Moder in allen Ecken und Winkeln herum .. und zu- gleich ist mir doch, als wäre meine Bude 'mal ordentlich "reine gemacht" .. und keine Spur einer stimmungsvollen Unordnung zurückgeblieben .. Teufel! Warum ist man auch ein so unleidlicher Individuali- tätsfex geworden! Ich weiß ganz genau: ich leide an versetztem Thatendrang. Ich finde die Sphäre nicht, in der allein ich wirken könnte. Das ist mein "tragisches" Schicksal. Nun ja! -- warum auch nicht? Meine Augen sind zu sehr auf das Lesen nach innen gestimmt. Sie sind zu wenig zur Entwickelung der Fähigkeit gekommen, sich der vorüberfließenden Erscheinungswelt in allen Lagen und Graden anzu- passen. Mein kleines irdisches Unglück ist, daß ich mich nicht in Beziehung zum "Nicht-Ich", zur Außenwelt fasse, sondern dieses ominöse "Nicht-Ich" immer in Beziehung zu mir. Im Uebrigen bin ich 'n Mensch, der zwar im Großen und Ganzen weiß, was er will, aber es sehr oft sehr langweilig findet, das zu wollen, was er weiß. Zu viel nebelhafte Zukünftelei rumort in meiner Brust herum. Das macht mich der Gegenwart gegenüber müde, apathisch, blasirt. Uebrigens .. wer bürgt mir denn dafür, daß die Atmosphäre, die ich mir geschaffen, und in der ich mit einer gewissen souverän-aristokratischen Wollust athme, nicht in letzter Hinsicht einer tief- eingewurzelten, durch Naturanlage bedingten Scheu vor dem Leben ihr Dasein verdankt? Woher sonst die öfter ausbrechende, krampfhafte Sucht, sich auf das Leben zu stürzen, es vampyrwüthig auszu-
Moder in allen Ecken und Winkeln herum .. und zu- gleich iſt mir doch, als wäre meine Bude 'mal ordentlich „reine gemacht“ .. und keine Spur einer ſtimmungsvollen Unordnung zurückgeblieben .. Teufel! Warum iſt man auch ein ſo unleidlicher Individuali- tätsfex geworden! Ich weiß ganz genau: ich leide an verſetztem Thatendrang. Ich finde die Sphäre nicht, in der allein ich wirken könnte. Das iſt mein „tragiſches“ Schickſal. Nun ja! — warum auch nicht? Meine Augen ſind zu ſehr auf das Leſen nach innen geſtimmt. Sie ſind zu wenig zur Entwickelung der Fähigkeit gekommen, ſich der vorüberfließenden Erſcheinungswelt in allen Lagen und Graden anzu- paſſen. Mein kleines irdiſches Unglück iſt, daß ich mich nicht in Beziehung zum „Nicht-Ich“, zur Außenwelt faſſe, ſondern dieſes ominöſe „Nicht-Ich“ immer in Beziehung zu mir. Im Uebrigen bin ich 'n Menſch, der zwar im Großen und Ganzen weiß, was er will, aber es ſehr oft ſehr langweilig findet, das zu wollen, was er weiß. Zu viel nebelhafte Zukünftelei rumort in meiner Bruſt herum. Das macht mich der Gegenwart gegenüber müde, apathiſch, blaſirt. Uebrigens .. wer bürgt mir denn dafür, daß die Atmoſphäre, die ich mir geſchaffen, und in der ich mit einer gewiſſen ſouverän-ariſtokratiſchen Wolluſt athme, nicht in letzter Hinſicht einer tief- eingewurzelten, durch Naturanlage bedingten Scheu vor dem Leben ihr Daſein verdankt? Woher ſonſt die öfter ausbrechende, krampfhafte Sucht, ſich auf das Leben zu ſtürzen, es vampyrwüthig auszu-
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Moder in allen Ecken und Winkeln herum .. und zu-
gleich iſt mir doch, als wäre meine Bude 'mal
ordentlich „reine gemacht“ .. und keine Spur einer
ſtimmungsvollen Unordnung zurückgeblieben .. Teufel!
Warum iſt man auch ein ſo unleidlicher Individuali-
tätsfex geworden! Ich weiß ganz genau: ich leide an
verſetztem Thatendrang. Ich finde die Sphäre nicht,
in der allein ich wirken könnte. Das iſt mein
„tragiſches“ Schickſal. Nun ja! — warum auch
nicht? Meine Augen ſind zu ſehr auf das Leſen nach
innen geſtimmt. Sie ſind zu wenig zur Entwickelung
der Fähigkeit gekommen, ſich der vorüberfließenden
Erſcheinungswelt in allen Lagen und Graden anzu-
paſſen. Mein kleines irdiſches Unglück iſt, daß ich
mich nicht in Beziehung zum „Nicht-Ich“, zur
Außenwelt faſſe, ſondern dieſes ominöſe „Nicht-Ich“
immer in Beziehung zu mir. Im Uebrigen bin ich
'n Menſch, der zwar im Großen und Ganzen weiß,
was er will, aber es ſehr oft ſehr langweilig findet,
das zu wollen, was er weiß. Zu viel nebelhafte
Zukünftelei rumort in meiner Bruſt herum. Das
macht mich der Gegenwart gegenüber müde, apathiſch,
blaſirt. Uebrigens .. wer bürgt mir denn dafür,
daß die Atmoſphäre, die ich mir geſchaffen, und in
der ich mit einer gewiſſen ſouverän-ariſtokratiſchen
Wolluſt athme, nicht in letzter Hinſicht einer tief-
eingewurzelten, durch Naturanlage bedingten Scheu
vor dem Leben ihr Daſein verdankt? Woher
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Conradi, Hermann: Adam Mensch. Leipzig, [1889], S. 350. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/conradi_adam_1889/358>, abgerufen am 25.11.2024.
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