
falteten Geſicht erſchrocken anſah. Adam mußte
einem jähen Einfalle folgen, er kaufte ſich ein ver-
welktes, nur noch ein ſchmutziges Parfüm aus-
athmendes Veilchenſträußchen und warf ein Markſtück
in den Korb. Die blauſchwarzen Blumen zog er
mit unendlicher Genugthuung ins Knopfloch und
lief weiter. Eine große, bohrende Leere war in
ihm, nur manchmal ſchoß ein Ballen verworrener

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[411/0419] er. Er fieberte immer noch ſtark, ſtechende Hitze- ſchauer liefen an ſeinem Leibe auf und nieder. Wie mechaniſch aufgezogen ſtapfte er vorwärts. Die Cigarre war ausgegangen, er konnte ſich nicht dazu bequemen, ſie wieder in Brand zu ſetzen, er be- durfte ihrer ſchließlich auch nicht mehr. Jetzt ging er eine breite Straße hinunter, die am Tage, beſonders in den ſpäteren Nachmittagsſtunden, die belebteſte der Stadt war. Am Himmel gab es immer noch ſanfte, discrete Mondhelle, die Laternen brannten eine um die andere, ſtill, kleinlaut, verträumt ſtanden die gelbroten Flammen in ihren weißen Glasbauern. Da und dort tauchte noch ein Menſch auf, ein ſpäter Zecher, eine ſatte oder ſuchende Vagantin, zuweilen auch ein kleiner Schwarm be- haglich plaudernder Nachtwandler. Allerlei leiſes, verworrenes Geräuſch ſummte um Adam herum, ein kleiner Burſche mit einem Korbe verwelkter Blumen, verwelkter Veilchen und Roſen, lief ihm in den Weg, beinahe wäre er über das Kind ge- ſtolpert, das ihn mit ſeinen großen, blöden Augen im blaſſen, häßlichen, früh entwickelten und zer- falteten Geſicht erſchrocken anſah. Adam mußte einem jähen Einfalle folgen, er kaufte ſich ein ver- welktes, nur noch ein ſchmutziges Parfüm aus- athmendes Veilchenſträußchen und warf ein Markſtück in den Korb. Die blauſchwarzen Blumen zog er mit unendlicher Genugthuung ins Knopfloch und lief weiter. Eine große, bohrende Leere war in ihm, nur manchmal ſchoß ein Ballen verworrener

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Zitationshilfe: Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 411. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/419>, abgerufen am 24.11.2024.