saugen, auszukosten, zu brutalisiren? Und im Genuß, der allerdings merkwürdig genug zuweilen ein sehr behaglicher, zu vollständigem Selbstvergessen einlullen- der sein kann -- im Genuß doch wiederum so oft auch dieser Ekel und Abscheu .. oder diese bittere, tief- schmerzliche Freude, daß man eben auch zu "genießen" versteht, verstehen gelernt hat, wo alle Selbsterfüllung nur in neutraler Entsagung bestehen sollte! Ach! Ewig karambolirt die individual-ästhetische Seite meiner Natur mit der sozial-ethischen. Oder wäre es nicht sozial-ethisch im weitesten, tiefsten Zu- kunftssinne: ein Bekenner der "absoluten Philo- sophie", der "Philosophie der Erlösung" zu sein --? Und als solcher, ein Glied in der socialen Ver- bandskette, nach rechts und links ein lobesames Beispiel zu geben? Anderer Willenspotenzen zu glorreicher Nacheiferung zu entzünden? Und doch! Gerade die Aeußerungen meiner ästhetischen Natur sind im Grunde nicht minder sozial. Ich hatte einmal einen Reformatorentic in mir. Der ist todt. Wenigstens meerschendheels todt. Nun möchte ich mich gern auf den naiven "Künstler" hinausspielen. Ich wäre ganz vergnügt, wenn das so ginge. Aller- dings .. den "Dichter" in mir habe ich gründlich erwürgt. Donnerwetter! Da fällt mir ein: habe ich nicht 'mal über dieses ulkige Motiv Etwas zu- sammengeschmiert? Ich erinnere mich: damals war's mir bitter ernst um die Sache. Heute -- ich möchte das Geschreibsel doch 'mal wieder lesen -- hm! -- Stim- mung -- "Stimmung" is zwar nich -- aber eben:
ſaugen, auszukoſten, zu brutaliſiren? Und im Genuß, der allerdings merkwürdig genug zuweilen ein ſehr behaglicher, zu vollſtändigem Selbſtvergeſſen einlullen- der ſein kann — im Genuß doch wiederum ſo oft auch dieſer Ekel und Abſcheu .. oder dieſe bittere, tief- ſchmerzliche Freude, daß man eben auch zu „genießen“ verſteht, verſtehen gelernt hat, wo alle Selbſterfüllung nur in neutraler Entſagung beſtehen ſollte! Ach! Ewig karambolirt die individual-äſthetiſche Seite meiner Natur mit der ſozial-ethiſchen. Oder wäre es nicht ſozial-ethiſch im weiteſten, tiefſten Zu- kunftsſinne: ein Bekenner der „abſoluten Philo- ſophie“, der „Philoſophie der Erlöſung“ zu ſein —? Und als ſolcher, ein Glied in der ſocialen Ver- bandskette, nach rechts und links ein lobeſames Beiſpiel zu geben? Anderer Willenspotenzen zu glorreicher Nacheiferung zu entzünden? Und doch! Gerade die Aeußerungen meiner äſthetiſchen Natur ſind im Grunde nicht minder ſozial. Ich hatte einmal einen Reformatorentic in mir. Der iſt todt. Wenigſtens meerſchendheels todt. Nun möchte ich mich gern auf den naiven „Künſtler“ hinausſpielen. Ich wäre ganz vergnügt, wenn das ſo ginge. Aller- dings .. den „Dichter“ in mir habe ich gründlich erwürgt. Donnerwetter! Da fällt mir ein: habe ich nicht 'mal über dieſes ulkige Motiv Etwas zu- ſammengeſchmiert? Ich erinnere mich: damals war's mir bitter ernſt um die Sache. Heute — ich möchte das Geſchreibſel doch 'mal wieder leſen — hm! — Stim- mung — „Stimmung“ is zwar nich — aber eben:
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ſaugen, auszukoſten, zu brutaliſiren? Und im Genuß,
der allerdings merkwürdig genug zuweilen ein ſehr
behaglicher, zu vollſtändigem Selbſtvergeſſen einlullen-
der ſein kann — im Genuß doch wiederum ſo oft auch
dieſer Ekel und Abſcheu .. oder dieſe bittere, tief-
ſchmerzliche Freude, daß man eben auch zu „genießen“
verſteht, verſtehen gelernt hat, wo alle Selbſterfüllung
nur in neutraler Entſagung beſtehen ſollte! Ach!
Ewig karambolirt die individual-äſthetiſche Seite
meiner Natur mit der ſozial-ethiſchen. Oder wäre
es nicht ſozial-ethiſch im weiteſten, tiefſten Zu-
kunftsſinne: ein Bekenner der „abſoluten Philo-
ſophie“, der „Philoſophie der Erlöſung“ zu ſein —?
Und als ſolcher, ein Glied in der ſocialen Ver-
bandskette, nach rechts und links ein lobeſames
Beiſpiel zu geben? Anderer Willenspotenzen zu
glorreicher Nacheiferung zu entzünden? Und doch!
Gerade die Aeußerungen meiner äſthetiſchen Natur
ſind im Grunde nicht minder ſozial. Ich hatte
einmal einen Reformatorentic in mir. Der iſt todt.
Wenigſtens meerſchendheels todt. Nun möchte ich
mich gern auf den naiven „Künſtler“ hinausſpielen.
Ich wäre ganz vergnügt, wenn das ſo ginge. Aller-
dings .. den „Dichter“ in mir habe ich gründlich
erwürgt. Donnerwetter! Da fällt mir ein: habe
ich nicht 'mal über dieſes ulkige Motiv Etwas zu-
ſammengeſchmiert? Ich erinnere mich: damals war's
mir bitter ernſt um die Sache. Heute — ich möchte das
Geſchreibſel doch 'mal wieder leſen — hm! — Stim-
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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/359>, abgerufen am 22.11.2024.
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