seine Bewegungen schwerer, ungelenker .. er starrte öfter vor sich hin, secunden-, minutenlang, das Sprechen und Schreien und Klappern um ihn herum rann zusammen zu einem schweren, dumpfen, sum- menden Geräusch, jetzt war es ihm plötzlich einmal, als ob er sich einen Augenblick vorher ganz vergessen hatte, er hatte eine Secunde lang nicht existirt, er hatte stumpf vor sich hingebrütet und war doch zu- gleich ganz ausgelöscht gewesen, nun rollte er sich wieder auf und gliederte sich, straffte sich ... und da züngelte Leni's Blick wieder zu ihm herüber .. und bat ihn .. und fragte ihn ... und flehte ihn an ... und sie kam zu ihm, berührte leise sein Haar, liebkoste ihn .. und bog seinen Kopf zu sich in die Höhe und schaute in seine Augen mit ihren kalten, dunklen, menschenanklagenden Augen. Und er blieb und blieb und trank und trank weiter: dieses warme, abgestandene, zähschleimige Gesöff weiter -- ihr zu Gefallen, ihr zu Liebe --
Nun lief das Lokal mit all' dem zechenden, schreienden Menschengesindel, was sich da zufällig in ihm zusammengefunden hatte, um Adam im Kreise herum. Das war fatal. Er hatte die bewußte "Contenance" verloren. Nur eine Prise frischer Luft konnte hier mildern.
Der Angezechte hatte eine gewisse Furcht vor dem Aufstehen. Immer wieder sank er in sich zu- sammen und blieb sitzen. Endlich, ohne daß er es noch einmal bewußt gewollt hatte, schnellte er mit
ſeine Bewegungen ſchwerer, ungelenker .. er ſtarrte öfter vor ſich hin, ſecunden-, minutenlang, das Sprechen und Schreien und Klappern um ihn herum rann zuſammen zu einem ſchweren, dumpfen, ſum- menden Geräuſch, jetzt war es ihm plötzlich einmal, als ob er ſich einen Augenblick vorher ganz vergeſſen hatte, er hatte eine Secunde lang nicht exiſtirt, er hatte ſtumpf vor ſich hingebrütet und war doch zu- gleich ganz ausgelöſcht geweſen, nun rollte er ſich wieder auf und gliederte ſich, ſtraffte ſich ... und da züngelte Leni's Blick wieder zu ihm herüber .. und bat ihn .. und fragte ihn ... und flehte ihn an ... und ſie kam zu ihm, berührte leiſe ſein Haar, liebkoſte ihn .. und bog ſeinen Kopf zu ſich in die Höhe und ſchaute in ſeine Augen mit ihren kalten, dunklen, menſchenanklagenden Augen. Und er blieb und blieb und trank und trank weiter: dieſes warme, abgeſtandene, zähſchleimige Geſöff weiter — ihr zu Gefallen, ihr zu Liebe —
Nun lief das Lokal mit all' dem zechenden, ſchreienden Menſchengeſindel, was ſich da zufällig in ihm zuſammengefunden hatte, um Adam im Kreiſe herum. Das war fatal. Er hatte die bewußte „Contenance“ verloren. Nur eine Priſe friſcher Luft konnte hier mildern.
Der Angezechte hatte eine gewiſſe Furcht vor dem Aufſtehen. Immer wieder ſank er in ſich zu- ſammen und blieb ſitzen. Endlich, ohne daß er es noch einmal bewußt gewollt hatte, ſchnellte er mit
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Sprechen und Schreien und Klappern um ihn herum
rann zuſammen zu einem ſchweren, dumpfen, ſum-
menden Geräuſch, jetzt war es ihm plötzlich einmal,
als ob er ſich einen Augenblick vorher ganz vergeſſen
hatte, er hatte eine Secunde lang nicht exiſtirt, er
hatte ſtumpf vor ſich hingebrütet und war doch zu-
gleich ganz ausgelöſcht geweſen, nun rollte er ſich
wieder auf und gliederte ſich, ſtraffte ſich ... und
da züngelte Leni's Blick wieder zu ihm herüber ..
und bat ihn .. und fragte ihn ... und flehte ihn
an ... und ſie kam zu ihm, berührte leiſe ſein
Haar, liebkoſte ihn .. und bog ſeinen Kopf zu
ſich in die Höhe und ſchaute in ſeine Augen
mit ihren kalten, dunklen, menſchenanklagenden
Augen. Und er blieb und blieb und trank
und trank weiter: dieſes warme, abgeſtandene,
zähſchleimige Geſöff weiter — ihr zu Gefallen,
ihr zu Liebe —
Nun lief das Lokal mit all' dem zechenden,
ſchreienden Menſchengeſindel, was ſich da zufällig in
ihm zuſammengefunden hatte, um Adam im Kreiſe
herum. Das war fatal. Er hatte die bewußte
„Contenance“ verloren. Nur eine Priſe friſcher Luft
konnte hier mildern.
Der Angezechte hatte eine gewiſſe Furcht vor
dem Aufſtehen. Immer wieder ſank er in ſich zu-
ſammen und blieb ſitzen. Endlich, ohne daß er es
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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 402. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/410>, abgerufen am 23.11.2024.
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