Fassung herauszufinden. Schließlich stotterte er halblaut, nur einige Silben durch eine unnatürliche Betonung scharf heraushebend: "Es ist mir doch peinlich, gnädige Frau -- ich weiß nicht, wie Sie meine Bitte auffassen werden -- --"
"Schießen Sie doch nur los, Herr Doctor -- wir werden ja sehen -- wenn ich irgend im Stande bin -- --"
Adam erinnerte sich plötzlich, daß er im Namen der Armuth um die Hülfe des Reichthums werben sollte, daß er dazu eine heilige Berechtigung besäße -- er wußte, daß nur das tiefeingewurzelte Bewußtsein von dem Egoismus, der Engherzigkeit und Klein- lichkeit der Menschen, mit denen er allenthalben, sein ganzes Leben hindurch, hatte rechnen müssen, ihn auch hier muthlos und verlegen gemacht -- aber es kam ja schließlich nur auf den Versuch an, es handelte sich ja schließlich nur um ein "social-ethisches Experiment", um eine "psychologische Studie", um Nichts, um gar Nichts weiter -- und er gewann bei- nahe den kühlen Ernst, die souveräne Sicherheit des Forschers wieder.
"Sie ermuthigen mich, gnädige Frau -- also denn ohne Umschweife herausgesagt --: ich brauche tausend Mark -- können Sie -- können Sie mir die Kleinigkeit leihen --?"
Auf diese sehr materielle Wendung des Gesprächs war Lydia allerdings nicht gefaßt gewesen. Feinere Naturen fühlen sich durch eine brutale, noch dazu unvorbereitete Berührung von Geldfragen immer
Faſſung herauszufinden. Schließlich ſtotterte er halblaut, nur einige Silben durch eine unnatürliche Betonung ſcharf heraushebend: „Es iſt mir doch peinlich, gnädige Frau — ich weiß nicht, wie Sie meine Bitte auffaſſen werden — —“
„Schießen Sie doch nur los, Herr Doctor — wir werden ja ſehen — wenn ich irgend im Stande bin — —“
Adam erinnerte ſich plötzlich, daß er im Namen der Armuth um die Hülfe des Reichthums werben ſollte, daß er dazu eine heilige Berechtigung beſäße — er wußte, daß nur das tiefeingewurzelte Bewußtſein von dem Egoismus, der Engherzigkeit und Klein- lichkeit der Menſchen, mit denen er allenthalben, ſein ganzes Leben hindurch, hatte rechnen müſſen, ihn auch hier muthlos und verlegen gemacht — aber es kam ja ſchließlich nur auf den Verſuch an, es handelte ſich ja ſchließlich nur um ein „ſocial-ethiſches Experiment“, um eine „pſychologiſche Studie“, um Nichts, um gar Nichts weiter — und er gewann bei- nahe den kühlen Ernſt, die ſouveräne Sicherheit des Forſchers wieder.
„Sie ermuthigen mich, gnädige Frau — alſo denn ohne Umſchweife herausgeſagt —: ich brauche tauſend Mark — können Sie — können Sie mir die Kleinigkeit leihen —?“
Auf dieſe ſehr materielle Wendung des Geſprächs war Lydia allerdings nicht gefaßt geweſen. Feinere Naturen fühlen ſich durch eine brutale, noch dazu unvorbereitete Berührung von Geldfragen immer
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Faſſung herauszufinden. Schließlich ſtotterte er
halblaut, nur einige Silben durch eine unnatürliche
Betonung ſcharf heraushebend: „Es iſt mir doch
peinlich, gnädige Frau — ich weiß nicht, wie Sie
meine Bitte auffaſſen werden — —“
„Schießen Sie doch nur los, Herr Doctor —
wir werden ja ſehen — wenn ich irgend im
Stande bin — —“
Adam erinnerte ſich plötzlich, daß er im Namen
der Armuth um die Hülfe des Reichthums werben
ſollte, daß er dazu eine heilige Berechtigung beſäße —
er wußte, daß nur das tiefeingewurzelte Bewußtſein
von dem Egoismus, der Engherzigkeit und Klein-
lichkeit der Menſchen, mit denen er allenthalben, ſein
ganzes Leben hindurch, hatte rechnen müſſen, ihn
auch hier muthlos und verlegen gemacht — aber
es kam ja ſchließlich nur auf den Verſuch an, es
handelte ſich ja ſchließlich nur um ein „ſocial-ethiſches
Experiment“, um eine „pſychologiſche Studie“, um
Nichts, um gar Nichts weiter — und er gewann bei-
nahe den kühlen Ernſt, die ſouveräne Sicherheit des
Forſchers wieder.
„Sie ermuthigen mich, gnädige Frau — alſo
denn ohne Umſchweife herausgeſagt —: ich brauche
tauſend Mark — können Sie — können Sie mir
die Kleinigkeit leihen —?“
Auf dieſe ſehr materielle Wendung des Geſprächs
war Lydia allerdings nicht gefaßt geweſen. Feinere
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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 378. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/386>, abgerufen am 25.11.2024.
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